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Staatliches Orchester Thessaloniki in München Konzert für Holocaust-Opfer

Ab März 1943 wurden über 46.000 Juden aus der griechischen Stadt Thessaloniki in verschiedene Konzentrationslager deportiert. Die griechisch-jüdische Gemeinschaft der Stadt wurde innerhalb zweier Jahre praktisch ausgelöscht. Das Staatliche Orchester Thessaloniki spielt nun ein Gedenkkonzert in München. Der Leiter des Orchesters Giorgios Vranos stammt selbst aus der griechischen Stadt.

Bildquelle: Nikos Arvanitidis, picture-alliance/dpa

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BR-KLASSIK: Herr Vranos, das Staatliche Orchester Thessaloniki spielt ein Gedenkkonzert für die Opfer des Holocaust aus Thessaloniki. Das war ja eine ganz besonders blühende jüdische Gemeinde. Wie lebte sie vor dem Verbrechen der Nazis?

Georgios Vranos: Es gab ein kulturelles Erbe, das ein halbes Jahrtausend alt war. Es geht auf die sephardischen Juden aus Spanien zurück, die nach Griechenland gekommen sind. Dieses kulturelle Erbe war ein sehr wichtiger Teil der Stadt. Im 19. Jahrhundert nannte man Thessaloniki "kleines Jerusalem", weil es hier - glaube ich - sogar mehr Juden als Griechen gab. Auf jeden Fall war es eine sehr große jüdische Gemeinschaft, die innerhalb von zwei Jahren ausgelöscht wurde.

BR-KLASSIK: Ist die Idee hinter dem Konzert: Durch Musik der Opfer zu gedenken und außerdem den Nachkommen Trost zu spenden?

Georgios Vranos: Für mich als Chef des größten Orchesters in Nordgriechenland und auch als Bürger der Stadt Thessaloniki ist so ein Gedenkkonzert ein Muss. Und es hat die Aufgabe, das Schicksal der Juden aus Thessaloniki bekannt zu machen. Weil auch sie Opfer des Holocaust wurden, wovon viele nichts wissen. Aber auch wie sich die griechische und die jüdische Kultur vermischt haben, soll beim Konzert gezeigt werden. Wir haben auch in Thessaloniki Gedenkkonzerte veranstaltet. Aber im restlichen Europa findet so etwas sehr selten statt, wenn überhaupt.

BR-KLASSIK: In Deutschland gibt es ja ein sehr lebendiges Gedenken an den Holocaust. Aber in der Tat ist das Schicksal der Juden aus Thessaloniki bei uns nicht richtig präsent. Sie kommen nun mit einem griechisch-jüdischen Konzertprogramm. Geht es darum, Aufmerksamkeit zu stiften in Deutschland? Oder wollen Sie ein Zeichen dafür setzen, wie eng die griechisch-jüdische Symbiose war, die verloren gegangen ist - und jetzt nur noch in der Erinnerung oder in Resten lebt?

Georgios Vranos: Eigentlich ist beides wichtig. Und München ist für mich auch deshalb sehr wichtig, weil die Stadt meine zweite Heimat ist.

BR-KLASSIK: Sie haben in München studiert.

Georgios Vranos: Und ich habe hier meine Frau kennengelernt - und die Orchesterwelt.

BR-KLASSIK: Sie haben unter anderem das Studentenorchester Abaco dirigiert.

Georgios Vranos: Richtig. Das Studentenorchester war mein erstes Orchester überhaupt. Ich habe dort nicht nur meine Frau, sondern auch viele Freunde kennengelernt, mit denen ich auch heute noch Kontakt habe. Wir kommen auch jedes Jahr nach München. Also meine Schwiegereltern leben in Weilheim, in der Nähe von München. Und die Verwandten meiner Frau. Für mich ist das Gedenkkonzert ein doppelt schönes Erlebnis: ich bringe mein griechisches Orchester in eine andere Welt, die meine zweite Heimat ist.

BR-KLASSIK: Auf dem Programm steht auch ein Werk von Betty Olivero, einer nicht so bekannten Komponistin.

Georgios Vranos: Betty Olivero ist eine jüdische Komponistin aus Tel Aviv, die ursprünglich aus einer jüdischen Familie aus Theassloniki stammt. Ihre Komposition "Neharo't, Neharo't" bedeutet "Flüsse" - gemeint sind Flüsse von Tränen. Das sind die Klagen von den Frauen, die ihre Männer oder Kinder in dem aktuellen Krieg zwischen den Juden und Palästinensern verloren haben. Es ist eine Komposition, die oft gespielt und aufgenommen wird - auch von der Camerata München gibt es eine Aufnahme davon. Es ist ein sehr schönes Stück für Streichorchester, Bratsche, Akkordeon und Tonbandgerät.

Der griechichsche Teil des Konzerts hat natürlich mit der Hoffnung der Auferstehung zu tun - und mit der Todesklage wie in Dimitri Mitropoulos' "Beerdigung". Das ist ein Stück, das über den Tod spricht, aber mit der Hoffnung auf Auferstehung. Mitropoulos war ein sehr gläubiger Mensch. Das Hauptmotiv des Programms ist Tod, Auferstehung, Trost - und die Verbindung von jüdischen und griechischen Künstlern.

Das Gespräch für BR-KLASSIK führte Bernhard Neuhoff.

Gedenkkonzert für die Opfer des Holocaust aus Thessaloniki

Freitag, 10. März 2017 um 20.00 Uhr im Münchner Herkulessaal

Musikalische Leitung: Georgios Vranos
Sopran: Maria Kostraki
Viola: Hara Sira
Akkordeon: Konstantinos Raptis
Gemischter Chor von Thessaloniki (Einstudierung: Mary Konstantinidou)

Konzertprogramm:

Gustav Mahler
: Adagietto aus der Symphonie Nr. 5
Betty Olivero: Neharo’t, Neharo’t, Konzert für Bratsche, Akkordeon, Tongerät und Orchester  
Dimitri Μitropoulos: Beerdigung
Yiannis Konstantinides: Dodecanesian Suite Nr.1
Mikis Theodorakis: Symphonie Nr.3 (III. Satz) für Gemischten Chor, Sopran und Orchester

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