Das Londoner Opernhaus kann auf eine lange Geschichte zurückblicken. Finanziell steckt die ENO aber seit Jahren in der Klemme und soll sich jetzt gesund schrumpfen. Kultureller Kahlschlag oder der richtige Weg zu einem vernünftigen Unternehmenskonzept?
Bildquelle: Grant Smith
English National Opera
London Opernhaus in der Krise
Wenn die English National Opera, kurz ENO, Publikumslieblinge wie "The Mikado" auf die Bühne bringt, dann ist der Applaus des Publikums immer sicher. Die beschwingte Oper von "Gilbert & Sullivan" lockte in der vergangenen Saison auch genügend Zuschauer an und war regelmäßig ausverkauft. Doch längt nicht alle Produktionen sind so erfolgreich. Die ENO veröffentlicht derzeit keine Auslastungszahlen - Kulturinsider vermuten, dass die so erschreckend niedrig sind, dass es eine Schmach wäre. Das Gebäude, in dem die ENO residiert, das Coliseum mitten im Londoner Westend, ist mit 2.350 Plätzen das größte Theater in London. Vor 50 Jahren ist die ENO dort einzog. Doch möglicherweise ist das Haus einfach überdimensioniert.
Das Coliseum ist viel zu groß. Wenn sie 1.500 Plätze zu füllen hätten, wären sie bei der ENO vermutlich viel glücklicher.
Das Jahr 2015 war eine Katastrophe für die English National Opera. Der britische Arts Council, der die staatlichen Zuschüsse verteilt, strich die Oper im Februar aus dem nationalen Portfolio der geförderten Institutionen. Sie erhält nur noch Sondersubventionen, die auf zwei Jahre begrenzt sind. Die ENO verlor damit erstmal fünf Millionen Pfund, ein Drittel ihrer Finanzierung. Kriegt das Haus seine Finanzen nicht wieder in den Griff, droht die Schließung.
Finanzielle Probleme hatte die ENO schon seit Jahren. Die "Times" rechnet vor, dass in den vergangenen zwei Jahrzehnten 33 Millionen Pfund Steuergelder in die Opernkompanie gepumpt wurden, um sie immer wieder vor der Pleite zu retten. Querelen angesichts der finanziellen Misere führten dazu, dass im vergangenen Jahr innerhalb kurzer Zeit die gesamte Führungsriege ging. Der Vorstandsvorsitzende nahm nach einem Streit mit dem künstlerischen Direktor John Berry seinen Hut. Berry selbst ging, nachdem die Geschäftsführerin gekündigt hatte. Geleitet wird die ENO jetzt von einer 33-jährigen Geschäftsführerin der Unternehmensberatung McKinsey. Viele halten Cressida Pollock vor, dass sie keine Erfahrung im Kultursektor hat. "Aber wer weiß, vielleicht macht sie das toll", gibt Will Gompertz zu Bedenken und fügt hinzu: "Die ENO will einen Strich unter den Kampf der letzten zwanzig Jahre ziehen und als Oper für das 21. Jahrhundert daraus hervorgehen."
Pollock will ein Geschäftsmodell entwickeln, bei dem öffentliche Förderung nur noch 35 Prozent der Finanzen ausmacht statt wie bisher 50 Prozent. Das geht nicht ohne Kürzungen. 350 Mitarbeiter hat die ENO im Moment. Dazu gehören ein hauseigenes Orchester mit über 60 Musikern und ein hauseigener Chor mit 45 Sängerinnen und Sängern. Feste Ensembles zu beschäftigen ist in Großbritannien absolut unüblich. Deshalb könnten Orchester und Chor wohl auf der Streichliste landen. Und das Programm für die neue Saison soll stark abgespeckt werden: Nur acht Opern will die ENO in der kommenden Saison inszenieren. Vor zehn Jahren waren es noch 18 im Jahr.
Solche Veränderungen bedrohen die schiere Existenz der ENO.
Die ENO ist ein traditionsreiches Opernhaus, mit dem sich nun viele andere Häuser solidarisieren. | Bildquelle: imago images Unterdessen solidarisiert sich die Kulturwelt mit der English National Opera. 30 Opernhäuser aus aller Welt, darunter die Mailänder Scala und die Met in New York, unterschrieben einen Brief, in dem es heißt: "Es ist nicht der Fehler der ENO, dass sie unter ähnlichen finanziellen Problemen leidet wie viele internationale Opernhäuser". Und berühmte Dirigenten wie John Eliot Gardiner oder Marin Alsop formulierten in einem anderen Brief: "Solche Veränderungen bedrohen die schiere Existenz der ENO. Wir sprechen uns klar gegen alles aus, was diesen Zusammenschluss großartiger Musikerinnen und Musiker bedroht." Tom Sutcliffe war früher selbst Opernsänger und arbeitet seit Jahrzehnten als Opernkritiker für renommierte britische Zeitungen. Er hält es für einen Trugschluss, daß man spart, wenn man Chor und Orchester entlässt und das Repertoire eindampft. Sutcliffe kann es nicht fassen, dass es nicht möglich sein soll, in London zwei funktionierende Opernhäuser zu betreiben. "London hat neun Millionen Einwohner und Berlin gerade mal die Hälfte. Und Berlin hat drei oder sogar vier Opern, wenn man Neukölln mitzählt", erklärt er. "Müsste die ENO dicht machen, wäre das ein Desaster." Er wirft der britischen Politik vor, sie spare die Oper kaputt und zwar schon seit Jahrzehnten. Anders als in Deutschland habe man in Großbritannien, das kein traditionelles Opernland sei, nicht verstanden, dass Oper ohne Subvention nicht funktioniert. München mit seinen 1,5 Mio Einwohnern etwa fördere seine zwei Opern mit doppelt so viel Geld wie London seine beiden Opernhäuser. Und schließlich subventioniere der Staat ja auch andere Dinge, die er für wichtig halte - wie öffentlichen Nahverkehr oder Schulen. "Oper ist so aufwändig wie einen Film zu drehen", so Sutcliffe. "Darum sind die Produktionskosten sehr hoch und ein großes Risiko. Deutschland hat das verstanden. Deutschland ist das Vorbild, wenn es um die Finanzierung dieser Art von Kultur geht, und darum gibt es da ziemlich viele erfolgreiche Opern." Sutcliffes Notfall-Rezept für die strauchelnde ENO: Immer für möglichst große Auslastung sorgen. Und natürlich spielen Ausgabenkontrolle und vernünftige Preisgestaltung auch eine Rolle, gibt Sutcliffs zu.
Nur wenn die Leute ins Theater strömen, kann man Öffentlichkeit und Politik hinter sich bringen.
Einen Weg, das Coliseum zu füllen, haben die ENO-Betreiber schon gefunden. Sie vermieten das riesige Theater zwischendurch an populäre Musical-Produktionen. Ab April läuft dort "Sunset Boulevard" mit Glenn Close in der Hauptrolle. Tom Sutcliffe ist kein Freund solcher trivialen Kassenschlager. Er könnte sich eher einen Verbund der Hochkulturen vorstellen: "Warum tut sich die ENO nicht mit dem National Ballett zusammen?", schlägt Sutcliff vor. "Ballet ist viel günstiger in der Produktion. Und sie könnten der künstlerischen Ausrichtung treu bleiben und müssten keinen Kompromiss eingehen."
Welche Einschnitte, welche Kompromisse oder welches neue Konzept der ENO am Ende wieder auf die Beine helfen könnten, ist noch völlig offen. Eins ist für Sutcliffe allerdings undenkbar - dass es die Englisch National Opera in ein paar Jahren nicht mehr geben könnte: "Sie ist als historische kulturelle Institution zu bedeutend, als dass man sie opfern würde."