Goyo Montero inszeniert den Kampf gegen die Windmühlen mit wuchtigen Bildern und einem weiblichen närrischen Ritter. Don Quijote als Tanztheater-Uraufführung und mit eigens komponierter Musik des kanadischen Klangkünstlers Owen Belton. Eineinhalb Jahre hat der Ballettchef mit seinem Ensemble an seiner Version des spanischen Klassikers der Weltliteratur gearbeitet.
Bildquelle: Jesús Vallinas
Kritik - Don Quijote am Staatstheater Nürnberg
Kampf gegen Windmühlen im Hier und Jetzt
Bloß die Balance halten! Ein Seiltänzer versucht, mit einer Stange in der Hand und unter einer Wolke aus Nebel, Staub und Rauch still und leise über die Bühne der Nürnberger Oper zu gelangen. Um ihn herum liegen die Tänzer der Compagnie auf großen Sandsäcken. Das Vorhaben des Seiltänzers scheitert kläglich, einmal, weil er eine Hose aus etlichen kleinen Glocken trägt, zum anderen, weil sich die Szenerie um ihn herum immer dreht.
Bildquelle: Jesús Vallinas Montero skizziert in einer fast 30-minütigen, furiosen Einstiegssequenz seine Idee von Don Quijote. Über der ganzen Szenerie liegt eine Art Sepia-Filter: Licht, Kostüme - alles mehlig beige. Don Quijote ist eine junge, kindliche Frau, seine Angebetete Dulcinea ein Mann, eine Drag-Queen im opulenten staubig-weißen Ballkleid. Die Tänzer drehen selbst im Minutentakt das gesamte Bühnenbild im Kreis, darunter auch eine raumgreifende rostfarbene Wand. Der Autor der literarisches Vorlage von Don Quijote Cervantes ist ebenfalls auf der Bühne, trägt schwer an einem Koffer, in dem sein Werk, seine Kreativität steckt.
Die Tänzer erobern den Koffer des Schriftstellers: Jeder liest den Monolog des Buches in seiner Muttersprache, ein babylonisches Sprachengewirr. Schon hier wird klar: Goyo Montero löst sich mit Don Quijote von seinen sonst so dunklen, düsteren, schwarz-grauen Inszenierungen.
Das ist auch für mich ein Weg in eine neue choreographische Richtung.
Bildquelle: Jesús Vallinas Nach dem Prolog lässt Montero die Balance kippen. Er verwebt die heldenhaften Geschichten Don Quijotes mit dem Hier und Jetzt. Da ziehen sich Tänzer zu Wellengeräuschen aus dem Orchestergraben auf die Bühne, scheitern aber an der rostbraunen Mauer - unter Alarmsirenen. Trump lässt grüßen. Während Don Quijote auf einer zum Pferd umgebauten Stehlampe reitet, werden vor ihm Tänzer mit der Rauchkanone traktiert. Sancho Panza wird am Ende zum Diktator, lässt sein Volk in eine Windmühle spannen und foltern, Nordkorea lässt grüßen. Don Quijote versucht immer wieder einzugreifen, ohne dauerhaften Erfolg
Wir brauchen Don Quijote in unseren Leben. Wir brauchen jemanden, der kommt und uns sagt, die Welt kann verändert werden.
Bildquelle: Jesús Vallinas Faszinierend ist, wie Goyo Montero scheinbar nebenbei und spielend diese Balance zwischen der literarischen Traum- und der heutigen Horrorwelt schafft. Zwischendurch darf Don Quijote hinter Vorhängen als Schattenspiel wirklich gegen Riesen, Drachen und Windmühlen kämpfen.
Der Ballett-Chef vertraut auf sein Gespür für Bilder, greift auf seinen immensen Ideen-Fundus zurück: etwa ein Lanzen-Pas de Deux. Owen Beltons sphärische Klangwelten lassen Musik und Tänzer eins werden – inklusive passgenauen Stöckelschuh-Klängen. Eine der besten Szenen: ein gesplitteter Pas de Deux zwischen Dulcinea und Don Quijote. Tänzer Ivan Delgado singt als Dulcinea im Ballkleid ein bedrückend-trauriges spanisches Lied, während eine Tänzerin als Dulcinea mit Don Quijote tanzt: Verspielt, kindlich, verschroben, auf der Bühne rollend.
Vor allem auf sein Ensemble kann sich Montero bei seinem Don Quijote verlassen. Das zeigt sein schauspielerisches, pantomimisches Können. Montero setzt mehr auf Tanztheater als klassischen Tanz. Beeindruckend, die rar gestreuten Ensemble-Tanzszenen. Da entreißt Don Quijote einmal dem gierigen Volk die Klingelbeutel, das Geld. Die Tänzer fallen zuerst zu Boden, setzen sich dann aber wie in einem Körperpuzzle wieder zusammen, bauen sich mit großen Gesten wieder auf, streben nach oben - um dann doch wieder bucklig dem Geld zu folgen.
Doch die Balance hält leider nicht immer. Goyo Montero gibt alles und will manchmal zu viel. Auch das Ende gerät nach all der Bedrückung arg süßlich. Ein Traum-Epilog unter einem weißem Nebel zu Chopin. Wirklich vom Seil stößt das die Uraufführung aber nicht. Dafür ist die Opulenz, die Wucht der Bilder zu groß. Der begnadete Geschichtenerzähler Goyo Montero hat mit dem Fantasten Don Quijote seinen Meister gefunden.
Choreographie und Inszenierung: Goyo Montero
Musik: Owen Belton (Auftragskomposition)
Uraufführung: 22. April 2017.
Weitere Vorstellungen:
28. April 2017, 12./15./18./20./24./26./31. Mai 2017
Weitere Vorstellungstermine und Infos finden Sie unter staatstheater-nuernberg.de
Thema in der Sendung "Allegro" am 24. April 2017, 06.05 Uhr auf BR-KLASSIK