"Eugen Onegin" erzählt in lyrischen Szenen über die Unmöglichkeit der Liebe. Das Gärtnerplatztheater in München startet mit dieser Oper von Peter Tschaikowsky in die neue Spielzeit 2020/21 – mit reduziertem Orchester und Abstandsregeln. Leider lässt die museale Inszenierung Herzklopfen vermissen, meint BR-KLASSIK-Kritiker Peter Jungblut.
Bildquelle: Christian POGO Zach
Klingt alles ziemlich nervös, was Tschaikowsky da komponiert hat, und zwar mit gutem Grund. Geht es doch um die mehr oder weniger geheimen Leidenschaften von lauter Menschen, die permanent hin und her gerissen sind zwischen Neigung und Pflicht. Nach außen waren damals, im 19. Jahrhundert, eben die gesellschaftlichen Formen zu wahren. Innen wüteten die Gefühle – keiner wusste das besser als Tschaikowsky, der sich ständig in Männer verliebte, ohne das zeigen zu dürfen. Er hatte also Ahnung von der bisweilen unerträglichen Spannung zwischen Schein und Sein, die auch seinen "Eugen Onegin" nach dem gleichnamigen Versepos von Puschkin prägt.
Lauter Menschen im Ausnahmezustand! Als die Oper das letzte Mal in München neu herauskam, im Oktober 2007 an der Bayerischen Staatsoper, gab es viel Radau, weil der damalige polnische Regisseur Krzysztof Warlikowski schwule Cowboys auftreten ließ, der Film "Brokeback Mountain" hatte zu der Zeit gerade viel Furore gemacht. Diese sehr deutlichen Anspielungen einer Männerliebe gefielen dem Publikum gar nicht, schließlich hatte es, wie der Untertitel sagt, "Lyrische Szenen" erwartet, keine drastischen. Entsprechend umstritten und vergleichsweise unterdurchschnittlich besucht blieb die Produktion.
Camille Schnoor als "Tatjana", Anna Agathonos als "Amme" | Bildquelle: Christian POGO Zach Nun, lyrisch ging es diesmal bei der Premiere im Gärtnerplatztheater tatsächlich zu, streckenweise allzu gediegen, ja betulich. Der derzeit viel gefragte junge Regisseur Ben Baur, der auch die Ausstattung übernommen hatte, präsentierte einen "Eugen Onegin" im Theatermuseum, weil er die Geschichte wohl optisch in einer Zeit belassen wollte, in der es noch Konventionen gab, zumindest im Hochadel. An der Rampe funkeln Glühlampen wie im Vaudeville anno dazumal, auf der Bühne zwei graugrüne Vorhänge, die sich leicht zuziehen lassen, wenn mal jemand seine Ruhe haben will, aber auch muffig wirken - vermutlich mit voller Absicht.
Rundherum Lamellen-Türen, könnte ein düsterer Gartensaal irgendwo auf dem flachen Land sein, fast schon ein Spukschloss an der Wolga. Tatsächlich wird die alte Amme Filipjewna dahin gerafft, als der Hausball entgleist und in Duell-Forderungen ausartet – Herzinfarkt statt Herzklopfen! Der Sarg steht schon bereit und wird nach der Pause ordnungsgemäß der Bestattung zugeführt. Auch die Kostüme von Uta Meenen verweisen auf das 19. Jahrhundert, alles ganz weit weg. Was Ben Baur an dem Stück eigentlich interessierte, blieb ziemlich vage, und so plätscherte die Handlung denn auch recht harmlos dahin, wenn manche Bilder auch erlesen ausgeleuchtet waren.
Mathias Hausmann, Anna-Katharina Tonauer, Lucian Krasznec und das Ensemble | Bildquelle: Christian POGO Zach Acht Tanzstatisten mühten sich redlich, mal ein Erntefest, mal einen Ball zu beleben, immer auf Abstand und ohne Berührungen, wie es die Regeln vorsehen. Das wirkte mehr als einmal recht gestelzt und gezwungen, die Hoffnung des Regisseurs, Corona vergessen zu machen, erfüllte sich leider nicht. Zumindest wurde nicht deutlich, ob die hölzernen Bewegungen so marionettenhaft wirken sollten oder ob das auf die schwierigen Probenbedingungen zurückzuführen war. Im Graben saß ein reduziertes Orchester. All das führte dazu, dass diesem "Eugen Onegin" doch einiges fehlte, nämlich akustische Opulenz, schauspielerische Intensität, auch Tempo und eine Glut, für die Tschaikowsky ja eigentlich bekannt ist.
Dirigent Anthony Bramall gelangen die neurotischen Passagen mit bibbernden Geigen und zitternden Bläsern besonders gut: Ein fiebriges Geschehen, wenn der Ausdruck in Pandemie-Zeiten nicht so doppeldeutig wäre. Typisch russische, auch mal riskante Leidenschaft war weniger zu hören. Unter den Sängern drehte Lucian Krasznec als Lenski mächtig auf, mitunter eine Spur zu laut und grell für diese melancholische Rolle. Mathias Hausmann war in der Titelrolle eher ein unsteter, etwas verwahrloster Intellektueller als der arrogante, weltläufige Gesellschaftslöwe, wie ihn Puschkin vor Augen hatte. Camille Schnoor als Tatjana gelang eine stimmlich makellose Briefszene, die ja zweifellos der Höhepunkt dieser Oper ist. Der serbische Bass Sava Vemić räumte als Fürst Gremin beim Publikum groß ab, die sentimentale Arie des glücklichen Ehemanns ist eine sichere Bank. Insgesamt ein zwiespältiger Premieren-Auftakt am Gärtnerplatztheater. Sehr freundlicher Beifall von vielen dankbaren Opernfreunden, die natürlich einigermaßen bang in die Zukunft schauen.
Sendung: "Allegro" am 9. Oktober 2020 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (1)
Samstag, 10.Oktober, 21:49 Uhr
Ursula Bernhard
Onegin-Kritik
Ojoijoijoijoi