Clemens Schuldt ist der neue Mann am Pult des Münchener Kammerorchesters. Ab Herbst tritt er sein Amt an. Titel der neuen Saison: "Reformation". Wie er das Motto versteht und wofür er in München kämpfen wird, das verrät er im Interview mit BR-KLASSIK.
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BR-KLASSIK: Herr Schuldt, das Münchener Kammerorchester wird oft vom Konzertmeister am ersten Pult geleitet. Braucht es eigentlich einen Chefdirigenten?
Clemens Schuldt: Ich finde, ja. Und ich freue mich, dass sich das MKO auch für mich entschieden hat als Chefdirigenten, denn ich glaube, wir werden gemeinsam noch energiegeladener, noch farbiger spielen können als die Musiker das ohnehin schon tun. Ich habe sie auch schon mal ohne Dirigenten erlebt, auch dann sind sie ein fantastisches Orchester. Aber ich freue mich ganz besonders darauf, mit den Musikern zusammen Werke zu interpretieren - und vielleicht zu ungeahnten Höhen aufzusteigen.
BR-KLASSIK: Gastdirigenten möchten meist wieder eingeladen werden, deswegen machen sie gerne Komplimente. Die unangenehmen Dinge muss der Chef sagen, oder?
Clemens Schuldt: Das stimmt, aber wenn man sie freundlich sagt und wenn sie auch Hand und Fuß haben, dann kann man auch die unangenehmen Dinge gut kommunizieren. Da sehe ich gar keine Schwierigkeiten.
BR-KLASSIK:"Reformation" haben Sie sich als Motto ausgedacht für die nächste Konzertsaison. Geht es um Luther? Oder wollen Sie selbst die Musik, das Musikleben reformieren?
Clemens Schuldt: Es geht um beides. Das Motto verstehen wir von der Lutherzeit ausgehend, von seinem Gedankengut, über Bach als reformatorischen Komponisten bis in die Moderne, weil wir, indem wir Kompositionsaufträge vergeben, ganz aktiv das Musikleben heute reformieren und gestalten wollen. Und das werden wir auch in der neuen Saison zusammen machen.
Wir wollen das heutige Musikleben ganz aktiv reformieren und gestalten.
BR-KLASSIK: Sie sind ja ursprünglich Geiger. Christoph Poppen, einer Ihrer Vorgänger, war ebenfalls Geiger, ein großer Kammermusiker als Primarius des Cherubini-Quartetts. Wie sehr muss man eigentlich die Binnenperspektive als Streicher haben, um ein Kammerorchester leiten zu können?
Clemens Schuldt: Ich empfinde das absolut als Vorteil. Angefangen von Stricharten, Bogenstellen bis hin zu Fingersätzen kann ich allein durch die Beobachtung der Musiker sagen, was genau sie ändern müssen, damit der Klang herauskommt, den ich mir im Kopf vorstelle. Ich muss also nicht nur mit abstrakten Ideen oder lustigen Bilder kommen, sondern ich kann wirklich dezidiert sagen, was ich vielleicht technisch ändern würde, damit mein Klang entsteht.
BR-KLASSIK: Jetzt sitzen wir hier in einem etwas kargen, ehemaligen Industrieraum, und unten ist der Probenraum, der eigentlich viel zu klein ist, wenn mal ein Blasinstrument mitspielt. Die Suche nach geeigneten Räumen dauert ja schon sehr lange. Was kann man denn tun, um endlich diese schlimme Situation zu ändern? Müssen Sie nicht den Politikern viel mehr aufs Dach steigen?
Clemens Schuldt: Es ist wirklich ein Trauerspiel, was wir hier erleiden müssen in der täglichen Arbeit. Wir freuen uns immer unglaublich auf die großen Säle, in denen wir spielen können. Wenn dann endlich die Generalprobe kommt, und es dann so klingt wie wir uns das vorstellen. Insofern ist das absolut ein Appell an alle möglichen Sponsoren, Politiker, Beteiligten, die sich mit diesem Orchester identifizieren können und die dieses Orchester als Teil der Stadt sehen und vielleicht sogar als Botschafter der Stadt. Die Grundlage, die uns ermöglicht, gut zu musizieren, nämlich das Proben und das Arbeiten, das muss auch in Räumlichkeiten passieren, die uns angemessen sind und die uns nicht im Wege stehen. Insofern: Ja, ich werde dafür kämpfen.
Das Proben und Arbeiten muss in Räumlichkeiten passieren, die uns angemessen sind und die uns nicht im Wege stehen. Dafür werde ich kämpfen.
BR-KLASSIK: Es gibt eine neue Kammermusikreihe in der Villa Stuck. Sie machen natürlich auch etwas für Kinder, ein Education-Programm, wie ja eigentlich alle Orchester. Aber ich glaube, der grundlegende programmliche Mix bleibt bestehen: Uraufführungen, zeitgenössische Musik kombiniert mit den großen Klassikern. Hatten Sie das Gefühl, dieses Orchester braucht eigentlich gar keine Neuausrichtung?
Clemens Schuldt: Eine komplette Neuausrichtung braucht es in der Tat nicht, denn das Stammpublikum, das zu den Abo-Reihen kommt, und das diese Programme ja auch begeistert aufnimmt, das wollen wir nicht vor den Kopf stoßen, sondern das wollen wir mitnehmen auf die Reise. Insofern finde ich genau das sehr spannend, was das Münchner Kammerorchester anbietet, auch mir anbietet. Und was ich jetzt da draufsetze, ist mein persönlicher Geschmack, meine persönliche Art, Musik zu machen. Und mein Credo, dass wir nicht weit weg sein dürfen von den Zuhörern, sondern nah dran. Das heißt, dass es Gesprächskonzerte mit mir geben wird, und dass ich nicht irgendein ferner Stern bin, der hin und wieder zu Besuch kommt, sondern dass ich in München leben werde, hier sein werde, und für das Orchester da sein möchte.
BR-KLASSIK: Haben Sie schon eine Wohnung? Ist ja nicht so einfach in München.
Clemens Schuldt: Ich hatte unglaublich Glück. Ich habe eine Wohnung ganz in der Nähe vom Englischen Garten gefunden und freue mich unglaublich auf den Einzug.
Das Gespräch führte Bernhard Neuhoff für BR-KLASSIK.
Der 1982 geborene Bremer Clemens Schuldt studierte an der Musikhochschule Düsseldorf und spielte als Geiger in der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen und im Kölner Gürzenich-Orchester. Sein Dirigierstudium absolvierte er bei Rüdiger Bohn in Düsseldorf, bei Mark Stringer in Wien sowie bei Nicolás Pasquet in Weimar. 2010 ging er als Gewinner des Donatella Flick Dirigierwettbewerbs in London hervor. Schuldt war ein Jahr lang Assistent Conductor des London Symphony Orchestra. Dort arbeitete er mit Dirigenten wie Colin Davis, Simon Rattle und Valery Gergiev zusammen. Clemens Schuldt dirigierte bislang unter anderen das Philharmonia Orchestra, die Bamberger Symphoniker, das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart oder das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin. In Gelsenkirchen, Mainz, Osnabrück und Innsbruck hat er Opernproduktionen geleitet. Beim Münchener Kammerorchester wird er ab Herbst 2016 vorerst für drei Jahre die Position des Chefdirigenten inne haben.