Für ihre Darstellung der Renta in Prokofjews Oper "Der feurige Engel" an der Komischen Oper Berlin wurde Svetlana Sozdateleva mit dem Faust-Preis ausgezeichnet. Nun ist sie in dieser Rolle an der Bayerischen Staatsoper zu erleben. Annika Täuschel hat die Sopranistin zum Interview getroffen.
Bildquelle: Wilfried Hösl /Staatsoper
BR-KLASSIK: Svetlana Sozdateleva, Sie haben für Ihre Darstellung der Renata in Berlin an der Komischen Oper den Faust-Preis gewonnen. Was zeichnet diese Rolle für Sie aus, was ist daran so besonders?
Svetlana Sozdateleva: Renata ist wirklich eine ganz besondere Rolle. Zunächst mal unglaublich expressiv. Natürlich hat man das Expressive auch schon im Verismo, aber mir erscheint es hier noch einmal viel stärker. Diese Rolle ist unwahrscheinlich ausdrucksstark, voller Energie. Schon gleich der Beginn, Renatas Monolog, der Kampf mit dem Dämon (in unserer Inszenierung sitzt der Dämon in ihrem Kopf) und ihren inneren Leidenschaften. An dieser Szene sieht man schon die ganze Schwierigkeit der Rolle. Sie ist von Beginn an schon wahnsinnig ausdrucksvoll. Und dann geht es ja immer noch weiter, die Stimmung steigert sich, und steigert sich, bis zum Ende.
Wie man diesem Druck überhaupt standhält? Mir hilft da, glaube ich, dass ich im normalen Leben eine sehr ruhige und ausgeglichene Person bin. Tief innendrin besitze ich offensichtlich etwas von diesem Exzentrischen und auf der Bühne kann sich das dann entfalten. Und hinterher – im normalen Leben – bin ich wieder ruhig. Natürlich hilft mir auch mein starkes Nervenkostüm bei diesem emotionalen Druck und Elan.
BR-KLASSIK: Barry Kosky hat gesagt, Prokofjews Renata habe nichts zu tun mit Opernfiguren von Tschaikowsky oder Mussorgskij. Wo sind für Sie die Unterschiede?
Svetlana Sozdateleva: Das erklärt sich mir ziemlich einfach. Das liegt einfach an der Zeit, in der die Stücke komponiert wurden. Die Heldinnen von Tschaikowsky und Mussorgskij sind Heldinnen vergangener Jahrhunderte. Renata ist eine Frau des sogenannten „silbernen Zeitalters“, also Anfang des 20. Jahrhunderts, des Symbolismus in Russland. Eine Frau wie Nina Petrovskaja, die Muse von Valerij Brjussov, der ja den Roman „Der Feurige Engel“ geschrieben hat. Sie war auch die Muse anderer Poeten. Und in Russland war das damals für Frauen die Zeit der sexuellen Befreiung, auch eine Zeit des Spiritualismus. Frauen wie Nina Petrovskaja waren selbstbestimmt, unkonventionell, mit mehreren Männern liiert, selbst Künstlerinnen. Nina Petrovskaja war auch ziemlich verrückt. Ihr Leben endete tragisch in Paris. Brjussovs Roman „Der feurige Engel“ ist also in weiten Teilen autobiographisch, da stecken reale Personen dahinter.
Renata ist die Figur einer ganz anderen Zeit als Tatjana oder Lisa, das sind Puschkin-Figuren. Lieb, adlig zum Teil, schon auch mit ein paar Leidenschaften. Aber nicht mit diesem stürmischen Gestus des Jahrhunderts danach. Der Hauptunterschied liegt in der Zeit.
BR-KLASSIK: Barry Kosky hat außerdem über Sie gesagt: Sie hat keine Angst, sie kennt die Rolle auswendig und sie ist Russin. Das ist hilfreich. Warum?
Svetlana Sozdateleva: Dass ich in meiner Muttersprache singen kann, ist deswegen hilfreich, weil es in dieser Oper unheimlich viel Text gibt. Die Worte sind unglaublich dicht und gedrängt. Etwas Vergleichbares findet sich sonst fast nicht in der Oper. In ihrem Monolog am Anfang erzählt Renata 10 Minuten ihr komplettes Leben, alles quasi im „Schnellsprech“, das geht zackzack.
Da es meine Muttersprache ist, fühle ich jede Silbe, jedes Wort. Ich stelle mir das sehr schwer vor für Ausländer, aber natürlich können das auch andere singen. Es ist in jedem Fall eine gigantische Arbeit! Sie müssen einfach jede Silbe verstehen und ausdrücken, das ergibt dann einen ganz anderen psychologischen Effekt. Ich kann das alles sehr deutlich und klar artikulieren, damit wird es noch krasser.
Und warum ich mich nicht fürchte? Nun, die Rolle fordert sehr viel. Zunächst mal eine gute Kondition: ich muss in dieser Inszenierung sehr viel laufen, hüpfen, klettern, Möbel durch die Gegend schieben, ich bin die ganze Zeit in Bewegung. Also physisch muss man vorbereitet sein. Und emotional muss man widerstandsfähig und zäh sein, sonst wird man verrückt. Ich werde immer gefragt: Wie kannst du nach der Probe oder nach Vorstellungen wieder normal sein und einschlafen? Naja, danke an meine Eltern, zum Glück habe ich sehr gute Nerven! Aber es ist eine hochkomplexe Partie, deswegen wird sie auch nur von wenigen Sängerinnen gesungen.
BR-KLASSIK: Evelyn Herlitzius war eigentlich für die Rolle der Renata vorgesehen und wurde während der Probenphase krank. Ist es für Sie immer noch ein Gefühl des „Einspringens“ oder sind Sie längst im Zentrum der Produktion angekommen?
Svetlana Sozdateleva: Evelyn Herlitzius ist natürlich eine fantastische Sängerin und Darstellerin, ich wünsche ihr alles Gute. Für mich persönlich war die Entscheidung, die Rolle hier in München zu übernehmen, nicht leicht. Denn während der Münchner Probenphase habe ich die Renata gerade in Düsseldorf gesungen, und nach der Premiere hier geht eine Serie mit derselben Rolle in Berlin los. Ich bin also ganz schön in Zeitnot, zwischen Proben hier und Vorstellungen woanders, fliege ständig hin und her. In einem Monat 3 Produktionen des „Feurigen Engels“, das ist schon extrem!
Aber Vladimir Jurowski und Barry Kosky sind beides gute Freunde, ich arbeite mit Ihnen schon länger zusammen, und sie haben mich gemeinsam gebeten: Svetlana, bitte hilf uns! Ich habe dann gesagt, okay, ich versuche es. Mittlerweile bin ich über die Entscheidung aber sehr froh, es ist toll, an diesem berühmten Opernhaus hier zu singen. Hier hängen die Portraits der ganz Großen, Birgit Nilsson zum Beispiel. Und ich laufe durch die Gänge und denke mir: Wow, die haben hier alle gesungen und jetzt singst du hier auch. Das kann ich fast gar nicht glauben. Das Orchester ist toll, allein das Haus hat eine unglaubliche Geschichte. Jetzt geht es mir prima mit meiner Entscheidung, aber sie zu treffen, war schwer.
BR-KLASSIK: Die Renata im „Feurigen Engel“ ist Ihr Debüt in München. Wie gefällt Ihnen die Stadt und das Theater?
Svetlana Sozdateleva: Das ist natürlich eine ganz wunderbare Stadt! Mein erster Eindruck war der Marienplatz, ich kam aus der U-Bahn nach oben und es spielte gerade das Glockenspiel am Rathaus. Ich kam gerade aus Düsseldorf und war im Kopf ganz schön durcheinander, und dann der Blick auf dieses Rathaus! Ich dachte nur: Wow, wie schön, kaum zu glauben!
Und natürlich mag ich den Englischen Garten. Ich kann gerade bei einer so anstrengenden Rolle sehr gut in der Natur entspannen und regenerieren. Und dann war ja hier dieser tolle goldene Herbst, das habe ich natürlich ausgenützt. Eine schöne Stadt, ein berühmtes Theater, jeder möchte hier singen. Drum bin ich sehr glücklich!