Jeder kennt sie, keiner mag sie: CD-Hüllen aus Plastik gehen erst nicht auf, dann sofort kaputt und damit gehörig auf die Nerven. Vor 40 Jahren wurden sie erfunden. Es wird Zeit für eine Abrechnung.
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Der Name klingt toll: Jewelcase – zu Deutsch etwa: Edelstein-Etui. Wer möchte so etwas nicht besitzen, in Händen halten, betasten und bewundern? Ich. Ich hasse das Jewelcase. Es ist nicht schön, aber es muss gesagt werden: Das Jewelcase war ein Irrtum der Musikgeschichte, eine Fehlkonstruktion, die ihrem klangvollen Namen Hohn spricht. Vor genau 40 Jahren ist es passiert. Damals, im Jahr 1981, war die CD, jene digitale Wunderscheibe, die schon bald das gute alte Vinyl verdrängen sollte, bereits fertig entwickelt. Es fehlte für den Produktstart nur noch eine attraktive Verpackung.
Das Verhüllen und Enthüllen ist ja nicht bloß ein praktisches Bedürfnis, es kann im günstigsten Fall noch viel mehr transportieren: Vorfreude und Überraschung, optische und taktile Reize. Die Covers der Langspielplatte waren schließlich eine Art Kunstgegenstand. Ein Plattencover verlockte und versprach etwas, es erzählte Geschichten und markierte Unterschiede. Manchen gelang es sogar, die Musik in etwas Sichtbares zu übersetzen: ein synästhetisches Erlebnis!
CD-Hüllen, auch "Jewelcases" genannt | Bildquelle: picture-alliance/dpa Nun also ging es um etwas ähnliches für ein neues, technisch überlegenes Produkt: Die neu geborene CD brauchte einen angemessenen Auftritt. Im holländischen Eindhoven testete man unterschiedliche Materialien. Anfangs waren auch noch Glas und Holz im Rennen. Aber bald schon entschied man sich für Plastik. Als der Designer Peter Doodsen seinen Entwurf vorstellte, war man bei den beteiligten Firmen PolyGram und Philipps begeistert. Eine Plastik-Hülle mit transparenten Schalen, die es erlaubte, der CD ein kleines Booklet beizulegen! Großartig. Das Objekt bekam den edlen Namen Jewelcase.
Doch schon die ersten Testreihen hätten die Entwickler stutzig machen müssen: Zahlreiche Testnutzer schafften es nicht, das Ding zu öffnen. Weiteres Unheil braute sich zusammen. Aus Kostengründen wurde das Gewicht von 100 auf 60 Gramm reduziert, das Plastik wurde dünner. Und damit war das Schicksal besiegelt, welches das Jewelcase zu einem der meistverfluchten Gegenstände der kapitalistischen Moderne machen sollte.
Es beginnt beim Öffnen: Wie um aller Welt kriegt man das Cellophan ab? Fingernägel scheitern, scharfe Messer zerkratzen das Plastik. Wenn das – fast nie ohne Blessuren – endlich geschafft ist, wartet der nächste Frust im Inneren: Wie oft waren nicht schon beim ersten Öffnen jene kleinen Zähnchen abgebrochen, die die CD halten sollen? Die stabilere Variante verfällt ins Gegenteil – und das ist auch nicht besser: Manchmal lässt sich die CD kaum aus der Hülle lösen und man fürchtet, die biegsame Silberscheibe zu zerbrechen. Mit dem Booklet geht das Trauerspiel weiter: Wenn man es einmal aus der Halterung gepfriemelt hat, bekommt man es nur in absolut nüchternem Zustand ohne Knicke, Eselsohren und Risse wieder in die Hülle zurück. Immerhin wird dabei unser feinmotorisches Geschick trainiert. Und dann: Bloß nicht fallen lassen! Denn bei jedem Sturz zerbricht das Ding unweigerlich.
Natürlich gibt es längst viel schönere und praktischere Alternativen aus Pappe. Aber richtig durchgesetzt haben sie sich nie. Das Jewelcase ist bis heute die Standard-Verpackung für die mittlerweile ziemlich altmodisch gewordenen CDs. Und wahrscheinlich wird die Silberscheibe, so wie sie 1982 im Jewelcase das Licht des Marktes erblickte, in jenem unglückseligen kleinen Schneewittchensarg auch sterben. Heute, im glorreichen Zeitalter des Internets, wird alles besser! Endlich dürfen wir uns über sehr viel coolere Dinge ärgern: Dass uns die Suche von YouTube und Spotify grundsätzlich nur drei von vier Sätzen einer Sinfonie anzeigt zum Beispiel. Der Fortschritt ist eben unaufhaltsam.
Sendung: "Allegro" am 9. April 2021 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (3)
Montag, 12.April, 09:41 Uhr
W. Viereck
JewelCase
Bezeichnenderweise hat aber auch in diesen 40 Jahren niemand eine bessere Lösung als Plastik oder Pappe gefunden, die sich durchgesetzt hat. Trotz aller Tücken also ein "Erfolgsmodell" - solange die CD sich noch hält...
Samstag, 10.April, 13:23 Uhr
Hermann Hörmann
vier Sätze einer Sinfonie
@ Dass uns die Suche von YouTube und Spotify grundsätzlich nur drei von vier Sätzen einer Sinfonie anzeigt zum Beispiel.
Ganz BR-Klassik: meist wird nur ein Satz von vier Sätzen einer Sinfonie gespielt.
BR-KLASSIK: Lieber Herr Hörmann, da müssen Sie nur mal die Philharmonie ab 9 oder Panorama ab 14 Uhr einschalten - oder natürlich unsere Konzertabende. In diesen vielen Stunden Programm täglich wird Ihnen kein einziger Sinfoniesatz vorenthalten.
Freitag, 09.April, 16:54 Uhr
Jule
Ich bin ein Fan
Jaaa.... Aber!
In der ersten Zeit gab es doch keine Cellophan-Umschläge. Der Händler klebte ein Etikett zur Versiegelung, wenn man die CD verschenken wollte. Cellophan ist eine Erfindung des Fernabsatzes.
Ich bin ein Fan von JewelCase, schon alleine, weil man hier Upcycling machen kann. Die Hüllen sind austauschbar, man kann sie sogar für eigene Datensicherungs-CDs verwenden.
Die Papp-Hüllen sehen zwar gut aus, aber die Booklets fallen raus. Und das Problem, die CD aus dem Tray zu lösen, gibt es hier auch.