Mittlerweile gibt es rund 20 Varianten, die Verdi selbst von "Don Carlos", dem furiosen Spiel aus Intrigen, Liebe, Macht, angelegt hat – in italienisch, französisch, mit vier und fünf Akten. Für welche Fassung hat sich Staatsintendant Jens-Daniel Herzog entschieden?
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Ein dunkelgrüner Samtsessel, darüber eine einzelne leuchtende Glühbirne: Carlos, der Sohn des mächtigen Königs Philipp, sitzt in Alltagskleidung auf dem Sessel am Bühnenrand. Staatsintendant Jens-Daniel Herzog lässt seine Sänger, hier Carlos und seinen Freund Rodrigo, französisch singen – wie in der ursprünglichen Verdi-Fassung von Paris. Herzogs "Don Carlos" beginnt auch wie in der französischen Urfassung mit dem Fontainebleau, dem ersten Akt. Carlos trifft hier seine große Liebe Elisabeth, heiratet diese, muss sie aber dann an seinen Vater abgeben – für eine politisch arrangierte Zweckehe. All das kleidet der Regisseur aber in ein zeitloses Gewand. Der Chor trägt graue Business-Anzüge, bei der berühmten Ketzerverbrennung später Clownsmasken. Das einzige Bühnenbild besteht aus riesigen, sich drehenden Wänden – die eine Seite holzvertäfelt, die andere klinisch weiß gestrichen.
Über die Fassungsfrage kann man grundsätzlich Doktorarbeiten schreiben. Für uns war wichtig, dass es den Fontainebleau-Akt gibt, den Verdi Schiller hinzugefügt hat
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Auch bei Jens-Daniel Herzogs "Don Carlos" entspinnt sich das legendär vertrackte Handlungskonstrukt Verdis: Der Freiheitskampf von Flandern unter dem herrischen, brutalen König Philipp. Der Kampf um die Liebe zwischen Carlos, Elisabeth und Philipp – dazu kommen Intrigen, Betrug, Verrat und Mord. Doch Herzog fokussiert das Innenleben seiner Protagonisten. Durch die drehenden Wände schafft Herzog verschiedene Ebenen, im braun-holzvertäfelten Raum findet die eigentliche Handlung statt – im klinisch Weißen offenbaren die Protagonisten ihre Emotionen. Carlos bleibt – auf dem grünen Sessel sitzend – während der ersten Hälfte omnipräsent.
Für uns war entscheidend: die Geschichte der Macht zu erzählen. Was Macht dem Menschen antut.
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Was viele Opernbesucher seit über 150 Jahren so leidenschaftlich für "Don Carlos" schwärmen lässt, das darf natürlich auch in Nürnberg nicht zu kurz kommen: Verdis prachtvolle Musik – in der sich intime, leise Momente mit wuchtigen Chorauftritten abwechseln. Dazwischen finden sich Gesangs-Juwelen wie etwa ein sonst seltenes Bass-Duett. All das unter der Leitung von Generalmusikdirektorin Joana Mallwitz. Sie wurde jüngst vom Fachmagazin "Opernwelt" als Dirigentin des Jahres ausgezeichnet, dirigiert die Staatsphilharmonie bei den letzten Proben gewohnt hochkonzentriert mit vollem Körpereinsatz. Im Zentrum von "Don Carlos" stehen aber nicht ihre Musiker im Orchestergraben, sondern die Sänger auf der Bühne.
Don Carlos ist eine absolute Sängeroper, sie wird getragen von diesen riesigen Arien und Duetten.
Jens-Daniel Herzog vertraut bei seinem "Don Carlos" in Nürnberg auf die musikalische Kraft Verdis – geht dabei aber auch eigene Wege. Carlos' Freund Rodrigo spielt als Freiheitskämpfer eine wichtige Rolle, trägt anfangs sogar einen Sprengstoffkoffer mit sich. Die Mönche aus Verdis Vorlage sind eine Art Geheimbund in schwarzen Anzügen. Mit Videoprojektionen an die weißen Wände – verschwommene Liebesfilme, aber auch drastische Nachrichtenszenen von Mord und Totschlag – unterstreicht der Staatsintendant seinen zeitlosen Ansatz. Für ihn ist der Kampf um Liebe und Macht heute so aktuell wie damals: "Die Story ist: Der schlimmste Diktator der Welt trifft auf den größten Freiheitskämpfer – und was passiert? Er schlägt ihm nicht den Kopf ab, sondern macht ihn zum Privatdetektiv seiner Frau. Das ist wie Yellow Press: wir gucken direkt in die Schlafkammer der Mächtigen und daraus entwickelt sich die Geschichte."
"Don Carlos" von Giuseppe Verdi in Nürnberg
Musikalische Leitung: Joana Mallwitz
Inszenierung: Jens-Daniel Herzog
Mit u.a. Emily Newton, Nicolai Karnolsky, Tadeusz Szlenkier
Sendung: "Piazza" am 28. September 2019 ab 8.05 Uhr auf BR-KLASSIK