Die US-amerikanische Geigerin Hilary Hahn spielt am 16. Juni im Eröffnungskonzert beim "Kissinger Sommer" das Violinkonzert Nr. 4 von Henri Vieuxtemps. An ihrer Seite musiziert die Kammerphilharmonie Bremen. Warum das Stück einer Art Zeitreise gleichkommt, und was sie als Fünfjährige bei ihrem ersten Konzertbesuch erlebt hat, verrät sie unter anderem im Interview.
Bildquelle: © Peter Miller
Das Interview zum Anhören
BR-KLASSIK: Hilary Hahn, beim Eröffnungskonzert in Bad Kissingen interpretieren Sie das Vierte Violinkonzert von Henri Vieuxtemps - ein Stück, das sehr schwierig zu spielen ist und viele Raffinessen hat. Sie haben es bereits mit 10 Jahren gespielt. War das für Sie auch eine Art Zeitreise in die Vergangenheit, als Sie das Stück wieder in Ihr Repertoire aufgenommen haben?
Hilary Hahn: Ja, es ist wie eine Zeitreise für mich - aber vielleicht mehr eine Zeitreise durch die Musikgeschichte als durch meine eigene Geschichte. Das Konzert ist wie eine Oper, dazu ist es sehr geigerisch und virtuos geschrieben. Ich stelle mir vor, dass ich manchmal Sopran bin, und dann wieder Teil eines Ensembles. Das Stück könnte auch manchmal ein Tanz sein.
BR-KLASSIK: Wir befinden uns im Regentenbau in Bad Kissingen, der vor dem 1. Weltkrieg entstanden ist und der auch noch etwas von der Atmospähre dieser Zeit atmet. Wie inspirierend ist so ein Ort für Sie?
Hilary Hahn: Es ist schön, wenn ein Ort entspannend ist. Und hier ist es tatsächlich entspannend. Ich habe ein bisschen mehr Raum für meine Gedanken - das hilft, wenn ich ein Konzert spiele. Für mich ist ein Konzert etwas sehr Wichtiges. Ich habe über die Jahre viele Konzertbesucher kennengelernt. Ich weiß, dass es in jedem Konzert einige Besucher gibt, für die das jeweilige Ereignis eine wichtige Bedeutung hat. Das kann ein Geburtstagsgeschenk sein. Oder es kann das erste Mal sein, dass ein junger Geiger ins Konzert geht. Für mich ist es wirklich ein schönes Gefühl. Ich war ja auch einmal eine junge Geigerin - und ich erinnere mich an meinen eigenen ersten Konzertbesuch.
Manchmal bin ich Sopran, dann wieder Teil eines Ensembles
BR-KLASSIK: Was war denn Ihr erstes Konzerterlebnis, an das Sie sich erinnern?
Hilary Hahn: Das war ein Konzert in Baltimore in den USA, beim Baltimore Symphony Orchestra. Rudolf Serkin hat gespielt. Während des Konzerts musste ich allerdings auf die Toilette (lacht). Den ersten Satz des Stücks habe ich noch gehört. Dann mussten wir hinaus, und konnten danach nicht wieder hinein. Aber mein Vater ist im Saal geblieben und hat alles gehört. In der Pause sind wir nach Hause gegangen. Danach wusste ich immerhin, wie das alles so abläuft bei einem Konzert. Ich war damals fünf Jahre alt.
An eines kann ich mich noch genau erinnern: Als wir in den Saal gegangen sind, vor dem Konzert, habe ich all diese Musiker gesehen, die Smoking getragen haben. Ich habe meine Eltern gefragt, was diese Leute da machen. Sie sagten mir, dass das Musiker sind und gleich das Konzert spielen werden. Ich fragte dann, was sie denn für eine "richtige" Arbeit hätten. Meine Eltern erklärten mir, dass das professionelle Musiker seien. Da war ich sehr erstaunt! Das hat mir jedenfalls meine Augen geöffnet.
BR-KLASSIK: Sie haben einen deutschen Nachnamen, und Sie sprechen fantastisch Deutsch. Hängt das zusammen?
Hilary Hahn: Teilweise. Die letzte Einwanderin meiner Familie aus Deutschland war meine Urgroßmutter - sie war aber noch ein Baby. Sie trug den Namen Becker. Der Name Hahn kommt von meinem Ur-Urgroßvater, der von einer anderen Seite meiner Familie stammt. Als Kind habe ich oft eine deutschsprachige Kirche besucht. Da gab es regelmäßig einen Kaffeeklatsch, und ich wollte immer Kuchen essen. Dort hörte ich oft deutsche Wörter wie "Danke“ oder "Bitte“. Ich habe viele deutsche Wörter als Kind gelernt, und die älteren Frauen dort haben das geliebt. So habe ich auch mehr Aufmerksamkeit bekommen. Als ich später Studentin am Curtis Institute in Philadelphia war, musste ich eine Fremdsprache auswählen, es war ein Pflichtfach. Und so habe ich begonnen, Deutsch zu lernen.
Die Fragen stellte Thorsten Preuß für BR-KLASSIK.
Robert Schumann
Ouvertüre, Scherzo und Finale, op. 52
Henri Vieuxtemps
Violinkonzert Nr. 4 d-Moll op. 31
Johannes Brahms
Symphonie Nr. 2 D-Dur op. 73
Leitung: Paavo Järvi
Solistin: Hilary Hahn, Violine
Das Eröffnungskonzert am Freitag, den 16. Juni wird live ab 20.03 Uhr im BR-KLASSIK-Hörfunk übertragen.