In Zeiten von Populismus und Propaganda ist Sergej Prokofjews Tolstoi-Oper "Krieg und Frieden" ein Stück von brennender Aktualität. Eine Neuinszenierung dieses Werks feiert am 30. September am Staatstheater Nürnberg zum Saisonauftakt Premiere. Generalmusikdirektorin Joana Mallwitz äußert sich im Interview über die musikalischen und szenischen Herausforderungen der Oper sowie ihre überzeitliche Bedeutung.
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BR-KLASSIK: Sergej Prokofjews Oper "Krieg und Frieden" ist ein Mammut-Werk in jeder Hinsicht: mit 28 Solisten, 72 Rollen insgesamt, Chor, Extrachor, großes Orchester, fünf Stunden Spieldauer im Original und mit extremen Bühnenanforderungen. Wahrscheinlich ist sie auch deswegen bis heute nicht fest im Repertoire verankert. Was sind für Sie die zentralen musikalischen Herausforderungen in dieser Oper?
Joana Mallwitz: Die musikalischen Herausforderungen sind, denke ich, die großen Gegensätze, die in dieser Oper von Prokofjew komponiert sind. Man hat teilweise das Gefühl, dass Musik von zwei, oder sogar drei, vier verschiedenen Komponisten geschrieben wurde. Aber es ist alles er, der auf der einen Seite ganz lyrische Szenen für die Hauptgeschichte schuf, die manchmal an Tschaikowsky erinnern und dennoch immer mit dieser Prokofjew-Ebene einen etwas herben Unterton haben. Es handelt von einer Dreiecks-Liebesgeschichte mit den Protagonisten Natascha, Pierre und Andrej. Und dann bricht der Krieg herein, in dem Moment, wo die Pause im Opernabend ist.
Es ist tatsächlich ein Prosakomponieren bis hin zu Propagandamusik.
Nach der Pause geht es dann in einer ganz anderen musikalischen Sprache weiter. Da kommen die ganz großen Massenszenen, also Chöre von französischen Soldaten, von russischen Soldaten, ganz viele schnelle Wechsel. Es ist tatsächlich ein Prosakomponieren bis hin zu Propagandamusik, die Prokofjew so dahinstellt: ganz riesenhaft, ganz laut, überwältigend. Das sind die Herausforderungen, musikalisch wie szenisch. Zum Beispiel bekommt man beim Schluss, wenn man den einfach so stehen lässt, Gänsehaut. Denn so etwas hat man in Deutschland seit 60, 70 Jahren nicht mehr gesehen. Da steht wirklich der Chor an der Rampe und besingt den Sieg und die besiegten, toten Franzosen. Angesichts der momentanen politischen Diskussionen über Populismus und Propaganda, muss man das heutzutage einfach mal so hinstellen und es unkommentiert lassen, um dadurch den Effekt zu haben, dass man das Grausen kriegt!
BR-KLASSIK: Ein bedrückend aktuelles Stück. Um auf das Werk selbst zurückzukommen: Im Original hat das Werk 13 Bilder, das Libretto ist nach Tolstois gleichnamigen Roman, stammt aber von Prokofjews Frau Mira Mendelson. In der Regel, so auch hier im Staatstheater Nürnberg, wird eine gekürzte Fassung gespielt – eine von vielen, die es gibt, auch vom Komponisten selbst. Für welche haben Sie sich entschieden, und nach welchen Kriterien sind Sie vorgegangen?
Sergej Prokofjew | Bildquelle: Wikimedia Commons Joana Mallwitz: Wir wollten den Fokus auf die Geschichte zwischen den Protagonisten legen, auf die ganz emotionale persönliche Geschichte, und nicht so sehr auf die verschiedenen Planungen der einzelnen Schlachten, die gerade im zweiten Teil der Oper stattfinden. Dort wurde mehr gestrichen. Wir haben uns dazu entschlossen, den Epigraphen noch vor der Pause zu spielen, was bei Prokofjew optional ist. Das ist ein toller Effekt, denke ich. Es ist der Moment der riesigen Chorszene, wenn der Krieg ausbricht. Mit diesem Gefühl geht man dann in die Pause und weiß nicht, was passiert eigentlich mit den Menschen, die wir gerade so lieben gelernt haben.
BR-KLASSIK: Das Zeitgeschehen zeigt ja auf beklemmende Weise die Aktualität dieser Oper. Hat aus Ihrer Sicht Prokofjews Vertonung das Potenzial eines zeitüberdauernden musikpolitischen Mahnmals?
Joana Mallwitz: Ich denke schon. Das war auch der Grund, dass dieses Stück jetzt als Eröffnungspremiere hier in Nürnberg vom Intendant Jens-Daniel Herzog gewählt wurde. Vor allem, wenn man es mit heute vergleicht, kann dieses Stück uns zeigen, dass in dieser ganzen Welt der Bälle, Veranstaltungen, Konversationen und Smalltalk, den die Leute auch im ersten Akt machen müssen, der Krieg ein Ausweichthema ist, wenn man über wichtige persönliche Dinge nicht sprechen kann. Der Krieg liegt dabei außerhalb des schönen Palastes, der Ballkleider und Empfänge. Dann bricht er jedoch wirklich aus und ist da. Diese Frage, in solchen Zeiten zu leben: Wie schnell sieht man eine Bedrohung? Wie schnell tut man was? Wie schnell wagt man sich hinaus aus seinem Leben voller Komfort und Unterhaltung? Im ersten Akt ist der Krieg noch Unterhaltungsthema. Und wenn es brenzlig wird, weil der alte Bolkonski die Verlobung nicht will, dann wird eben über den Krieg gesprochen. Das Dramatische ist, dass er als große Katastrophe nach der Pause hereinbricht und dann tatsächlich Leben zerstört, das finde ich sehr spannend. Ich denke, es ist genau richtig, dass wir dieses Stück jetzt spielen und man muss es jetzt spielen und hören.
Sendung: PausenZeichen zur Live-Übertragung aus dem Staatstheater Nürnberg am 30. September 2018, 17:30 Uhr auf BR-KLASSIK. Das ganze Interview gibt es hier zum Anhören.