Warum sieht man eigentlich so gut wie nie Rollstuhlfahrer auf einer Orchesterbühne? Natürlich hängt es oft vom Grad der Beeinträchtigung ab, welcher berufliche Weg einem behinderten Musiker offensteht. Aber: Es gibt auch noch andere Gründe. Wir haben bei Musikschulen, Hochschulen, Musikern und Orchestern nachgefragt.
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Philip Schütz verlor als Vierjähriger seine Beine bei einem Unfall mit einer landwirtschaftlichen Maschine. Seitdem sitzt er im Rollstuhl. Diese körperliche Behinderung hielt ihn aber nicht davon ab, Trompete zu lernen. Eigentlich wollte er sogar Berufsmusiker werden. Hätte er eine Chance gehabt?
Man muss schon ordentlich suchen, um auf den deutschen Orchesterpodien Menschen mit Behinderung zu finden. Auf Nachfrage führen die Orchester unterschiedliche Gründe an, zum Beispiel bauliche Gegebenheiten bei Probe- und Konzerträumen und Schwierigkeiten bei Reisen mit dem Orchester.
Dabei fordert die UN-Behindertenrechtskonvention, die 2009 verabschiedet wurde, "Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit zu geben, ihr kreatives, künstlerisches und intellektuelles Potenzial zu entfalten und zu nutzen, nicht nur für sich selbst, sondern auch zur Bereicherung der Gesellschaft.“ (Quelle: UN- Behindertenrechtskonvention Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen Artikel 30 Abs. 2)
Sind die Orchester als Arbeitsplatz das Problem – oder sind Menschen mit Behinderung schon früher mit Hürden konfrontiert, die einen professionellen Werdegang unmöglich machen? Schauen wir uns an Musikschulen und Musikhochschulen um.
Bildquelle: picture alliance / BSIP Deutschlandweit haben nur etwa 1 % der Musikschülerinnen und Musikschüler ein Handicap, so das Netzwerk Kultur und Inklusion mit. Zu den Gründen zählt Daniela Holweg, die Fachberaterin für Musik und Menschen mit Behinderung des Verbandes Bayerischer Sing- und Musikschulen e.V., dass Eltern und Betreuer oft schon unsicher seien, ob die Musikschulen überhaupt die richtige Anlaufstelle für ihre Kinder sind, es hier passende Angebote gibt. Dabei ermutigt sie Eltern durchaus, auf die Musikschulen zuzugehen. Holweg stellt aber auch fest, dass es noch zu wenige Musikschullehrer gebe, die sich für eine Arbeit mit Menschen mit Behinderung qualifizieren.
Abhilfe schaffen will hierbei Robert Wagner als Leiter des berufsbegleitenden Lehrgangs "Instrumentalspiel mit Menschen mit Behinderung an Musikschulen”. Hier qualifizieren sich Lehrkräfte der musikalischen Früherziehung und der Musikschulen sowie Vokal- oder Instrumentallehrer für die Arbeit mit Menschen mit körperlicher und geistiger Behinderung. Wagner gibt Erfahrungen weiter, die er als Leiter der inklusiven Musikschule Fürth gesammelt hat.
Robert Wagner kümmert sich mittlerweile auch um erwachsene Musiker mit Beeinträchtigungen, die zwar mal ein Instrument gelernt haben, aber deren musikalische Leidenschaft im Alltag zu kurz kommt. Neben der Arbeit etwa in Behinderteneinrichtungen will er ihnen mit einem zweijährigen Lehrgang eine zusätzliche, auch kreativ erfüllende Perspektive bieten.
Mit der Band "Vollgas" spielt er inzwischen als Botschafter der Inklusion zum Beispiel bei internationalen Kongressen der Musikpädagogik, um Kollegen zum inklusiven Musizieren zu ermutigen.
Bildquelle: Privatfoto Philip Schütz Philip Schütz, Trompeter im Rollstuhl, probierte es, an einer Musikhochschule einen der begehrten Studienplätze zu ergattern. Damit ist er eine Ausnahme, denn bei den Aufnahmeprüfungen an den drei Musikhochschulen in Bayern (München, Nürnberg, Würzburg) waren in den letzten Jahren nur vereinzelte Bewerber dabei, die eine Behinderung angegeben haben. Und im Studium ist aktuell kein einziger – so die Auskunft der Hochschulen.
Schütz schaffte die Aufnahmeprüfung. Mit der Musikakademie Frankfurt habe er "Glück gehabt", meint er. Aufgrund seiner Behinderung habe er weder bei der Aufnahmeprüfung noch im Studium besondere Hürden nehmen müssen. An manchen Musikhochschulen sei er eben wegen der Qualität seines Spiels nach Hause geschickt worden, "so wie jeder andere auch".
Ein Grund für die wenigen behinderten Musikstudenten sind nach Jürgen Dusel, dem Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, zum Beispiel die fehlende Ausstattung für sehbehinderte und blinde Menschen: "Wir haben in Deutschland die Situation, dass nur 5% der Literatur, einschließlich Musiknoten, barrierefrei zugänglich ist. Das ist aber die Voraussetzung dafür, dass sie musisch etwas machen können."
Ein weiterer Grund könnte der strenge Lehrplan sein, meint der Geschäftsführer des deutschen Kulturrats Olaf Zimmermann – wenn also beispielsweise beim Gesangsstudium als Aufnahmebedingung auch das Klavierspiel zählt, der Bewerber dazu aber körperlich nicht in der Lage ist. Außer die Anwärter überzeugen in ihrem Fach so sehr, dass andere Kompetenzfelder vernachlässigt werden können. Das ließe sich "alles irgendwie arrangieren", meint der Beauftragte für Studierende mit Behinderung/chronischer Krankheit an der Hochschule für Musik in Nürnberg, Sören Balendat.
So durfte beispielsweise ein stark sehbehinderter Student, der von 2012 bis 2016 an der Hochschule studiert hat, Prüfungen mündlich ablegen. Und das Blattspiel könne bei der Klavierprüfung durch das Hören und Wiederholen einer Taktfolge ersetzt werden, ergänzt Balendat. Lösungen dieser Art zu finden, (neue) Barrieren ausfindig zu machen und Chancengerechtigkeit herzustellen, ist seit der Mitgliederversammlung der Hochschulrektorenkonferenz 2009 einstimmig beschlossene Sache und steht unter dem Motto "Eine Hochschule für alle".
Dass Menschen mit Behinderung auch auf ihr Teilhaberecht beharren, sei aber vielleicht zu selten, so Kulturrat-Geschäftsführer Olaf Zimmermann.
Hat es ein behinderter Musiker bis zum Studienabschluss geschafft, begegnet er bei potentiellen Arbeitgebern neuen Hindernissen. Beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks stehen bauliche Probleme im Weg. Die Arbeitsvoraussetzungen ganz speziell in der Residenz und im Herkulessaal seien für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter problematisch und damit ganz besonders für Menschen mit Behinderungen, meint Orchestermanager Nikolaus Pont. Barrierefreiheit werde aber beim Bau des neuen Konzertsaals mitbedacht – vor und hinter der Bühne. Auch beim Mainfranken Theater Würzburg sollen durch die derzeit laufenden Sanierungen und Erweiterungen bis 2022 die aktuell noch bestehenden Barrieren, z.B. ein für Rollstuhlfahrer nur schwer zu erreichender Probenraum und Orchestergraben abgebaut sein.
Bildquelle: pixabay Die Bayerische Staatsoper beschäftigte zumindest in der Vergangenheit drei Geiger, einen Hornisten und einen Cellisten mit 50 bis 100 % Schwerbehinderung. Hier will man versuchen, auch in Zukunft zu gewährleisten, dass die Arbeit von Musikern mit Behinderung möglichst reibungslos von statten geht.
Natürlich ist das künstlerische Niveau ausschlaggebend für einen Platz als Berufsmusiker im Orchester. Umgekehrt müssen dann aber auch die Voraussetzungen geschaffen werden, um ihm ein barrierefreies Mitspielen zu gewährleisten, so fordert es das Sozialgesetzbuch von den Arbeitgebern. Vorausgesetzt, das Orchester ist als Unternehmen eingetragen und die Stellen der Musiker sind in einem Angestelltenverhältnis und nicht als Stellen für Freiberufler ausgeschrieben.
Philipp Schütz hat nach seinem Studium zunächst versucht, sich auf seinen eigentlichen Wunschberuf zu bewerben: Trompeter im Orchester. Nach vier Jahren hat er die Stellensuche aber aufgegeben. Dass er dabei keinen Erfolg hatte, will er aber nicht mit der Tatsache entschuldigen, dass er im Rollstuhl sitzt. Heute ist er selbst Leiter der evangelischen Sing- und Musikschule in Stadtallendorf und versucht auch hier, inklusive Arbeit in der Musik zu leisten.
Sendung: "Das Musik-Feature" am 14. Juni um 19:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (1)
Freitag, 03.Dezember, 17:56 Uhr
Udo Kaiser
Barrierefrei und laufende Sendung/Kommentar Fleder
Apropos Barrierefrei:
Schon in den frühen 80igern besuchte ich mit meinen schwerbehinderten Schülern und Patienten, als Schulmusiker und Musiktherapeut, sowie als Dozent an der VHS/Behinderung
die Münchner Konzertsäle und Musiktheater.
Heute muss ich immer wieder erleben, dass sich an den 4 Plätzen im Nationaltheater nichts geändert hat. Das auf der -Seite stehen im Herkulessaal kann nicht gelöst werden.
auch die Situation im Prinzregenten Theater ist unverändert.
dies hat sich und das muss man schon lobend erwähnen im alten Gasteig wurden wir in die Planung miteinbezogen.
Nun noch eine kleine Anmerkung zum laufenden Programm:
ich stand bis ende Januar in Düsseldorf und Solingen als Alfred in der Fledermaus auf der Bühne...im Bericht aus Regensburg werden alle Hauptpartien erwähnt...ein Alfred scheint hier nicht mitzusingen!!!UNglücklich ist wer vergisst, dass der Alfred auch da iat!!