Ende der 1920er-Jahre markierte "Jonny spielt auf" den Durchbruch von Ernst Krenek. Knapp 100 Theater in Deutschland spielten das Stück und selbst die MET in New York führte es auf. Jetzt bringt das Staatstheater am Gärtnerplatz "Jonny spielt auf" in einer Neuproduktion. Michael Brandstätter dirigiert, die Inszenierung übernimmt Peter Lund. Ein wichtiger Schritt. Denn der "Jonny" gehört zur Geschichte des Hauses. Darauf nimmt Lund nimmt in seiner Neuinszenierung Bezug; auch wenn er dafür ein Tabu brechen muss.
16. Juni 1928: Im Gärtnerplatztheater spielen sich tumultartige Szenen ab. Das Publikum brüllt Pfui und lacht höhnisch. Stinkende Eier und faule Äpfel schießen Richtung Bühne, Knallfrösche und Stinkbomben werden im Zuschauerraum geworfen, Frauen werden ohnmächtig, Männer prügeln sich. Die Polizei muss eingreifen. Die Vorstellung wird abgebrochen. Es war ein wohlvorbereiteter Theaterskandal mit einem gekauften Publikum. Nationalsozialisten wollten ein Exempel statuieren: Jazzmusik in der Oper. Dazu mit einem Schwarzen in der Titelrolle? Der auch noch am Ende triumphiert? Das durfte nicht sein. Teile Münchens, auch der Münchner Presse, zeigten sich von ihrer braunsten Seite. Fünf Jahre später sollte man "Hauptstadt der Bewegung" sein.
Regisseur Peter Lund greift genau diese historische Situation einer Aufführung von Ernst Kreneks "Jonny spielt auf" für seine Inszenierung auf. Was auch bedeutet: Jonny wird nicht von einem Afroamerikaner oder Afrikaner gesungen. "Natürlich haben wir sehr viel darüber geredet. Aber es war relativ zwingend, genau historisch abzubilden, also quasi mit einem weißen Sänger, der dann schwarzgemalt, geblackfaced wird", erklärt Peter Lund. Denn im historischen Kontext sei das ja so passiert. "Und wenn ich das historisch mit einem Schwarzen besetzt hätte, wäre es ein ganz anderes Bild. Dann würde ich plötzlich behaupten, 1928 hätten schwarze Sänger in Deutschland gesungen." Eine Lüge wäre das gewesen, so Lund, der sich der historischen Genauigkeit verpflichtet fühlt. Für das Gärtnerplatztheater bedeutet das: Seit langer Zeit ist in dieser Neuproduktion erstmals wieder ein blackgefactes Gesicht auf der Bühne zu sehen sein.
So gibt es also ein Theater im Theater. Dennoch abstrahiert Lund seine Figuren. Durch die Kostüme von Daria Kornysheva haben sie eine ganz eigene, comicartige Ästhetik, die das Gewitzte, Leichtlebige und doch Mondäne der 20er-Jahre aufgreifen. Der generelle Erfolg von "Jonny spielt auf" beruhte gerade auch auf spektakulären Bühneneffekten: Ein riesiger Gletscher, der leuchtet und auch noch singt. Eine Verfolgungsjagd im Auto. Eine große Lokomotive.
Doch Peter Lund sieht für "Jonny" eine ungewisse Zukunft: Gemeinhin gilt das Werk als "Jazzoper", manche sehen darin sogar eine Art Musical. Aber all das trifft nicht. Natürlich spielt der Jazz eine Rolle. Denn am Ende geht es im Stück auch darum, dass die Musik der neuen Welt, also Amerikas, mit ihren vielfältigen, gerade auch afrikanischen Einflüssen, die Zukunft der Musik bedeutet und die auserzählte Musik der Alten Welt ablöst. Diesen Prozess schildert Krenek in einer vollwertigen Oper. Mit ungemein farbenreicher Musik und auch mit Witz. Auch deswegen sei es ein Jammer, dass der "Jonny" nicht öfter aufgeführt wird, findet Peter Lund.
Jonny ist so eine bezaubernde Spieloper, die unglaublich frech und offenbachsch im besten Sinne mit diesen politischen Themen spielt.
Der Regisseur befürchtet, dass das Werk künftig wahrscheinlich wieder nicht gespielt werde, weil sich niemand an dieses Thema Blackfacing rantraue. "Das bedauere ich zutiefst", betont Lund. "Ich will überhaupt nicht der Diskussion ausweichen, aber ich möchte natürlich, und das werde ich tun, bis ich tot umfalle, die Frechheit dieser Diskussion. Und vor allen Dingen man kann es von zwei Seiten sehen."
Sendung: "Leporello" am 11. März 2022 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK