"Otello", "Die Zauberflöte" oder "Carmen" – viele beliebte Opern brauchen einen rassismuskritischen Blick. Ansätze aus der Musikwissenschaft wie die US-amerikanische Blackness-Forschung eröffnen neue Perspektiven.
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Opern neu zu analysieren aus der Perspektive von Schwarzen Menschen – das ist ein Anliegen von Naomi André. Die afroamerikanische Musikwissenschaftlerin ist Professorin an der Universität von Michigan. Sie hat zwei wichtige Bücher veröffentlicht: 2018 "Black Opera" und zusammen mit Kolleginnen und Kollegen bereits 2012 den Aufsatzband "Blackness in Opera". Naomi André betreibt ihre Analysen zu "Blackness" in Opernwerken und im Opernbetrieb nicht losgelöst von anderen wichtigen Aspekten wie Gender und Klasse. So wie es international mittlerweile vielfach Standard ist.
Otello wird im Personenverzeichnis der Oper von Verdi als "Mohr" bezeichnet. | Bildquelle: picture-alliance/Luisa Ricciarini/Leemage Die Analysekategorie Blackness schärft den Blick dafür, wie die Identität von afroamerikanischen oder afrikanischen Charakteren konstruiert und dargestellt ist. Für Naomi André nimmt die Oper "Otello" von Giuseppe Verdi eine Schlüsselrolle ein, weil die Titelfigur sehr differenziert gezeichnet ist: "Am Ende des ersten Aktes steht schließlich dieses unglaubliche Duett zwischen Desdemona und Otello mit dem 'Ancora un bacio'-Thema." Otello erbittet sich "noch einen Kuss" von Desdemona. Dieses Kuss-Motiv erklingt wieder am Schluss, wenn Otello sich selbst tödlich verletzt hat und neben der ermordeten Desdemona niedersinkt. Nach Ansicht von Naomi André betone Verdi auf diese Weise das eigentliche Motiv für Otellos Wandel zum Mörder: Liebe, die von Eifersucht zersetzt ist.
Verdi und sein Librettist Arrigo Boito unterstreichen das menschliche Drama. Den ersten Akt der Vorlage, das gleichnamige Schauspiel von William Shakespeare, strichen sie wegen rassistischer Diskriminierungen. Trotzdem bleibt Titelheld Otello, im Personenverzeichnis als "Mohr" bezeichnet, ein Außenseiter. Gleich sein Erscheinen nach Desdemonas Gebet durch eine Geheimtür zu tiefsten Kontrabass-Klängen – instrumententechnisch damals noch sehr neu – unterstreiche seinen Außenseiter-Status, so Naomi André.
Marie Galli, erste Darstellerin der Hautprolle in Bizets "Carmen", 1875 | Bildquelle: picture alliance/Leemage Auch in der deutschen Musikwissenschaft spielen Fragen nach der Ethnizität eine Rolle, also nach der Zugehörigkeit zu einer religiösen – oder weiter gefasst, zu einer kulturellen Gruppe. Ein ergiebiges Beispiel ist die Oper "Carmen" von Georges Bizet. Fabrikarbeiterin, laut Personenverzeichnis eine "Zigeunerin", erotische Verführerin – bei Carmen spielt alles zusammen: ihr sozialer Status, ihre soziokulturelle Geschlechterrolle, ihre, wenn man so will, Ethnizität, potenziert durch eine gehörige Dosis Klischee. "Natürlich wird dieses Klischee von einer 'Zigeunerin' auch musikalisch durch bestimmte Mittel bedient – im Sinne einer faszinierenden, aber auch todbringenden Femme fatale", sagt Arne Stollberg, Musikwissenschaftsprofessor an der Humboldt-Universität Berlin im BR-KLASSIK-Interview.
Der sogenannte Exotismus spielt in der Oper schon seit dem 18. Jahrhundert eine große Rolle. "Die Suggestion ferner Länder – das muss nicht unbedingt gleich rassistisch sein, ist aber oft mit einem Stereotyp verbunden", erklärt Arne Stollberg. Die Musiktheater-Forschung untersucht hier unter anderem musikalische Merkmale, die sich für bestimmte Bevölkerungsgruppen etablieren und dann zum Klischee in der Operngeschichte werden.
Die Suggestion ferner Länder muss nicht gleich rassistisch sein, ist aber oft mit einem Stereotyp verbunden.
Ein Meilenstein in der Operngeschichte ist die Uraufführung von Ernst Kreneks "Jonny spielt auf" 1927 in Leipzig. Der afroamerikanische Jazzmusiker Jonny erscheint hier als vitales Gegenbild zu Max, einem lebensmüden, europäischen Komponisten. Zu Beginn unterhält Jonny in einem Pariser Hotel mit einer Jazzband die Gäste. Im Hotelkorridor trifft er auf die Sängerin Anita. Jonny bemerkt: "Die weiße Frau ist schön!" Der Geiger Daniello verjagt ihn und beleidigt Jonny rassistisch. Dieser stellt daraufhin fest, dass die "Weißen" Tiere aus ihm und anderen Afroamerikanern machten.
Mozarts "Die Zauberflöte": Monostatos und die schlafende Pamina (Aufführung am Teatro alla Scala in Mailand, 1816) | Bildquelle: picture alliance / akg-images Die Selbstreflexion eines Schwarzen findet sich auch in der Oper "Die Zauberflöte" von Wolfgang Amadeus Mozart. Hier ist es Monostatos, der schwärmt, wie "schön weiß" Pamina sei. Er will sie küssen, wagt es aber nicht, auch weil "ein Schwarzer hässlich" sei. Mozart kannte mit Angelo Soliman einen Afrikaner. Der Freimaurer Mozart traf Soliman ab 1785 regelmäßig als Logenbruder. Die persönliche Bekanntschaft mit Solimann könnte für Mozart ein Grund gewesen sein, Monostatos differenzierter darzustellen. Für die Musikwissenschaftlerin Cornelia Bartsch ist die Arie einerseits durch den Rückgriff auf "orientalisierende Elemente" dicht dran an musikalischen Klischees, mit denen man einen problematischen Mix aus Orientalisierung, Blackness und Rassismus gegenüber Schwarzen assoziiert. "Aber man kann die Arie auch als Kritik ansehen, dass der Schwarze allein ist", betont Bartsch. Hier, wie bei anderen Werken, erzeugt ein rassismuskritischer Blick neue Sichtweisen auf vermeintlich vertraute Opern.
Sendung: "Das Musik-Feature" am 22. Januar 2021 um 19:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (1)
Dienstag, 26.Januar, 10:29 Uhr
W. Viereck
Monostatos
Die Rolle des Monostatos ist eindeutig als Kritik an den negativen Vorurteilen gegenüber Schwarzen angelegt - der Grund für sein Handeln sind einfach Verzweiflung und Eifersucht. Das wird besonders dann deutlich, wenn man Monostatos' Dialogpartien liest. Leider wird diese Figur oft durch eine übermäßige Kürzung der Dialoge ins Negative verzerrt.