Seit 2012 leitet Cecilia Bartoli die Salzburger Pfingstfestpiele. Da wundert es kaum, dass seither deren Opernproduktionen auch bei der großen Schwester im Sommer gezeigt werden. Die weltberühmte Mezzosopranistin bringt nicht nur internationale Strahlkraft mit, sondern gerne auch barockes Repertoire, das sich gut einfügt im Portfolio der Sommerfestspiele. Heuer stand Händels frühes Oratorium "Il trionfo del Tempo e del Disinganno" auf dem Programm. Am 4. August fand die Wiederaufnahme statt. Regula Mühlemann als Neubesetzung in der Partie der Belezza: ein Glücksfall.
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Wenn der Berg nicht zum Propheten kommt, muss der Prophet eben zum Berg: Als Georg Friedrich Händel 1707 in Rom weilte, waren weltliche Opern verboten. Begründung: Sie würden Sittenverfall und Glaubensschwäche begünstigen. Erst recht, wenn Frauen auf der Bühne zu sehen waren. Also wählte Händel die Option des Oratoriums mit vier allegorischen Figuren: Schönheit und Vergnügen disputieren mit Zeit und Erkenntnis über den Sinn des Lebens. Und natürlich gewinnen am Ende die Zeit und die Erkenntnis – aber die gut zwei Stunden zuvor konnte sich Händel trotzdem austoben wie auf der Opernbühne. Mit nur 22 Jahren gelang ihm damit ein Meisterwerk an feuerwerksartigen Bravourarien, schmerzerfülltem Sehnen und rachsüchtigem Lodern, gehüllt in ergreifenden Instrumentalkleidern. So einfach umgeht man Zensur.
Regisseur Robert Carsen hat das Ganze ins Heute versetzt: Belezza (Schönheit) ist die Gewinnerin einer TV-Model-Casting Show unter dem Vorsitz von Cecilia Bartoli als Chefin im teuflisch roten Hosenanzug (Piacere=Vergnügen). Da wird geschminkt und getanzt, auf der Bühne gefilmt und live auf Leinwand gestreamt: Man feiert das blühende und sehr bunte Leben, gerne auch mit Sex in der Disco.
Den Gegenpart dazu liefern die Zeit (Tempo) und die Erkenntnis (Disinganno), ganz in schwarz gekleidet und überwiegend mit musikalisch herzerweichender Ein- und Aussicht rund um das Thema "Memento mori". Der Wendepunkt gelingt Carsen eindringlich, indem er auf der Bühne große Spiegel anbringt, sodass sich das Publikum selbst sieht. Was ist wirklich wichtig im Leben? Das Äußere, das "Bling-Bling" drumherum? Was ist Sein, was nur Schein? Fragen, die sich auch und vor allem (Salzburger) Festspielgäste stellen könnten…
Händels "Trionfo" bei den Salzburger Festspielen: Regula Mühlemann (Bellezza), Cecilia Bartoli (Piacere), Ensemble | Bildquelle: © SF / Monika Rittershaus Die Grundidee von Carsen ist gut, auch wenn sie sich irgendwann erschöpft. Es gibt eben keine wirkliche Handlung – das ganze Drama steckt in der Musik. Und da schöpft man in Salzburg aus dem Vollen: Regula Mühlemann ist eine im doppelten Sinn umwerfende Belezza. Wie sie die mörderisch-schwere Partie nicht nur musikalisch, sondern auch darstellerisch gestaltet, ist betörend. Ihr Sopran ist vom ersten Takt an so klar fokussiert, so rein in der Höhe, so gestochen scharf in den Koloraturen, dass ihr nicht mal Cecilia Bartoli als immer noch sehr wendige und ausdrucksstarke Piacere das Wasser reichen kann. Bartolis Vibrato ist stärker geworden, das Gurren auch, oft bleibt sie im mezza voce, mit dem sie gleichwohl den Raum zu füllen vermag. Charles Workman tut sich anfangs schwer, seinen Tenor richtig zu bündeln: Zu ungenau, zu matt, zu langsam in den Kaskaden kommt er daher. Aber mit zunehmender Dauer findet er zu einer Einheit vor allem auch im Duett mit dem geschmeidigen Counter Lawrence Zazzo, der mit feiner piano-Kultur zaubert.
Magisches schwebt auch aus dem Graben: Das Originalklangensemble Les Musiciens du Prince-Monaco unter Gianluca Capuano übernehmen eigentlich die fünfte Hauptperson. Da wird antizipiert, nachgewunken, abgedunkelt, aufgehellt, getröstet, gepeitscht und geschmirgelt – mit faszinierenden Klangeffekten und sehr breiter Dynamik: zwischen sehr flott und schaurig-schöner, tief nach innen gerichteter Behutsamkeit. Stehende Ovationen.
Sendung: "Allegro" am 05. August 2021 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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