Misserfolg für Beethoven: Als der Komponist die erste Fassung seiner einzigen Oper "Fidelio oder die eheliche Liebe" 1805 im Theater an der Wien uraufführte, fiel das Stück beim Publikum durch. Nun hat Regisseurin Amélie Niermeyer den Ur-"Fidelio" an der Wiener Staatsoper inszeniert, als zentralen Beitrag zum Beethovenjahr 2020. Und wieder war die Reaktion des Publikums vernichtend.
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Die Premierenkritik zum Anhören
Alles allzu Pathetische scheint zu fehlen in dieser Urfassung von Beethovens einziger Oper "Fidelio". Es geht nicht nur um Gefängnis, sondern auch um Eheglück und verpasste Liebe. "Um in der Ehe froh zu leben, muss man vor allem treu sich sein", singt Marzelline, wenn Fidelio und sie gemeinsam ihre Hochzeit planen.
Gewaltsam entführt: Florestan (Benjamin Bruns) | Bildquelle: © Wiener Staatsoper GmbH / Michael Pöhn Es wäre eine interessante Erfahrung, Beethovens Klassiker auf diese Weise wieder als Zuschauer neu zu entdecken, seine Entstehung und Verformungen zu rekonstruieren. Aber die Wiener Staatsoper misstraut dann doch der Erstfassung. Denn die dreiteilige, sehr dialogreiche Urfassung ist wieder zweigeteilt. Moritz Rinke hat sie mit einem kurzen neuen Libretto versehen. Vor allem die Inszenierung von Amélie Niermeyer stellt die Handlung in einen vollkommen neuen Zusammenhang. Fidelio in naher Zukunft, eine politische Kolportage.
Während der Ouvertüre vergnügen sich zunächst das Liebespaar Florestan und Leonore in einem Hotelzimmer. Florestan geht ins Bad, aber er kommt nicht wieder. Leonore findet nur sein blutiges Hemd. Florestan verschleppt, entführt. Das Trauma Leonores beginnt. Sie spaltet sich in zwei Personen, eine hoffnungsvolle, die singt und eine, die sie kommentiert. Sie hofft Florestan schließlich in einem aufgelassenen Bahnhof zu finden, in dem politische Gegner versteckt werden. In seiner Architektur (Bühne: Alexander Müller-Elmau) erinnert er an den Wiener Westbahnhof. Doch als sie ihn befreien will, wird Leonore von Pizarro erschossen. Das glückliche Finale – nur eine Todesfiebervision, alle Figuren im Karnevalsglitzerkleid.
Doppelte Leonore: Sängerin Jennifer Davis und Schauspielerin Katrin Röver | Bildquelle: © Wiener Staatsoper GmbH / Michael Pöhn Auch wenn ein Buhsturm Amélie Niermeyer bei der Premiere entgegenschlug: Ihre "Fidelio"-Version hat durchaus Witz. Und doch fühlt man sich um die Präsentation der Urfassung betrogen. Die kann man nicht einmal aus dem 100-seitigen Programmheft rekonstruieren. Musikalisch aber sind dennoch Entdeckungen zu machen. Thomas Netopil gibt mit dem Orchester der Wiener Staatsoper Tiefe, Schwermut und visionären Klang. Das Jubelpathos hingegen ist zurückgenommen. Leonore (Jennifer Davis) fehlen in dieser Fassung Wut und Zornausbrüche. Statt "Abscheulicher, wo eilst du hin" singt sie "Ach brich doch nicht, du mattes Herz", wobei Davis mühelos ungewohnte Koloraturgirlanden bewältigt. Vor allem Benjamin Bruns überzeugt als Florestan, in dieser Fassung ein mehr lyrischer als heldischer Tenor. Falk Struckmann singt den redseligen Spielbass Rocco; der Pizarro von Thomas Johannes Meyer ist einfach nur böse. Ihn und Chen Reiss (Marzelline) wird man in der Wiener Staatsoper im Beethovenjahr auch in der Endfassung des "Fidelio" sehen und dann beide Versionen dort vergleichen können. Die Erstfassung ganz neu – und die Endfassung schon 40 Jahre im Repertoire, in einer Inszenierung von Otto Schenk.
Sendung: "Allegro" am 4. Februar 2020 ab 6.05 Uhr auf BR-KLASSIK
Informationen zu Terminen, Vorverkauf und Besetzung erhalten Sie auf der Homepage der Wiener Staatsoper.