Die English National Opera in London kämpft ums Überleben. Zuletzt, weil der Arts Council Teile der staatlichen Zuschüsse gestrichen hat. Eine unhaltbare Situation, meint Sir Peter Jonas. Der frühere Intendant der Bayerischen Staatsoper war zuvor Leiter der ENO.
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Es ist eine komplizierte Konstruktion: In Großbritannien greift nicht die Regierung in die Kulturförderung ein. Das Geld verteilt der Arts Council, um eine Einflussnahme der Regierung zu verhindern. Diese Konstellation hat im Fall der ENO zu Konfliktpotential geführt, sagt Sir Peter Jonas im BR-KLASSIK-Interview.
BR-KLASSIK: Sir Peter, warum steckt die ENO eigentlich in der Krise?
Peter Jonas: Das ist eine sehr komplizierte Geschichte voller bürokratischer Intrigen, Attentate und kulturellem Vandalismus. Es geht um political correctness, Erbpacht, Immobilien, und es ist auch eine lange Geschichte zwischen der Arts Council of Great Britain - beziehungsweise heute Arts Council of England - und der English National Opera, die der älteste Opernbetrieb im Vereinigten Königreich ist - und eigentlich auch der Mittelpunkt und die Säule des englischen Opernlebens war und ist.
BR-KLASSIK: Fangen wir mal bei der Erbpacht an: Gespielt wird im Coliseum. Das ist ein riesiges Haus mit über 2.000 Plätzen im Londoner West End. Was ist das Problem bei diesem Grundstück beziehungsweise bei diesem Gebäude?
Peter Jonas: Zu meiner Zeit bei der ENO haben wir versucht, diese Gebäude zu kaufen. Wir haben die Regierung überzeugt, uns zu helfen, die Gebäude zu kaufen. Und in den letzten Stunden der konservativen Regierung vor der Wahl haben die dieses Geld durch das Parlament bewilligt. Nur: Der Arts Council war sehr böse darüber, denn diese Entscheidung ging nicht durch den Arts Council, aber unsere Subvention natürlich schon. Da gab es eine große Kontroverse. Voraussetzung für zukünftige Subventionen war, dass eine Art von Hypothek auf dieses Gebäude eingetragen wird. Diese Hypothek besagt, dass, wenn die ENO nicht mehr Vollzeit-Opernbetrieb oder Opern- und Ballettbetrieb ist, dann könnte das Grundstück an den Arts Council fallen. Das Arts Council könnte es dann verkaufen oder für andere Zwecke nutzen. Das ist der Hintergrund. Jahrelang hat der Arts Council versucht, die künstlerische Politik zu beeinflussen und dann haben sie gesagt, dass die ENO zu teuer sei und Covent Garden zu große Konkurrenz mache.
BR-KLASSIK: Es ist ja von fünf Mio. Euro die Rede, die auf einen Schlag weniger da sind. Würden Sie sagen, dass das auch eine Strafaktion ist, damit der Arts Council das Grundstück tatsächlich wieder selber in die Hände bekommt?
Peter Jonas: Manche Leute, und ich bin einer davon, denken, das ist der Hintergrund dieser Aktion. Die haben sogar auf einen Schlag vor drei Jahren 29 Prozent der Subventionen einfach gestrichen. Ohne Wenn und Aber. Das heißt von 17,5 Mio. Pfund (etwa 20 Mio. Euro) auf 12,5 Mio. Pfund (14 Mio. Euro). Das ist eine riesige Kürzung. Was kann eine Opern-Compagnie tun? Sie hat Verträge, sie kann nicht so schnell umsteuern. Mein Gedanke ist: Der Arts Council wollte die ENO zwingen, kleiner zu werden. So klein, dass es nicht ein Vollzeit-Opernbetrieb bleibt. Die haben gedacht, okay, wir schaffen das und dann können wir die ENO zwingen, sich in eine kleinere Opern-Compagnie zu verwandeln oder vielleicht auch abenteuerlich in der Region zu spielen, und dann können wir das Coliseum klauen und verkaufen oder für andere Zwecke nutzen.
BR-KLASSIK: Da gibt es jetzt ja auch schon Überlegungen, dass man dort Musicals spielt oder anderes, eben eine kommerziellere Nutzung. Aber gibt es nicht viele Gegenstimmen in England, die sagen, das kann ja wohl nicht sein, dass eine Institution wie der Arts Council eingreift und auch das künstlerische Programm mitbestimmt? Hier bei uns passiert das ja äußerst selten.
Peter Jonas: Es gibt wirklich Empörung. Unter Künstlern und in der kulturinteressierten Bevölkerung. Auch, weil Sinn und Zweck des Arts Council war, solche Institutionen zu schützen. Und wirklich der gewählte Advokat, der Fürsprecher zu sein. Und vor allem hat die English National Opera eine noble Geschichte. Das ist der älteste Opernbetrieb in England. Die ENO war immer berühmt als "Labor" der angelsächsischen Oper. Interessanterweise ist die ENO bis heute, trotz dieser Krise, der größte Koproduzent. Wenn man in die Bayerische Staatsoper geht, in die MET, nach Paris, oder nach Amsterdam, da macht man oft das Programmheft auf und liest "Co-Production with English National Opera." Es produziert, koproduziert und stellt her, also lauter Bühnenbild-Produktionen für andere Häuser. Das Haus ist wirklich ein wichtiger Teil der europäischen Operntradition.
BR-KLASSIK: Wenn ich das, was Sie uns erzählt haben, Sir Peter, nochmal zusammenfasse, dann entsteht der Eindruck, dass diese Konstellation mit den Finanzen und der Einflussnahme durch den English Arts Council, die Sie uns gerade geschildert haben, da kann man doch sagen, de ENO hat doch eigentlich gar keine Chance, sich da neu auf die Beine zu stellen, denn erstmal braucht sie ja wieder Geld, das ihr jetzt genommen worden ist, um überhaupt weitermachen zu können.
Peter Jonas: Völlig richtig, aber es gibt auch einen anderen Aspekt: Vor 20 Jahren, in meiner Zeit an der ENO zum Beispiel, war der Board, der Aufsichtsrat wahnsinnig stark. Er hat viel Einfluss, in der Politik und gegenüber dem Arts Council. Unser Board damals, in den 80er Jahren, hat zwei oder drei Mio. selbst gespendet. Und er hat weitere ein bis drei Mio. per Fundraising eingetrieben. Heutzutage muss ich ehrlich sagen, ist der ENO Board sehr fliegengewichtig. Die haben nicht so viel Geld über Fundraising eingenommen. Heutzutage muss man auch Privatgeld zusätzlich heranschaffen. Deshalb bin ich sehr pessimistisch über diese Situation, denn der jetzige Aufsichtsrat hat nicht die Leute, die stark genug sind, auf der einen Seite mit dem Arts Council zu kämpfen, auf der anderen Seite bei der Regierung Lobbyarbeit zu betreiben, und von dritter Seite Spenden, Geld heranzuschaffen. Das macht mir Angst. Ich habe wirklich Angst um die Zukunft der ENO.
Das Gespräch führte Elgin Heuerding für BR-KLASSIK.