Es geht aufwärts. Die Internationale Jazzwoche Burghausen, Bayerns traditionsreichstes Jazzfestival, zog bei ihrer 52. Ausgabe wieder mehr Besucher:innen in die Stadt mit der längsten Burg der Welt. Im Programm gab es satten Blues, strahlende Trompeten und glänzende Wettbewerbs-Sieger:innen aus München.
Bildquelle: Leon Schinko
Solche Samstagabend-Konzerte wünscht man sich auf Festivals. Das Highlight im Schlusskonzert am großen Spielort war ein Gipfel. Es ging hoch hinaus. Und zwar mit Trompetentönen. Aber nicht nur in fiepende Höhen und mit wirbelnden Läufen, sondern auch mit musikalischem Feingefühl. Der Trumpet Summit mit den Hochblech-Stars Jon Faddis (USA), James Morrison (Australien), Thomas Gansch (Österreich) und Gileno Santana (Portugal) bot neben rasanter Artistik auch innige Musik-Momente von besonderem Zauber. Und das Publikum konnte aus mancherlei Gründen schwelgen.
Nach Bravour-Einlagen mit Klassikern wie der Lee-Morgan-Komposition "The Sidewinder" ließen die vier Stars, begleitet von Geoff Gascoyne am Bass, Libor Smoldas an der Gitarre (sitzend und barfuß) und Gregory Hutchinson am Schlagzeug, auch mal Ruhe einkehren und zielten ganz aufs Herz. Gileno Santana, ein Meister des ruhigen und sehr plastisch-konturenscharfen Tons, spielte eine Zeitlupen-Version von "Take The A-Train" (beste Vorbereitung auf den Tag, an dem in Deutschland die Züge aufgrund von Streik stillstanden), und Jon Faddis schloss singend daran die Louis-Armstrong-Hymne "What a wonderful world" an: ganz im gurgelnden Satchmo-Sound und zugleich so souverän-eigenständig, dass daraus absolut keine Kopie wurde: Da sang dann am Schluss das bewegte Publikum begeistert mit, dirigiert vom selbst singenden Trompeter, der charmant darauf hinwirkte, dass die vielen Mitsänger:innen nach "wonderful" und vor "world" auch wirklich eine kleine, bedeutungsvolle Pause machten - es klappte beim dritten Mal. Sehr viel Spaß und staunende Freude konnte das Publikum mit dem Septett haben. Da drückten die Trompeter schon mal show-sicher die Ventile des jeweils nächsten, und in rasanten Passagen saßen auch die gemeinsamen Sätze. James Morrison zeigte, dass er nicht nur als Blas-Instrument, sondern auch als Pianist hochversiert ist - und Thomas Gansch begeisterte mit einer immens feinen und leisen Instrumental-Version des Song-Klassikers "Stardust", am Flügelhorn und im Duo mit dem immer feiner spielenden Partner an der Gitarre.
So etwas sucht das Publikum auf Bühnen wie dieser - und in der Wackerhalle von Burghausen wurde es diesmal auf unterschiedliche Art fündig. Die Internationale Jazzwoche feierte ihre 52. Ausgabe. Und nach einem zaghaften Nach-Corona-Neustart im Jahr 2022 gab es einen Zuwachs. Etwas über 7000 Besucher:innen registrierten die Veranstalter (der Verein Interessengemeinschaft Jazz und die Stadt Burghausen), das sind 20 Prozent mehr als im Vorjahr. Und das wie immer stark gemischte Programm hatte erinnerungsträchtige Momente.
In diesem Festival, das mit 150 000 Euro von der Stadt bezuschusst wird und sich zu einem Drittel von Eintrittskarten trägt, arbeiten 81 ehrenamtliche Helfer:innen mit, die häufig ihre Urlaubstage opfern, um beim großen Lokalereignis namens Jazzwoche dabei zu sein. Auch das trägt dazu bei, dass dieses Festival, wie Bürgermeister Florian Schneider bei der Abschluss-Pressekonferenz sagte, "ganz was Besonderes" ist. Der künstlerische Leiter Joe Viera (90) konnte aus gesundheitlichen Gründen auch dieses Jahr nicht selbst anwesend sein. Fürs Programm stand deshalb vor allem der Organisations-Chef Herbert Rißel gerade.
Altsaxophonistin Lakecia Benjamin bei der 52. Internationalen Jazzwoche Burghausen 2023 | Bildquelle: Andrea Weyerer Er konnte einige Glücksgriffe vorweisen. Einer davon war die New Yorker Altsaxophonistin Lakecia Benjamin, eine der prägnantesten Figuren der aktuellen internationalen Jazz-Szene. In einem golden glänzenden Anzug betrat die 1982 geborene Musikerin die Bühne und zog mit ihrem Instrument glimmende Leuchtspuren in Stücken wie "Amazing Grace", "My favorite things" und ihrem Album-Titelstück "Phoenix" - zum Powersound ihrer Mitmusiker Zaccai Curtis, Klavier, Ivan Taylor, Bass, und EJ Strickland, Schlagzeug. Ihr Konzert hatte eine existentielle Kraft, wie sie auch der zeitgenössische Jazz nur selten entwickelt - und in ihren eloquent-rasanten Bühnenansagen ließ diese markante Zauberin des Jazz auch Humor funkeln. Ihr Name sei "Lake-CIA, like the government", gab sie als Eselsbrücke mit. In anderen Momenten wurde sie auf bewegende Art ernst: Das berühmte geistliche Lied "Amazing Grace", das sie zum schmirgelnd-bluesigen Gänsehaut-Stück machte, habe sie ins Programm genommen, "because it reminds us of how we are all the same".
Pedal Steel Gitarrist Robert Randolph | Bildquelle: Andrea Weyerer Besonders starke Individuen ragten aus dem Burghausen-Programm 2023 heraus. Neben Lakecia Benjamin unter anderem der 1977 geborene amerikanische Pedal-Steel-Gitarrist Robert Randolph, der sein Profil einst in der Kirchenmusik in New Jersey fand. Die Pedal Steel Guitar ist ein Kasten mit quer liegenden Saiten, die man mit einem Metallstab verkürzt. Man kennt sie vor allem aus der Country-Musik. Bei Robert Randolph, der in rot glitzernder Jacke und knallroten Schuhen hinter seinem Instrument ganz vorn an der Rampe der weiten Wackerhallen-Bühne saß, klingt sie expressiv aufheulend und jubilierend nach Blues. Der Stevie-Wonder-Song "Isn’t she lovely" kriegt da eine besonders kraftvolle Hingabe mit, und reißt einmal eine Saite, zieht Randolph gelassen auf der Bühne eine neue auf, während einer seiner Mitmusiker das Solo übernimmt. Demnächst (22. und 23. Mai) wird Randolph unter anderem mit Eric Clapton beim Gedenkkonzert für den subtilen Rockgitarristen Jeff Beck in Londons berühmter Royal Albert Hall spielen. Clapton und dessen frühe Station "Cream" haben Randolph so geprägt, dass er sein Burghausen-Konzert mit dem Cream-Song "I’m so glad" begonnen hatte.
Einen Tag nach Randolphs Konzert ging es in Burghausen in ähnlicher Tonlage weiter - am traditionellen Blues-Nachmittag, diesmal mit Sängerin Trudy Lynn aus Houston, Texas, und erdig-beherzten Hommagen an Big Mama Thornton ("Hound Dog") und andere, sowie mit dem expressiven Linkshänder-Gitarristen, auffälligen Hutträger, Sänger und Autor prägnanter eigener Songs, Toronzo Cannon und seiner Band The Chicago Way. Wie einst Jimi Hendrix, bearbeitet Cannon seine Gitarre auch mal mit den Zähnen, und in einem Stück zitierte er dann auch ohne Platitüden-Verdacht dessen Klassiker "3rd stone from the sun" und "Hey Joe".
Eine ganz eigene europäische Farbe ließ das Programm am Hauptspielort durch eine Gruppe eines Schweizers aufblühen: Der Bassist Heiri Känzig führte mit seiner Band Travelin‘ durch unterschiedliche Regionen vom Bosporus bis zu den Schweizer Bergen und mischte auf äußerst gekonnte Art sehr heterogene Klänge: Sein Kontrabass und die Oud von Amine Mraihi, außerdem die sensationell weich gespielte Trompete von Shems Bendali und die vielfarbig-souveräne Gesangsstimme von Veronika Stalder schweiften stilsicher in imaginäre Fernen und entwickelten packenden Groove mit Marc Méan am Klavier und Lionel Friedli am Schlagzeug.
Nils Kugelmann Trio bei der 52. Internationalen Jazzwoche Burghausen 2023 | Bildquelle: Andrea Weyerer Das exzellente Trio des Münchner Bassisten Nils Kugelmann, das den Europäischen Burghauser Nachwuchswettbewerb 2023 gewann, gab dem Klangspektrum des diesjährigen Festivals eine ganz besonders feine Note: Es spielte eine hinreißend melodiöse, unprätentiös-komplexe Musik voller Interaktions-Zauber, die in ihrem Charme und ihrer Reaktionssicherheit kaum überboten werden konnte. Und das nach ursprünglichem Pech: Denn der Pianist des Trios, Luca Zambito, war vor dem Festival krank geworden; ihn ersetzte der Gitarrist Philipp Schiepek - und der ließ zusammen mit Bandleader Kugelmann und Schlagzeuger Sebastian Wolfgruber alles so klingen, als sei er seit langem der feste Partner der anderen beiden. Nils Kugelmanns Kompositionen wie das Liebesbekenntnis "Song for a golden blossom" gehören zu den elegantesten, die man im heutigen Jazz hören kann.
In Nostalgie-Gefühlen durfte sich das Publikum in Burghausen beim smooth funkelnden Quartett des Gitarristen Lee Ritenour ergehen: mit Stücken wie Antonio Carlos Jobims "Stoneflower", Ritenours Tempo-Klassiker "Captain Fingers" (1977) und dem zärtlich auf der akustischen Gitarre gespielten Stück für Ritenours Mutter Pearl. Am Schlagzeug ein anderes Familienmitglied: Sohn Wesley Ritenour, benannt nach des Gitarristen großem Vorbild Wes Montgomery. Im Jazzkeller im Mautnerschloss swingte Abend für Abend stilvoll gelassen das Trio des eleganten amerikanischen Pianisten Lafayette Harris (mit Dwayne Dolphin am Bass und Jerome Jennings am Schlagzeug) - in Stücken wie "Girl talk", "Summertime" und ebenfalls einer Stevie-Wonder-Hommage mit "Isn’t she lovely". Im Sonntagnachmittags-Programm im Stadtsaal war unter anderem das lustvoll und farbenreich spielende Landes-Jugendjazzorchester Bayern zu erleben, das in einem besonders bewegenden Moment dem 2021 verstorbenen Münchner Pianisten Walter Lang huldigte: Jazz - auch hier: Musik mit Seele.
Jazz extra mit Highilghts von der 52. Internationalen Jazzwoche zum Nachhören.