BR-KLASSIK

Inhalt

Bruckner mit Valery Gergiev "Der Raum bestimmt, wie ich dirigiere"

Die Bruckner-Aufführungstradition der Münchner Philharmoniker reicht bis in die 1930er Jahre zurück. Regelrecht zum Kult geworden sind Sergiu Celibidaches Bruckner-Sinfonien mit dem Münchner Orchester. Valery Gergiev präsentiert Bruckner nun erst in München, dann in St. Florian bei Linz zum Brucknerfest.

Dirigent Valery Gergiev | Bildquelle: picture alliance/Russian Look

Bildquelle: picture alliance/Russian Look

BR-KLASSIK: In den neun Sinfonien von Anton Bruckner hört man einen Menschen der einerseits zweifelt und andererseits ein fast schon naives Gottvertrauen hat. Untergang und Erlösung – eigentlich sämtliche Extreme stehen da nebeneinander. Welche Emotionen weckt die Musik bei Ihnen? 

Valery Gergiev: Um einen Bruckner-Zyklus dirigieren zu können, musste ich mich erstmal auf eine große, musikalische Reise begeben. Die hat mich zum Beispiel über Schubert- und Beethoven-Sinfonien zu Opern von Wagner geführt. Jetzt bin ich an einem Punkt, an dem ich so viel Erfahrung habe wie nie zuvor. Außerdem spiele ich mit den Münchner Philharmonikern inzwischen die dritte Saison. Ich kenne ihre Tradition und ihre Klangmöglichkeiten jetzt noch besser – und auch die Möglichkeiten der Kathedrale – der Philharmonie im Gasteig. Ich glaube sogar, dass sie sehr gut ist, um Bruckner zu spielen. 

BR-KLASSIK: Die Sinfonien von Bruckner haben gerade bei den Münchner Philharmonikern eine große Tradition. Da gibt es dann immer die Frage der Tempi: Sergiu Celibidache hat es immer sehr langsam angehen lassen. Das ist ja fast schon legendär. Wie haben Sie sich mit den Traditionen auseinandergesetzt – klanglich und vom Tempo her? 

Valery Gergiev: Die Tradition, Bruckner-Sinfonien hier aufzuführen, hat etwas Heiliges. Bruckner ist niemand, der besonders laut oder aggressiv sein musste. Natürlich gibt es eine sehr kraftvolle Orchestrierung, aber was man mehr in Erinnerung behält, sind diese unglaublichen Adagios. Die haben etwas sehr Geheimnisvolles. Man muss den Fokus aber nicht unbedingt auf die langsamen Stellen legen. Es gibt eben nicht nur den einen Weg, die Sinfonien zu dirigieren.  Ich habe mit dem Orchester natürlich schon die Vierte und die Neunte gespielt – die bekannteren Sinfonien. Für mich ist aber das wichtigste, nicht zwischen guten oder schlechten Sinfonien zu unterscheiden.  

BR-KLASSIK: Wenn Sie so eine Sinfonie vor sich haben, wie teilen Sie dann die Dramaturgie ein? Man kann ja nicht mit voller Kraft starten, sondern muss den Spannungsbogen aufrechterhalten. Wie gehen Sie da heran? 

Valery Gergiev: Ich glaube, Bruckner selbst ist derjenige, der die Sinfonien formt und ihnen die Struktur gibt. Für den Dirigenten sind vielmehr der Klang und die Akustik entscheidend. Der Raum bestimmt, wie ich dirigiere. Die Lautstärke und auch das Tempo richten sich zum Beispiel danach. Der Gasteig ist sehr groß. Er ist aber nicht wie ein Schuhkarton, wie viele andere Konzertsäle, sondern eher rund. Das ist in diesem Fall sehr hilfreich, denn in dem großen Raum kann sich Bruckners Musik sehr gut entfalten. 
 
BR-KLASSIK
: Wenn Sie Bruckner dann in St. Florian dirigieren haben Sie ja eine ganz andere Akustik. Da wird ein unglaublicher Hall sein. Der Ton wird weit und lang davongetragen. Müssen Sie da etwas anders machen oder geht das von selbst?  

Stift St. Florian, Oberösterreich | Bildquelle: picture alliance / united archives St. Florian | Bildquelle: picture alliance / united archives Valery Gergiev: Wenn wir in St. Florian spielen, sind zwei Elemente entscheidend: Die neue Akustik. Aber auch die Stimmung. Ich denke, die besondere Atmosphäre dort wird ein entscheidender Faktor sein, denn man ist so nah am Ursprung von Bruckners Musik. Ich würde sogar sagen, der Puls seiner Musik schlägt in St. Florian. Das war ja lange sein Zuhause, und hier ist er für immer: Denn hier ist er ja begraben. Du vergisst für keine Sekunde, dass er da ist und zuhört. Das ist ein besonderes Gefühl für jeden Künstler. 

BR-KLASSIK: Nehmen Sie das Gefühl denn auch wieder mit, wenn Sie hier Bruckner dirigieren? Gibt es eine Wechselwirkung? 

Valery Gergiev: Ja, wir verstehen seine Musik einerseits durch die Partituren, aber andererseits eben auch durch den Klang des Orchesters in der Kirche. Denn das war der Klang, den Bruckner im Kopf hatte, als er angefangen hat zu komponieren. Wir proben gerade Bruckners erste Sinfonie und es ist spannend zu sehen, welche Entwicklung er später noch durchlebt hat. Das erfährt man natürlich am besten, wenn man in relativ kurzer Zeit so einen Zyklus spielt. Man sieht: Wo sind Unterschiede, wo sind Ähnlichkeiten.  

BR-KLASSIK: Wenn Sie in St. Florian sind, dem Ort wo Bruckner Chorknabe war, wo Bruckner begraben liegt und wo auch ein Kloster angeschlossen ist – werden sie dort übernachten? 

Valery Gergiev: Das habe ich sogar schon. Das ist natürlich ein ganz besonderes Gefühl. Man kriegt dort sogar ein ganz gutes Abendessen. Es ist eine Ehre für mich an diesem historischen und wunderschönen Ort sein zu dürfen und zu dirigieren. Das ist ein großes Privileg.

Die Fragen stellte Sylvia Schreiber für BR-KLASSIK.

Sendung: Leporello am 20. September 2017, 16.05 Uhr.

Termine:

Die Münchner Philharmoniker unter der Leitung von Valery Gergiev treten am 21. und. 22.09.2017 in München in der Philharmonie im Gasteig auf sowie am 25. und 26.09.2017 in St. Florian. Auf dem Programm stehen Werke von Franz Schubert und Anton Bruckner.

    AV-Player