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Glosse – Nebengeräusche am Pult Was Dirigenten von sich hören lassen

Selbstvergessen summen oder brummen – das tun fast alle gelegentlich unter der Dusche. Die meisten Dirigenten machen es auch - allerdings nicht nur im Badezimmer, sondern auch auf der Bühne, während Probe und Konzert. Fast alle Pultstars erzeugen mehr oder weniger gut hörbare Nebengeräusche: Sie brummen, fauchen, zischen. Das klingt zwar manchmal etwas seltsam, hat aber durchaus seinen tieferen Sinn. Zeit für eine Hommage.

Dirigent Leonard Bernstein | Bildquelle: picture-alliance/dpa

Bildquelle: picture-alliance/dpa

Wenn Pultstars sich bescheiden geben wollen, und das tun sie in Interviews ja eigentlich immer, dann sagen sie, dass die Musik vom Orchester gemacht wird, nicht von ihnen. Denn wir Dirigenten, so heißt es dann gern, machen ja gar nicht die Töne. Nun ja.

Wenn Leonard Bernstein ächzt, stöhnt und grölt

Man muss nur Leonard Bernstein hören bei den Proben zum legendären Münchner "Tristan" im Jahr 1981 im Herkulessaal. Lenny ächzt, Lenny stöhnt, Lenny grölt. Und das ist nicht nur gut so, sondern, jedenfalls wenn man das musikalische Ergebnis hört, ganz wunderbar. Eine Sternstunde – möglich gemacht durch totale Verausgabung des Dirigenten, auch stimmlich. So hemmungslos geht Bernstein mit der Musik, dass auch die Musikerinnen und Musiker jede falsche Hemmung fallen lassen, alles um sich vergessen, nur noch in diesem völlig entgrenzten Klangstrom drin sind. Unbewusst, höchste Lust, wie es bei Wagner heißt.

Valery Gergiev zischt

Dirigent Valery Gergiev | Bildquelle: picture-alliance/dpa Der Dirigent Valery Gergiev | Bildquelle: picture-alliance/dpa Gerade in den Proben werden fast alle Dirigenten und Dirigentinnen durchaus gelegentlich auf eher unartikulierte Weise laut. Da hört man ganz unterschiedliche Klänge. Manche, wie Valery Gergiev, zischen, wenn sie den Einsatz geben, andere brummen in mehr oder weniger korrekter Tonhöhe Melodiefragmente mit. Manche, nicht alle Dirigenten, machen solche Geräusche auch im Konzert.

Pultstars und ihre kleinen Macken

Den Tonmeistern bereitet das Kopfzerbrechen. Schließlich passen solche Laute nicht zum Perfektionsideal der Klassik – man filtert ja auch mit modernster Technik die Huster des Publikums aus Livemitschnitten. Aber ist es nicht faszinierend, auf einer Aufnahme das Einatmen der Musikerinnen und Musiker zu hören? Nicht nur Bläser und Sängerinnen, auch Pianisten und Streicher müssen tief und gut atmen, um tief und gut zu Musik machen. Das Wort Inspiration bedeutet ja nicht nur die wundersame Erleuchtung mit schöpferischen Einfällen, sondern, wörtlich, ganz einfach "einatmen". Wo eingeatmet wird, muss logischerweise auch ausgeatmet werden. Warum sollte das keiner mitbekommen? Musik ist körperlich oder sie lässt uns kalt. Schauspieler spucken, aus Blasinstrumenten tropft Kondenswasser, und ohne Transpiration gibt‘s eh keine Inspiration. Warum sollten Pultstars nicht auch ihre kleinen Macken haben und gelegentlich was von sich hören lassen?

Glenn Gould brummte mit

Der Pianist Glenn Gould | Bildquelle: picture alliance / empics | Harold Whyte Der Pianist Glenn Gould | Bildquelle: picture alliance / empics | Harold Whyte Nicht alle werden es dabei zu solch stupender Meisterschaft bringen wie der Jahrhundertpianist Glenn Gould. Der konnte in vierstimmigen Fugen eine Mittelstimme mitbrummen – das ist höhere Genialität. Und weil Gould mit seinem knarzenden Hocker, seiner klappernden Klaviermechanik und seinen kontrapunktisch ausgebufften Brummlauten ein akustisches Gesamtkunstwerk war, haben die Tonmeister klugerweise kapituliert und alle Nebengeräusche der ergriffen lauschenden Nachwelt überliefert. So wunderbar irdisch ist die Musik.

Korrektur: In einer früheren Fassung hieß es fälschlich, der Aufführungsort des "Tristan" mit Bernstein sei das Prinzregentheater gewesen. Richtig ist: Herkulessaal.

Sendung: "Allegro" am 23. September 2022, ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (2)

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Mittwoch, 28.September, 01:37 Uhr

Tauschhuber

Fake News in BR-Klassik

Ein wunderbares Thema, leider schlampig recherchiert.
Bernstein hat zwar 1948 im Prinzregententheater dirigiert

https://www.br-klassik.de/themen/klassik-entdecken/was-heute-geschah-leonard-bernstein-bayerische-staatsoper-konzert-100.html

Proben, Aufnahmen und Aufführungen des BRSO zum Tristan unter Bernstein fanden 1981 aber im Herkulessaal der Residenz statt.
Um der historischen Wahrheit die Ehre zu geben, sollte das wenigstens auf der Website korrigiert werden...

Das Mit-, Vor- und Nachatmen von Dirigenten und Solisten hilft zum Verständnis der Interpretation.

Vielleicht einmal eine Sendung mit Hörbeispielen.

Herzliche Grüße
S. Tauschhuber

Freitag, 23.September, 19:30 Uhr

Susanne Fussek

Glenn Gould

Danke für die wunderbare Sendung am Fr, 23.9. So ein gutes Portrait, das ich bei der Erstausstrahlung nicht gehört habe. Merci beaucoup
S.Fussek

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