Im Oktober wurde Siegfried Mauser vom Bundesgerichtshof wegen sexueller Nötigung in drei Fällen zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Kurz darauf erschien eine Festschrift zum 65. Geburtstag des Musikers. Gerade das Vorwort sorgte für Empörung. Der Vorwurf: Mausers Straftaten würden hier verharmlost. Dieter Borchmeyer, einer der drei Herausgeber, bezieht im BR-KLASSIK-Interview Stellung.
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BR-KLASSIK: Herr Borchmeyer, Sie sind einer der drei Herausgeber der Festschrift für Siegfried Mauser. Und diese Festschrift hat viel Verwunderung, teilweise auch Fassungslosigkeit bis hin zu großer Empörung hervorgerufen. Vor allen Dingen wegen des Vorworts, für das Sie als einer von drei Herausgebern auch verantwortlich zeichnen als Autor. Und da war es vor allen Dingen dieser Satz "Seine Visionen und sein unbändiger Tatendrang, die ansteckende Spontaneität und begeisternde Vitalität haben ihm manche Kritik eingetragen - und sein bisweilen die Grenzen der 'bienséance' überschreitender weltumarmender Eros hat für ihn schwerwiegende rechtliche Folgen gehabt." Beim besten Willen, es liest sich wie eine Verharmlosung. Wie möchten Sie diese Worte gedeutet wissen?
Dieter Borchmeyer: Das kann man so gar nicht sehen, wenn man weiß, wann die geschrieben worden sind. Die sind nämlich lange vor dem Urteil des Bundesgerichtshof und auch vor dem Urteil des Bayerischen Gerichtshofes geschrieben worden - vor mehr als einem Jahr.
Wir fanden da keinen ernsthaften Handlungsbedarf.
BR-KLASSIK: Hätten Sie es dann jetzt nicht nochmal neu kontextualisieren müssen?
Dieter Borchmeyer: Schwierig. Als das BGH-Urteil jetzt fiel, mit dem wir als Herausgeber nicht gerechnet haben, da war das ja alles schon auf Umbruch gesetzt. Und es war technisch eigentlich nicht mehr möglich, da etwas abzuändern. Aber im Gesamtzusammenhang dieses Vorwortes, aus dem immer nur diese Zeilen jetzt zitiert werden, fanden wir auch da keinen ernsthaften Handlungsbedarf. Wir haben ja nur beschrieben, ohne über das Urteil als solches zu urteilen, was uns nicht zusteht – das wäre vermessen, wenn wir uns das erlaubt hätten.
BR-KLASSIK: Also, Sie akzeptieren dieses Urteil?
Dieter Borchmeyer: Wir leben in einem Rechtsstaat, und wir müssen ein solches Urteil, wie problematisch uns das auch persönlich erscheinen mag, akzeptieren – vor allen Dingen, da wir ja auch bei den Vorfällen gar nicht dabei waren und auch keine Akteneinsicht hatten. Wir können es ja nicht beurteilen. Und es ist auch völlig richtig, dass wir uns da nicht äußern.
BR-KLASSIK: Jetzt wirkt das aber so, als würden Sie doch darauf reagieren ...
Siegfried Mauser bei Gerichtsverhandlung | Bildquelle: dpa-Bildfunk/Sina Schuldt Dieter Borchmeyer: Es wirkt so, aber es ist definitiv so nicht gemeint. Und wir haben auch den Autoren der Festschrift, die dieses Vorwort ausdrücklich vorher mal sehen wollten, dieses zugeschickt. Und wir haben uns auch auf einige Korrekturen, die allerdings nicht diese Passage betrafen, eingelassen. Aber keiner dieser Autoren hat von der Kenntnis des Gesamtzusammenhangs des Vorwurfs daran Kritik geübt, oder gesagt: Wenn ich das gewusst hätte, dann hätte ich mich zurückgezogen.
BR-KLASSIK: "Kein Handlungsbedarf", sagen Sie. Sie würden diese Sätze immer noch so stehen lassen? Sie bekennen sich dazu?
Dieter Borchmeyer: Ich bekenne mich natürlich dazu, obwohl ich sehr betrübt bin, dass sie so aufgefasst worden sind – und hätte ich das vorher gewusst, dann hätten wir es anderes formuliert. Damit haben wir nun einfach nicht gerechnet. Vor allen Dingen: Dieser leicht scherzhafte Ton bei dem "weltumarmenden Eros" bezieht sich natürlich zurück auf "Seid umschlungen, Millionen." Und wer Siegfried Mauser kennt und seine überschwängliche umarmende Art, wer das kennt, findet das eigentlich zutreffend.
BR-KLASSIK: Scherzhaft? Ist das angemessen?
Dieter Borchmeyer: Ja, Entschuldigung. "Ist das angemessen?" – Das kann man jetzt sagen, nachdem die ganzen Urteile vorliegen. Aber wie wir es geschrieben haben, konnte man das schon so sagen, finde ich.
BR-KLASSIK: Aber da liegt natürlich ein Problem. Und das ist es, was jetzt viele Kritiker aufbringt, dass diese Dinge – nämlich Straftaten – verharmlost werden, und dass diese Verharmlosung ja strukturell ist, und nicht nur in diesem Satz. Es geht um die generelle Haltung, die sich da ausdrückt. Vielleicht ermutigt sie Straftäter sogar.
Dieter Borchmeyer: Ach nein, wirklich nicht. Das glaube ich nun gar nicht.
Wir können nicht auf jedes Leid der Welt eingehen.
BR-KLASSIK: Vor allen Dingen wird da ja nicht die Perspektive der Opfer eingenommen.
Dieter Borchmeyer: Das ist ja offen gestanden auch nicht unsere Aufgabe. Wir kennen diese Opfer nicht, und wir können nicht auf jedes Leid der Welt eingehen, sondern nur das, was in unserem eigenen Verantwortungsbereich liegt.
BR-KLASSIK: Aber Sie haben hier einem Freund einen Freundschaftsdienst erweisen wollen. Wie weit kann denn da Freundschaft gehen? Und wäre Freundschaft auch möglich, wenn man auf die Fehler des Freundes offen hinweist?
Dieter Borchmeyer: Das ist nicht die Aufgabe eines solchen Vorwortes in einer wissenschaftlichen Festschrift. Denn vier Fünftel der Beiträge sind ja rein wissenschaftlichen Charakters.
BR-KLASSIK: Aber dieser Satz überhaupt nicht. Der ist scherzhaft, wie Sie sagen, und der rechtfertigt ihn.
Dieter Borchmeyer: Der zweite Teil des Vorworts ist tatsächlich eine Würdigung Mausers als Wissenschaftler, als Künstler, als Direktor der Musikabteilung der Akademie und als Direktor der Musikhochschulen in München und des Mozarteums in Salzburg. Und diese Leistungen Mausers können ja nicht auf einmal nicht existent sein.
BR-KLASSIK: Aber ich darf Sie zitieren, Herr Borchmeyer, Sie haben damals, 2016, in der Süddeutschen Zeitung einen Leserbrief geschrieben. Und damals schrieben sie den Richter scheltend, der damals das erste Urteil gegen Siegfried Mauser verhängt hatte: "Gewiss läge wirklich ein kriminelles Fehlverhalten vor, wie es ihm das Amtsgericht München zur Last legt, würde das auch durch seine bedeutende Lebensleistung schwerlich aufgewogen." Nun ist dieses kriminelle Fehlverhalten letztinstanzlich festgestellt. Herr Mauser muss ins Gefängnis. Was heißt das für seine Lebensleistung?
Dieter Borchmeyer: Das lässt sich nicht gegeneinander aufrechnen. Die Lebensleistung wird dadurch ja nicht vernichtet. Die Lebensleistung besteht weiter. Er ist weiter derjenige, der er war – als Gelehrter und Künstler und Leiter mehrerer wichtiger Institutionen. Und diese Verdienste sind ja auch herausgestrichen worden, aber von dem jetzigen Rektor der Musikhochschule, als Siegfried Mauser verabschiedet wurde.
BR-KLASSIK: Die Musikhochschule hat sich bei den Opfern entschuldigt und distanziert sich massiv von Siegfried Mauser – anders als Sie das tun.
Dieter Borchmeyer: Ja, ich brauch das doch nicht. Diese Vorfälle beschränken sich ja auf die Musikhochschule. Ich habe doch damit gar nichts zu tun. Ich meine, dass die Musikhochschule da sich distanziert, in deren Räumen diese Vorfälle vorgefallen sein sollen, das versteht man ja von selbst. Aber die Bayerische Akademie der Schönen Künste hatte damit ja gar nichts zu tun.
BR-KLASSIK: Erklären Sie uns doch mal, was sind denn die Grenzen der 'bienséance'?
Dieter Borchmeyer: In der Hinsicht hatten wir, wenn ich ganz ehrlich bin, mit Siegfried Mauser immer gewisse Probleme. Gerade wenn man selbst in leitenden Positionen tätig war, dass er sich schon verdammt unkonventionell aufgeführt hat. Und das ist mit der "bienséance", einem Begriff, den ich sehr liebe, der für die französische Zivilisation des 17. Jahrhunderts eine große Rolle spielt, den hat er dann schon ein bisschen verletzt.
BR-KLASSIK: Meinen Sie damit seine Straftaten? "Bienséance" heißt ja Anstand, Wohlverhalten...
Dieter Borchmeyer: Das ist später daraus gemacht worden. Eigentlich heißt "bienséance" die konventionellen Regeln durchstoßend. Also zum Beispiel die drei Einheiten zu wahren, im Drama. Das hat mit Moral gar nichts zu tun. Das war ein Akt der "bienséance". Also der Begriff heißt nicht "Anstand", sondern "Etikette bedingtes Verhalten". Und dagegen hat er verstoßen.
Wir stellen uns nicht hinter einen Straftäter – sondern hinter den Künstlergelehrten und seine Leistung.
BR-KLASSIK: Eine letzte Frage: Die Opfer haben sich ja relativ spät gemeldet. Und der Grund dafür ist ja auch was Systemisches, Strukturelles, was immer wieder vorkommt in diesen Fällen. Der Grund dafür liegt ja darin, dass es oft mächtige Männer sind, sehr gut vernetzte Männer, denen solche Straftaten zur Last gelegt werden oder von denen sie auch nachgewiesen werden. Wenn nun ein solches Netzwerk sich so massiv hinter einen entweder angeklagten oder verurteilten Sexualstraftäter stellt, dann ist das ja möglicherweise auch eine Antwort auf die Frage, warum sich Frauen oft zu spät melden, weil sie die Übermacht eines solchen gut vernetzten, institutionell abgesicherten Mannes fürchten. Können Sie das nicht nachvollziehen?
Dieter Borchmeyer: Das kann ich sehr gut nachvollziehen. Aber in dem Falle kann man von einem Netzwerk eigentlich nicht reden.
BR-KLASSIK: Ich denke an diese Leserbrief-Aktion mit der Überschrift "Münchens Kulturwelt ist entsetzt"...
Dieter Borchmeyer: Das war aber auch zu einem früheren Zeitpunkt. Wo man noch nicht sicher wusste, wie diese ganzen Verfahren ausgehen werden. Heute würden wir diese Leserbrief-Aktion bestimmt nicht mehr machen. Aber man muss das natürlich aus der damaligen Situation heraus verstehen. Mein Gott, man ändert sich halt, und die Situation ändert sich. Aber wir stellen uns ja nicht hinter einen Straftäter. Da halten wir uns 'raus. Wir stellen uns hinter den Künstlergelehrten und seine Leistung. Dahinter stellen wir uns. Und wir ersparen es uns, über die juristische Seite zu sprechen.
BR-KLASSIK: Sie schreiben an anderer Stelle: "Seine unkonventionelle Art wurde ihm nicht gedankt." Das klingt vorwurfsvoll.
Dieter Borchmeyer: Ja, das stimmt schon. Er hat sich für viele Leute eingesetzt, die dann sehr schnell von ihm abfielen, während Leute, die ihm keineswegs etwas zu verdanken haben, wie ich zum Beispiel – ich habe ihm gar nichts zu verdanken – jetzt zu ihm stehen und ihn unterstützen in seiner äußerst schwierigen, in seiner desolaten Situation. Und das finde ich nicht schlecht. Und dafür muss ich kein schlechtes Gewissen haben.
Sendung: Leporello, am 8. November 2019 um 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK.