Erst wollte sie nur singen. Dann entdeckte sie ihre Leidenschaft für's Chordirigieren. Mit 33 gibt Julia Selina Blank jetzt ihr Debüt beim Chor des Bayerischen Rundfunks. Der klingt für sie weinrot. Je nördlicher der Chor, desto heller die Farbe, so die Dirigentin.
Bildquelle: Ingvild Festervoll Melien
BR-KLASSIK: Sie dirigieren derzeit ein Projekt beim Chor des Bayerischen Rundfunks. Wie sind Sie eigentlich selbst zum Singen und Chordirigieren gekommen?
Julia Selina Blank: Ich bin in Unterbrunn bei Gauting aufgewachsen. Und bei uns im Dorf gibt es einen Gesangsverein. Den hab' ich zwischendurch auch geleitet – Männerchor, Kinderchor, Jugendchor und alles mögliche. Aber eigentlich haben mir das meine Eltern in die Wiege gelegt. Die sind beide passionierte Laienchorsänger.
BR-KLASSIK: Aber irgendwann muss es doch mal Klick machen. Sie haben ja dann Musik studiert: Gesang und Chorleitung, erst in München, dann in Stockholm. Und jetzt haben Sie in Oslo auch einen Chor gegründet und sind wahnsinnig viel unterwegs – fast ausschließlich mit Chordirigieren. Wie kommt das?
Julia Selina Blank hat im Dirigieren ihre Bestimmung gefunden. | Bildquelle: © Ingvild Festervoll Melien Julia Selina Blank: Ein ausschlaggebender Punkt, das professionell zu machen, war der Bayerische Landesjugendchor. Da hat es Klick gemacht. Da habe ich erstmals diese Passion für's Singen verstanden, für's Chorsingen, für's Musizieren mit der Stimme – in einem Rahmen, der wirklich ein großes Format hatte. In dem großen Chor wurden alle solistisch mit Gesangsunterricht gefördert. Und der Klang hat eigentlich auch nicht mehr viel mit Jugendchor zu tun. Da waren alle auf dem Weg zum Sänger, Dirigenten, Profimusiker.
Da hab' ich gemerkt: Das Dirigieren ist meine Welt.
BR-KLASSIK: Und ist es dann so, dass man sich sozusagen von dem einen verabschieden muss? Sie hatten ja auch selber gesungen. Und dann die Entscheidung: okay, jetzt gehe ich mehr so auf die andere Seite.
Sehen Sie hier den Mitschnitt des Konzerts von Julia Selina Blank mit dem BR-Chor.
Julia Selina Blank: Zunächst wollte ich singen. Ich habe dann auch erstmal Schulmusik gemacht, weil ich einige Instrumente gespielt habe und auch gerne pädagogisch arbeite. Und dann kam im Schulmusikstudium das Dirigieren zum ersten Mal eigentlich so offiziell mit Technik dazu. Und in Kombination mit der eigenen stimmlichen Ausbildung kam das Camp dann ziemlich schnell ins Rollen. Ich habe dann noch beides gemacht, auch ein bisschen Sologesang, aber dann habe ich schnell gemerkt, dass das Dirigieren meine Welt ist.
Das Konzert mit Julia Selina Blank und dem Chor des Bayerischen Rundfunks können Sie am 18. Februar um 20 Uhr im Video-Livestream verfolgen.
Der Chor des Bayerischen Rundfunks klingt weinrot.
BR-KLASSIK: Sie haben dann auch in Stockholm studiert und leben jetzt seit längerem in Oslo, wo Sie das JSB-Ensemble gegründet haben und auch den Kammerchor NOVA leiten. Aber wie sind Sie überhaupt nach Skandinavien gekommen? Gibt es da irgendeinen Bezug?
Bei Grete Pedersen hat Julia Selina Blank studiert. | Bildquelle: picture alliance / NTB | Lise Åserud Julia Selina Blank: Der Bezug wurde hergestellt durch mein Erasmus-Jahr in Stockholm. Ich bin dann nochmal zurückgekommen nach München, um hier fertig zu studieren. Aber da war der Weg nach Skandinavien schon geebnet. Und dann kannte ich auch einige norwegische Sänger aus anderen Projekten, die dann viel vorgeschwärmt haben von der lieben Grete Pedersen. Die war dann auch zu Gast hier beim Chor des Bayerischen Rundfunks. Ich habe sie im Konzert erlebt, und das hat mich so fasziniert, dass ich bei ihr studieren wollte. Sie ist ein sehr guter Mensch. Das hat sehr gut zusammengepasst.
BR-KLASSIK: Es wird oft gesprochen über die Unterschiede zwischen der skandinavischen Kulturtradition und der deutschsprachigen bzw. anderseuropäischen. Würden Sie auch sagen, dass der skandinavische Chorklang irgendwie heller ist? Transparenter? Oder sind das doch zu oberflächliche Begriffe?
Julia Selina Blank | Bildquelle: Ingvild Festervoll Melien Julia Selina Blank: Nein, die Klanglichkeit ist wirklich unterschiedlich. Und auch das Klangideal. Ich habe das Gefühl, das gilt auch innerhalb Deutschlands. Wenn man die verschiedenen Rundfunkchöre miteinander vergleicht, dann sind die Klänge verschieden. Der Chor des Bayerischen Rundfunks ist eher weinrot, und das NDR Vokalensemble in Hamburg eher hellblau oder so. Ich finde: Je nördlicher man kommt in Deutschland, umso heller wird es. Man sagt, das hat mit der Sprache zu tun. Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass in Skandinavien die symphonische Chormusik, also diese riesigen Chöre mit bis zu 100 Leuten, nicht so oft zustande kommt. Das sind einfach kleinere Chöre. Vielleicht hat es aber auch damit zu tun, dass Eric Ericson den A-cappella-Gesang so unglaublich verbreitet hat. Grete Pedersen hat auch bei Eric Ericson studiert. Es gibt verschiedene Theorien, aber der Klang ist auf jeden Fall unterschiedlich.
Julia Selina Blank war auch zu Gast bei "Kosmos Musik", dem Wissens-Podcast von BR-KLASSIK. Mit Host Suzanna Randall unterhält sie sich über hierarchische Strukturen in Chören und wie man als Chorleiter für eine gute Harmonie sorgt – ganz unabhängig vom Singen.
BR-KLASSIK: Jetzt arbeiten Sie ja aktuell beim Chor des Bayerischen Rundfunk. Und da haben Sie eine echt dicke Nuss zu knacken: "Die Passionswoche" von Maximilian Steinberg. Das Werk wurde vor knapp zehn Jahren erst uraufgeführt. Den Komponisten kennt eigentlich niemand. Was war das für ein Mensch?
Julia Selina Blank: Maximilian Steinberg war Komponist und Dirigent. Er war Schüler und irgendwann auch Schwiegersohn von Nikolai Rimski-Korsakow. Er kommt also aus dieser Tradition. Das Stück, das ich dirigiere, ist in den 1920er-Jahren entstanden. Es ist orthodoxe Gottesdienstmusik. Und "Passionswoche" bedeutet, dass es der Liturgie der Passionswoche folgt. Steinberg hat liturgische Melodien aus der orthodoxen Kirchenmusik genommen und verschiedene große, vokal Sätze drumrum komponiert.
Das Konzert beim BR-Chor ist Teil des BR-KLASSIK-Programmschwerpunkts "Der wilde Sound der 20er".
BR-KLASSIK: Außerdem dirigieren Sie "Vespers" von Galina Grigorjewa. Woher kennen Sie die? Und was macht die so für Musik?
Julia Selina Blank war bisher erst einmal als Einstudiererin beim BR-Chor. Jetzt gibt sie dort ihr Debüt als Dirigentin. | Bildquelle: © Astrid Ackermann / BR Julia Selina Blank: Die kenne ich eigentlich nur aus Recherchen. Man schaut ja auch, was andere Chöre so singen. Und dann war einfach klar: Wir haben ein rein russisches Programm. Vielleicht möchte man dann auch aufgrund der politischen Situation mit etwas Ukrainischem kontrastieren oder ausbalancieren – ohne eine politische Message nach draußen zu senden. Aber es gibt einfach auch ukrainische Musik. Und auch klanglich passt Galina Grigorjewa einfach. Sie kommt aus der gleichen Tradition wie Steinberg. Es gibt einige Solo-Sätze für vor allem Männerstimmen, sehr schöne Soli. Ich empfehle nur jedem, dieses Konzert zu hören. Denn es sind so tolle Stimmen im BR-Chor. Und es bringt auch so eine Ruhe rein.
BR-KLASSIK: Wie ist es eigentlich mit dem oft zitierten und nicht immer ganz so einfachen Thema "Dirigentinnen"? Sie sind ja jetzt selber sehr erfolgreich. Haben Sie da in ihrer Karriere unangenehme Erfahrungen gemacht oder das Gefühl gehabt, ich komme irgendwie nicht weiter wegen meines Geschlechts?
Julia Selina Blank: Nein, ich habe nie das Gefühl gehabt, dass es ein Nachteil ist. Ich weiß, dass Dirigentinnen das erlebt haben. Bei mir ist es eher so, dass ich, wenn ich bei verschiedenen Profichören in den Chorsaal komme, dass die Kommentare von Mitsängern erst mal in die Richtung gehen: Ach, sind Sie die Aushilfe? Und dann sage ich: Nein, ich bin die Dirigentin.
Man muss authentisch sein.
BR-KLASSIK: Aber genau das ist doch das klassische Vorurteil. Es ist doch beleidigend und eben irgendwie auch eigenartig, dass man da immer noch drauf hinweisen muss. Das Ziel ist doch, dass das gar nicht mehr thematisiert werden muss.
Julia Selina Blank | Bildquelle: Ingvild Festervoll Melien Julia Selina Blank: Ich denke, es ist natürlich noch ein Thema – statistisch. Für mich persönlich ist es kein Thema mehr. Im Studium war es das vielleicht noch. Da war ich etwas hartnäckiger, bin nur in Kleidern auf die Bühne und so. Aber das habe ich abgelegt, weil es mich persönlich nur eingeschränkt hat. Ich glaube, es hat auch etwas mit Führungsstil zu tun. Alle müssen ihren eigenen Führungsstil und ihre eigene Form von Autorität vor so einer Gruppe von Profis finden. Die einen sagen: Es gibt einen Unterschied zwischen Mann und Frau. Andere finden das nicht. Ich denke, als Dirigent ist man alles: männlich, weiblich, dunkel, hell, weich, hart. Muss man ja auch, wie die Musik halt ist. Und dann muss man definitiv authentisch sein. Und das kann ich auch nur allen Kolleginnen mitgeben – und auch Kollegen. Es geht darum, diese Authentizität und seine eigene dirigentische Stimme zu finden und auszubauen. Ich glaube, dann wird es hoffentlich irgendwann kein Thema mehr sein.
Samstag, 18. Februar 2023 um 20Uhr
München, Prinzregententheater
Galina Grigorjeva: "Vespers" für gemischten Chor a cappella
Maximilian Steinberg: "Strastnaya sedmitsa" (Die Passionswoche) nach alten Kirchengesängen für gemischten Chor a cappella, op. 13
Chor des Bayerischen Rundfunks
Julia Selina Blank, Leitung
Weitere Infos zum Konzert gibt es auf der Homepage des BR-Chores.
Das Konzert wird im Video-Livestream übertragen.
Der Konzertmitschnitt wird am Donnerstag, den 16. März 2023 um 20 Uhr auf BR-KLASSIK gesendet.
Sendung: "Meine Musik" am 18. Februar 2023 ab 11:05 Uhr auf BR-KLASSIK