Am 22. April überträgt BR-KLASSIK Tschaikwoskys "Eugen Onegin" live aus der New Yorker MET. Die Titelrolle singt der schwedische Bariton Peter Mattei - neben Anna Netrebko als Tatjana. Im Interview spricht er über den komplizierten Charakter Onegins, seine eigenen Anfänge als Sänger und sein Hobby: das Banjo.
Bildquelle: Håkan Flank
Das Interview in voller Länge zum Anhören
BR-KLASSIK: Peter Mattei, Sie sind in Schweden ziemlich bekannt, und Schweden ist ein Land, in dem verdienstvolle Sänger nicht nur etwa Kammersänger werden, sondern vom König zum Hofsänger ernannt werden. Sie tragen diesen Titel seit 2004 und reihen sich damit in eine illustre schwedische Sängerriege ein: Jussi Björling, Birgit Nilsson, Elisabeth Söderström, Nicolai Gedda, Gösta Winbergh, Anne Sofie von Otter. Welche Verpflichtungen hat man als Hofsänger?
Peter Mattei: Immer wenn es eine Hochzeit gibt, wird man gebeten zu singen. Wenn man Zeit hat, macht man das natürlich. Das ist keine lästige Pflicht, sondern eine große Ehre. Es gibt noch viel mehr Sänger, die den Titel Hofsänger tragen, als die, die Sie erwähnt haben. Das waren nur die berühmtesten. Man kann also auf einen recht großen Pool zurückgreifen.
BR-KLASSIK: Wann ist die Musik in Ihr Leben getreten?
Bildquelle: Håkan Flank Peter Mattei: Ich singe schon mein ganzes Leben, auch wenn es ganz am Anfang keine klassische Musik war. Wenn es zu Hause ein Fest gab, habe ich für meine Familie und Freunde gesungen. Mein Vater war kein Musiker, sondern Fabrikarbeiter. Er kam in den 50er, 60er Jahren als italienischer Gastarbeiter nach Schweden. Meine Mutter hat in einer Bäckerei gearbeitet. Zur klassischen Musik kam ich erst viel später. Den Gesang habe ich von meinen Eltern. Sie haben beide gerne gesungen. Mein Vater hatte viele Platten - zum Beispiel neapolitanische Lieder mit dem italienischen Sänger Robertino Loreti. Die haben wir zusammen immer mitgesungen. Wir hatten ein riesiges Grammophon, in das man fast hineinhüpfen konnte. Robertino war sozusagen mein erster Lehrer im klassischen Belcanto. Ich hatte die gleiche Stimmlage wie er, deshalb konnte ich das ganze Repertoire singen. Das hat sicher mit dazu beigetragen, dass ich Sänger geworden bin.
BR-KLASSIK: Inzwischen haben Sie Karriere gemacht. Haben Sie, als Sie sich auf die Oper einließen, schon an einen derart dicht gefüllten Terminkalender gedacht, wie ihn ein Sänger bewältigen muss?
Peter Mattei: Ich habe mich immer nur mit jeweils einem Projekt beschäftigt. Wenn ich ein gutes Feedback und ein neues Engagement bekommen habe, war ich immer glücklich. Meine Leidenschaft gehört dem Gesang und der Musik. Nur das war mir wichtig, nicht die große Karriere. Ich wollte mich vor allem konzentrieren. Nachdem ich in den 90er Jahren den Film "Backanterna" mit Ingmar Bergman gedreht hatte, ist ein richtiger Hype losgegangen. Wenn man mit Ingmar Bergman zusammenarbeitet, wollen plötzlich alle Journalisten ein Interview haben. Damals habe ich ja noch studiert. Das war schon was: direkt von der Musikhochschule zu einer schwedischen Berühmtheit aufzusteigen.
Danach brauchte ich eine kleine Auszeit. Peter Brook wollte damals, dass ich den Pelléas für ihn singe. Aber ich sagte ihm, dass ich noch nicht so weit sei. Ich wollte zuerst noch ein oder zwei Opern in Schweden singen, um mich in meinem Metier sicherer zu fühlen. Peter Brook hat mich später wieder angefragt und zwar für "Don Giovanni". Das hat dann genau gepasst; und danach ging es immer weiter. Ich glaube, dass man für alles den richtigen Beweggrund haben muss. Und meiner ist die Liebe zur Musik. Entweder die Karriere startet oder nicht. Aber man sollte nicht nur daran denken, das ist meine persönliche Sicht.
BR-KLASSIK: Wie würden Sie die Figur des Eugen Onegin, die Sie in New York singen, beschreiben?
Peter Mattei: Er ist eine sehr vielschichtige Figur, die ich immer noch nicht so richtig erfasst habe. Ich spüre ihm regelrecht nach, aber er entwischt mir immer wieder. Wahrscheinlich hat es auch mit Puschkins poetischem Schreibstil zu tun. Jedenfalls kann man Onegin aus drei verschiedenen Blickwinkeln betrachten. Im Mittelteil der Oper, auf dem Fest, ist er recht eindeutig zu verstehen. Er ist gelangweilt, frustriert und macht sich über Lenski lustig. Es war sicher nicht seine Absicht, Lenski beim Duell zu töten.
Bildquelle: Håkan Flank In diesen Situationen weiß man, wer er ist. Auch Puschkins Sprache ist hier sehr klar und das Russische sehr eindringlich. Zu Beginn dagegen ist er nicht leicht zu fassen. Man weiß nicht recht, was er will. Er bleibt ein Rätsel für Tatjana, für mich und für sich selbst auch. Ich glaube, er weiß selbst nicht, wer er ist und wohin er eigentlich will. Er ist in seiner eigenen Schönheit und in seinem Lebensstil gefangen.
Im letzten Akt ist er ein ganz anderer. Nach langen Jahren der Abwesenheit, nach dem Duell mit Lenski, spüre ich ein Gefühl der Todesnähe in ihm. Er erinnert mich an eine Supernova. Bevor ein Stern stirbt, scheint er noch mal extrem hell. Onegin fühlt nun so stark wie noch nie. Er hat keine Angst mehr vor seinen Gefühlen, weil er bald sterben wird. Zumindest sehe ich es so. Zu all diesen unterschiedlichen Aspekten seines Charakters muss man einen Bogen schlagen. Es ist wirklich eine knifflige Rolle. Ich bin froh, dass ich Onegin in diesem Jahr sehr oft singen werde. Jedes Mal wenn ich ihn singe, fühle ich mich wie ein Schuljunge. Aber so geht es mir mit allem. Man begreift eigentlich nie etwas. Und wenn man meint, man hat es verstanden, war es doch nur eine Illusion. Aber das macht den Beruf so spannend.
BR-KLASSIK: Was treibt Sie auf die Opernbühne?
Peter Mattei: Der Wunsch nach dem perfekten Beruf. Und die große Lebendigkeit. Wenn man einmal gespürt hat, wie Stimme und Körper eins geworden sind, will man diesen Zustand immer wieder erreichen. Man muss immer weiterproben, um frei zu werden. Deswegen singe ich immer wieder gerne die gleichen Partien. Wenn ich ein Stück wirklich gut kenne, dann fühle ich mich frei. Eine Rolle ist beim ersten Mal am einfachsten. Genauso wie bei einer Party. Wenn ich eine gelungene Party ganz genauso wiederholen möchte, wird sie beim nächsten Mal nicht so gut werden. Man muss sich das Gelingen beim nächsten Mal hart erarbeiten. Aber wenn es dann klappt, ist es ein ganz tolles Gefühl.
BR-KLASSIK: Lieben Sie auch Musik außerhalb der Oper?
Peter Mattei: Absolut. Vor zwei Jahren habe ich mir ein Banjo gekauft und angefangen, das Spielen darauf zu lernen. Ich spiele jetzt Bluegrass. Es tut gut, das Banjo bei sich zu haben, wenn man weit weg ist von der Familie. Dann weiß man, was man am Abend und bis zum nächsten Auftritt zu tun hat.
BR-KLASSIK: Wenn Sie ein Stück wählen müssten, um jemanden für Klassik zu begeistern, welches würden Sie aussuchen?
Peter Mattei: Wir haben einen Liederabend in Nordschweden gegeben, bei dem wir schwedische Musik gesungen haben und einige Lieder aus Schuberts "Schöner Müllerin". Dem Publikum gefiel das sehr gut. Aber erst mit Mahlers "Ich bin der Welt abhanden gekommen" kam eine ganz außergewöhnliche Stimmung auf. Schon bei den ersten Takten des Klaviers. Ich glaube, dieses Lied berührt uns ganz intuitiv, selbst wenn man sonst keine Ahnung davon hat. Sogar einen Außerirdischer würde dieses Lied berühren. Nach diesem Lied kann nichts mehr kommen.
Die Fragen stellte Dorothea Hußlein für BR-KLASSIK.
Samstag, 22. April, ab 19.05 Uhr
Eugen Onegin - Peter Mattei
Tatjana - Anna Netrebko
Olga - Elena Maximova
Lenski - Alexey Dolgov
Fürst Gremin - Stefan Kocán
Metropolitan Opera Chorus
Metropolitan Opera Orchestra
Leitung: Robin Ticciati