Vielfalt im Orchester? Eine Selbstverständlichkeit, könnte man meinen. Wo sonst kommen so viele unterschiedliche Nationalitäten zusammen wie in einem klassischen Symphonieorchester. Die Sprache der Musik ist universell, wie es so schön heißt. Da spielen kulturelle Unterschiede keine Rolle. Aber dafür vielleicht andere: Wie verhält es sich etwa mit dem Geschlecht oder der sexuellen Orientierung?
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Zum Diversity-Tag
Wie divers sind die deutschen Orchester?
Wenn Orchester für eines stehen, dann für Einheit in der Vielfalt: Für ein harmonisches Zusammen verschiedenster Instrumente – von der Altklarinette bis zur Zugposaune. Diverser geht's kaum, zumindest was die Besetzung angeht. Wie aber steht es um die Besatzung, also um die Diversität derer, die die Instrumente bedienen? Der Journalist Marco Frei geht dieser Frage seit Jahren nach. Ihm zufolge hat die Mehrheit der deutschen Symphonieorchester das Thema nicht wirklich auf dem Radar.
Anders zum Beispiel die Komische Oper in Berlin. Unter der Intendanz von Barrie Kosky hat das Haus seinen Radar verfeinert und stimmt mittlerweile ein "Unisono für Vielfalt" an. Seit 2014 unterstützen Kosky & Co die sogenannte "Charta der Vielfalt", eine Initiative, die sich für mehr kulturelle, ethnische und geschlechtliche Diversität in der Arbeitswelt einsetzt. International seien die Orchester in Deutschland schon lange, erzählt André Kraft, der am Haus die Marketingabteilung leitet. Bezüglich der der Geschlechterverteilung gebe es zwar noch Luft nach oben: "Das gleicht sich inzwischen aber immer mehr an. Es gibt in unserem Orchester sehr viele Leute aus sehr viel verschiedenen Nationen, mit einem Frauenanteil, der ungefähr bei 50 Prozent liegt."
Es gibt in unserem Orchester sehr viele Leute aus sehr viel verschiedenen Nationen, mit einem Frauenanteil, der ungefähr bei 50 Prozent liegt.
Weibliche Orchestermitglieder sind zum Glück keine Seltenheit mehr. | Bildquelle: (c) ZB - Fotoreport 50 Prozent weibliche Belegschaft – das klingt selbstverständlich, ist mit Blick auf die jüngere deutsche Orchestergeschichte aber eine ziemlich irre Entwicklung. Die Nachbarn von den Berliner Philharmonikern konnten sich beispielsweise erst in den Achtzigern dazu durchringen, eine Frau ins Tutti zu holen. Noch bornierter benahm man sich bei den Philharmonikern in Wien: Bis 1997 ein reiner Männerclub. Dass es sich dabei nicht nur um Einzelfälle handelt, belegen die Zahlen, die Gerald Mertens vorliegen, dem Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung. Von nur sechs bis heute durchschnittlich 40 Prozent sei der Frauenanteil in den letzten vier Jahrzehnten nach oben geschossen: "In den Sechzigerjahren, da saßen im Orchester befrackte Herren im gesetzten Alter und Frauen musste man wirklich mit der Lupe suchen. Und in der Tat hat sich dieses Bild sehr, sehr geändert. Also: Die Zukunft der Orchester ist mehrheitlich weiblich. Und ein Orchester wirkt dadurch natürlich auch mehr als Spiegelbild der Gesellschaft, wirkt insgesamt offener, als es früher der Fall war."
Die Zukunft der Orchester ist weiblich.
Das Orchester als Spiegelbild der Gesellschaft – dass darin nicht nur Vorteile liegen, hat Marco Frei bei seinen Recherchen erfahren. Der Journalist unterscheidet ausdrücklich zwischen Symphonieorchestern in der Provinz und solchen, die in den Metropolen zuhause sind. Dass sich ausgerechnet die Komische Oper in Berlin mit dem Label "Diversity" schmücke, komme nicht von irgendwo. Generell gesprochen: je städtischer, desto diverser. Frei macht das vor allem daran fest, wie offen die von ihm befragten Musiker mit ihrer Homosexualität umgingen: "Für mich war einer der erschreckendsten und beschämendsten Momente dieser Recherche ein Gespräch mit einer Lesbierin in einem ostdeutschen Orchester, die mir ganz klar im Interview gesagt hat: 'Herr Frei, ich bitte Sie: kein Name, kein Foto. Ich muss morgens zum Bäcker gehen und ich habe keine Lust, irgendwelche blöden Kommentare zu hören.'"
Wo so ein gesellschaftlichen Klima herrsche, sei nur eine starke Intendanz in der Lage, im eigenen Haus eine Gegenkultur der Offenheit zu etablieren. Das meint auch Andrea Kerner, Musikmanagerin aus Berlin, die zum Beispiel das Chamber Orchestra of Europe oder das Freiburger Barockorchester berät: "Ganz ehrlich: Ich glaube keine Sekunde an wahre Demokratie in all diesen Institutionen. Ich glaube an ein starkes Mitbestimmungsrecht. Aber ansonsten tendiere ich eher dazu zu sagen: Ein starker Kopf, der das lebt und mit Überzeugung vertritt und dem auch seine Musiker vertrauen, kann an der Spitze, so glaube ich, viel mehr erreichen, als von unten kommen wird."
Ein starker Kopf an der Spitze kann viel mehr erreichen, als von unten kommen wird.
Klingt paradox, ist aber plausibel: Sind doch gerade Orchester, die die demokratische Selbstverwaltung hochhängen, wie etwa die Berliner oder die Wiener Philharmoniker, diejenigen, die der gesellschaftlichen Entwicklung in puncto Diversität lange hinterherhinkten. Wo die Intendanz mutig vorangeht, wie an der komischen Oper, gelingen solche Veränderungen womöglich schneller. In den Neunzigern war es ausgerechnet die Staatsoper in München, im Herzen der konservativen bayerischen Landeshauptstadt, in deren Orchestergraben die erste Transfrau saß. Vorbehaltlos unterstützt vom damaligen Intendanten Peter Jonas – und von den Orchesterkollegen.
Kommentare (1)
Sonntag, 16.Februar, 11:19 Uhr
Kerstin Siepmann
Es ist gar nicht lange her..,
Erfreulich, wie sich die Zeiten ändern... gerade an der Komischen Oper bekam ich - es waren die frühen Neunziger - noch unverblümt auf meine Bewerbung zu hören: „wissen Sie, wir wollen nömlich keine Frau...“.
Zur Strafe bekam der betreffende Herr, als er in Pension ging, eine NachfolgerIN, und heute scheint das ja kein Thema mehr zu sein, glücklicherweise!