Jens-Daniel Herzog, derzeit Intendant der Dortmunder Oper, wechselt im Herbst 2018 als Staatsintendant an das Nürnberger Staatstheater. Über seine Pläne für Nürnberg, sein großes Faible für die Barockoper und das Theater als Botschafter europäischer Werte spricht er im Interview mit BR-KLASSIK.
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BR-KLASSIK: Herzlichen Glückwunsch zur Berufung zum neuen Staatsintendanten ab 2018. Was war denn Ihre erste Reaktion, als die Findungskommission auf Sie zukam und mit Ihnen die Möglichkeit dieser Funktion auslotete.
Jens-Daniel Herzog: Für mich war das erstmal eine große Ehre, angesprochen zu werden, und ich habe mir sofort Gedanken gemacht. Es sind viele Sachen, die man dann in Erwägung zieht. Was zieht einen in so eine Stadt, was sind die Aufgaben, was ist die Herausforderung? Ich war sofort Feuer und Flamme.
BR-KLASSIK: "Oper für alle" ist ein wichtiges Stichwort, das Sie auch gestern in der Pressekonferenz genannt haben. Was verbirgt sich hinter diesem plakativen Stichwort, wie verstehen Sie "Oper für alle"?
"Oper für alle" - das neue Motto für das Nürnberger Staatstheater | Bildquelle: picture-alliance/dpa Jens-Daniel Herzog: "Oper für alle" heißt erstmal, dass wir niemanden ausschließen wollen, an diesen großen Schätzen der Musikgeschichte teilzuhaben. Und das Selbstverständnis unseres Theaters ist es, Geschichten zu erzählen. Erstmal sind das großartige Geschichten, die man gut nachvollziehen kann und die für alle sind. Das war immer eine Kunst für das Volk. Für mich ist es wichtig, dass sich ein Theater nicht als elitärer Golfclub versteht, sondern dass es alle Bürger meint und einbezieht.
BR-KLASSIK: Eine große Aufgabe, die noch größer wird, wenn man weiß, dass das Staatstheater, vor allem das Opernhaus, vor einer sehr umfangreichen Sanierungsphase steht. Ist Ihnen bange vor dieser Interimszeit der Sanierungsphase?
Jens-Daniel Herzog: Am liebsten wäre es mir, dass diese wohl dreijährige Interimszeit so wahrgenommen wird wie ein riesiges Festival über drei Jahre. Dass man danach sagt, gut, jetzt geht’s wieder ins Opernhaus, mal schauen.
BR-KLASSIK: Peter Theiler, der noch amtierende Staatsintendant, hat während seiner Amtszeit seine Aufmerksamkeit vor allem auf die "Grande Opera" gerichtet. Sie haben gestern gesagt, Sie wollen jetzt das Gegengewicht etwas stärker in den Fokus nehmen. Also nach Südosteuropa blicken. Heißt das zukünftig: mehr Schostakowitsch als Meyerbeer?
Jens-Daniel Herzog: Also insbesondere in der Oper ging der Blick mehr nach Westen, was Koproduktionen und Repertoire betrifft. Diese gewachsene Beziehung möchte ich auch weiterhin pflegen, aber darüber hinaus auch den Blick weiter nach Osten richten. Nürnberg liegt in der Nähe einer Grenze, von der die Leute denken, dass dahinter Osteuropa anfängt. In Wirklichkeit aber sind das ganze alte, großartige Kulturräume, und es ist ein Theater für Mitteleuropa, das wir hier machen wollen. Für mich ist es wirklich wichtig, dass in einer Zeit, wo das Trennen in Europa so hervorgehoben wird, das Theater als Botschafter der gemeinsamen Werte und Wurzeln fungiert.
BR-KLASSIK: Sie sind ein großer Fan der Barockoper, ein richtiger Barockfreak, wie ich gestern im Rahmen der Pressekonferenz erfahren habe. Das ist ja ein Genre, das sehr stark von der historisch informierten Aufführungspraxis dominiert wird und auch damit seinen weltweiten Rang zurückerobert hat. Fürchten Sie die Konkurrenz der Barockspezialisten? Wie wollen Sie Ihr Ensemble quasi in das Ranking hineinbringen?
Jens-Daniel Herzog: Grundsätzlich liebe ich die Barockoper wirklich sehr. Was die historische Aufführungspraxis betrifft: Ich denke, "historisch informiert" ist der richtige Begriff. Natürlich kann auch ein Stadttheater mit Spezialisten, mit guten Continuous hervorragende, wirklich barocke und alte Musikqualität erzeugen. Grundsätzlich ist die Form der Barockoper spannend. Man hat vor allem Affektpsychologie, man hat vierzig Arien, die locker aneinandergereiht sind. Man kann als Regisseur eigentlich jede Geschichte neu konstruieren.
BR-KLASSIK: Sie geraten richtig ins Strahlen, wenn Sie von der Barockoper reden. Rockmusical, Berliner Operette, große Familienopern sind weitere Stichworte zu Ihrer Agenda ab 2018. Damit gehen Sie in Konkurrenz zu überregional anerkannten und bekannten Opernhäusern, und auch zu den drei weiteren Staatstheatern hier in Bayern. Wie wollen Sie es schaffen, in der gleichen Liga zu spielen?
Jens-Daniel Herzog: Das Staatstheater Nürnberg ist das zweitgrößte Theater in Bayern. Natürlich wollen wir hier in Nordbayern auch ein Gegengewicht zu den großen Münchner Opern und Theaterhäusern darstellen. Und das werde ich mit großer Freude und großem Selbstbewusstsein auch tun. Wir wollen das Anspruchsvolle populär machen, und das Populäre anspruchsvoll. Wir wollen alle Bereiche des Theaters ermöglichen. Das sind schon neue Akzente, dass wir uns auf diese Operetten der 1920er- und 1930er Jahre fokussieren. Denken Sie daran, da waren wir eigentlich in Deutschland schon Broadway, da waren wir schon Westend. Und da sind so unglaublich wichtige Perlen für das Unterhaltungstheater zu entdecken, das möchte ich gerne weitermachen. Mich interessieren auch die Übergänge, die es zwischen zeitgenössischer Oper und dem Musical gibt, wie sie vor allem britische Komponisten gerade ausprobieren.
Das Interview führte für BR-KLASSIK Ursula Adamski-Störmer.