Die Dresdner Philharmonie tourt mit der Geigerin Julia Fischer. Am Pult steht Michael Sanderling, der selbst lange als Solo-Cellist unterwegs war. Ein Interview über das Verhältnis von Solist und Dirigent und einen ganz speziellen Dirigier-Kurs.
Bildquelle: © Marco Borggreve
BR-KLASSIK: Herr Sanderling, Sie werden heute Abend im Gasteig die Dresdner Philharmonie dirigieren und es wird auch eine Solistin mit auf der Bühne stehen: Julia Fischer. Sie waren selbst auch lange Solo-Cellist. Ist es denn leichter als Dirigent, wenn man selbst Solist war und sozusagen weiß, wie's läuft, oder sind das im Gegenteil eher falsche Voraussetzungen - dass Sie zu viel mitfühlen, was der Solist machen wird?
Michael Sanderling: Eigentlich beides. Ich glaube, dass es grundsätzlich ein großer Vorteil ist, wenn man als Dirigent das Geschehen auf der Bühne einschätzen kann, auch aus der Perspektive des Solisten und übrigens auch aus der Perspektive des Orchestermusikers. Die Ausnahme: Wenn ich Cellisten begleite, dann ist es für mich wirklich schwer und das aus einem einzigen Grund. Ich komme überhaupt nicht auf die Idee, dass irgendeiner meiner Kollegen am Cello andere Ideen haben könnte, als ich sie lange gepflegt habe. Und deshalb muss ich mich immer unglaublich zusammennehmen. Ich bin dort gefährdet, nicht ganz so spontan reagieren zu können, wie bei allen anderen Solisten.
Ich komme überhaupt nicht auf die Idee, dass irgendeiner meiner Kollegen am Cello andere Ideen haben könnte, als ich sie lange gepflegt habe.
BR-KLASSIK: Julia Fischer wird das Violinkonzert von Aram Chatschaturjan spielen. Ein Stück, das 1940 geschrieben wurde und 1941 den Stalin-Preis bekommen hat. Wie geht man aus heutiger Sicht mit so einem Werk um?
Geigerin Julia Fischer | Bildquelle: Decca / Uwe Arens Michael Sanderling: Man geht damit um, wie mit vielen anderen Werken auch, die in ihrer Zeit womöglich missbraucht worden sind. Da fallen uns auch gleich ein paar Werke ein, wo uns das mit deutschem Repertoire so gegangen ist. Man fokussiert oder reduziert sich wieder auf das, was man in der Partitur liest. In diesem Fall des Chatschaturjan-Violinkonzerts ist das: unglaublich gute Instrumentation, fantastische Behandlung der Soloinstrumente und emotionale Linienführung. Und man lässt alles das mal weg, wozu andere glaubten, diese Musik benutzen zu müssen.
BR-KLASSIK: Neben Chatschaturjans Violinkonzert, das eher unbekannt ist, steht am Abend wiederum ein sehr bekanntes Werk auf dem Programm: Beethovens 7. Sinfonie. Was ist Ihnen lieber? Die Sicherheit mit den bekannten Werken oder die Neugierde auf das Neue, das Unbekannte?
Michael Sanderling: Ich muss mich ja glücklicherweise nicht entscheiden, beides ist sehr interessant. Im Übrigen muss ich Ihnen ehrlicherweise sagen, dass ich nie eine Sicherheit habe bei bekannten Werken. Im Gegenteil: Vielleicht ist das sogar für den Interpreten schwieriger, eine Beethoven-Sinfonie, die nun wirklich jeder pfeifen kann, so zu gestalten, dass man das Gefühl hat, dass dieses Stück in diesem Moment ganz besonders lebt. Das ist vielleicht die größere Aufgabe, als ein Werk, das für alle erst einmal Neuland ist. Aber ich möchte das eigentlich generell gar nicht gegeneinander bewerten, sondern mir ist beides wichtig und beides sehr nah am Herzen.
BR-KLASSIK: Nun sind Sie ja selbst mit dem Instrument groß geworden und sind zunächst Cellist gewesen. Und dann sind sie fast schon zufällig zum Dirigieren gekommen, obwohl natürlich Ihr Vater auch Dirigent war. Sie haben es nie wirklich gelernt, also keine Ausbildung am Dirigentenpult genossen. Ich habe aber gelesen, dass Sie in einem Dirigier-Seminar bei Heinz Rögner als Solist Teilgenommen haben und den schwierigen Solisten geben mussten: Der, der es dem Dirigenten nicht so einfach macht. Da bin ich neugierig geworden. Was muss man denn machen, um es dem Dirigenten als Solist schwer zu machen?
Ein Dirigent muss schnell reagieren und mit Handbewegungen korrigieren und kann nicht einfach auf das pochen, was er erwartet.
Dirigent Michael Sanderling | Bildquelle: © Marco Borggreve Michael Sanderling: Zunächst ist es einmal eine viel schwierigere Aufgabe, als man zunächst glaubt, denn man muss seine natürliche musikalische Intuition ausschalten, um alle Mitgestalter - den Dirigenten und das Orchester - aufs Kreuz zu legen. Das kann zwar Spaß machen, erfordert aber eine gewisse Professionalität. Aber Hintergrund dieser ganzen Aufgabe war, dass der Dirigier-Dozent dadurch erreichen wollte, dass ein Dirigent reagieren muss, schnell mit Handbewegungen korrigieren muss und nicht einfach auf das pochen kann, was er gerade erwartet. Also genau das, was mir mit Cello-Solisten des öfteren widerfährt: Dass ich von einer festgesetzten Erwartung ausgehe, weil ich 20 Jahre das Dvořák-Konzert so oder so gespielt habe. Genau um die Vermeidung dieses Gefühls ging es bei diesem Dirigier-Kurs. Das war für mich eine große Lehrstunde.
BR-KLASSIK: Jetzt haben Sie das Cello nicht ganz in die Ecke gestellt, denn Sie unterrichten noch. Aber Sie stehen seit zehn Jahren hauptberuflich als Dirigent am Pult. Warum haben Sie damals den Beruf gewechselt?
Michael Sanderling: Ich habe das ganz große Glück, dass ich 18 Jahre selbst im Orchester gespielt habe - und das mit ganz großer Freude. Ich habe das nie als Last empfunden. Ich kann aus diesem Erfahrungsschatz, nämlich zu wissen, wie sich das auf der 'Gegenseite' anfühlt, eine Menge ableiten und kann im Ausschlussverfahren so manche Situation lösen. Manchmal weiß man nicht genau, wie es geht, aber man weiß schon zu 100 Prozent, wie es nicht geht.
Das Interview für BR-KLASSIK führte Kathrin Hasselbeck.
Michael Sanderling, Leitung
Julia Fischer, Violine
Richard Wagner
Ouvertüre zur Oper "Rienzi"
Aram Chatschaturjan
Konzert für Violine und Orchester d-Moll
Dmitri Schostakowitsch
Sinfonie Nr. 5 d-Moll op. 47
Ludwig van Beethoven
Sinfonie Nr. 7 A-Dur op. 92
Dienstag, 22. November - München, Philharmonie im Gasteig, 20 Uhr
Mittwoch, 23. November - Innsbruck, Kongress- und Konzerthaus