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Mädchen- und Knabenchöre Die Ausbildung macht den Unterschied

Die bekanntesten deutschen Kinderchöre sind reine Knabenchöre. Etwa die Regensburger Domspatzen, der Windsbacher und der Tölzer Knabenchor. Wenngleich auch Mädchen für sich in Anspruch nehmen, hervorragende Stimmen zu haben. In Berlin hat eine Mutter geklagt, weil sie ihre Tochter diskriminiert sah. Die Klage wurde abgewiesen: Das Recht auf Kunstfreiheit überwiege gegenüber dem Diskriminierungsverbot. Immerhin darf das Mädchen nun beim berühmten Thomanerchor in Leipzig vorsingen. Doch woran liegt es eigentlich, dass Knabenchöre renommierter sind als Mädchenchöre?

Regensburger Domspatzen im Regensburger Dom | Bildquelle: BR/Michael Vogl

Bildquelle: BR/Michael Vogl

Himmlisch. Engelhaft. Überirdisch klar. Mit diesen Adjektiven werden Knabenstimmen in der Literatur gerne bezeichnet. Mädchenstimmen gelten dagegen als warm und weich, aber auch als verhaucht und schwachbrüstig. Diese Begriffe stammen aus dem 19. Jahrhundert und verdeutlichen letztlich die Vorstellungen, wie Männer und Frauen wahrgenommen werden, sagt die Musikwissenschaftlerin und Dramaturgin Ann-Christine Mecke. Mecke forscht zu Frauen- und Männerstimmen. Diese Vorstellungen würden auf die Klangeigenschaften der Stimmen übertragen, so Mecke. Aber wenn weniger der Klang als vielmehr Klischees den Unterschied zwischen Mädchen und Knabenstimmen markieren – wieso kam es überhaupt zu der Bildung reiner Knabenchöre?

Grund 1: Geschichte

Die Ursprünge des Knabenchores gehen zurück ins Frühmittelalter. Damals war der weibliche Gesang in den Kirchen verboten, weshalb die sakrale Musik während des Gottesdienstes erst einmal eine Angelegenheit der Männer war.

Als man dann den Tonraum zunehmend nach oben erweitert hat und das für Männer nicht mehr erreichbar war, hat man angefangen mit Knabenstimmen zu arbeiten.
Anne-Christine Mecke

Heute hat der Knabenchor nicht mehr diese exklusive Bedeutung wie noch vor 300 Jahren. So richtig geändert habe sich das in der katholischen Kirche mit dem zweiten vatikanischen Konzil, also in den Sechzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts. Seitdem dürfen auch Frauen ganz offiziell im katholischen Gottesdienst singen. Trotzdem gelten Knabenchöre immer noch als das Originalinstrument für viele Werke der geistlichen Musik.

Grund 2: Alter und Ausbildung

Jungen kommen in der Regel mit 12 oder 13 Jahren in den Stimmbruch. Praktisch bedeutet das, dass sich alle vier Jahre der gesamte Chor austauscht.

Und das sorgt dafür, dass es eine sehr effiziente und schnelle gesangliche Ausbildung bei Knabenchören gibt.
Ann-Christine Mecke

In Mädchenchören hat man dagegen mehr Zeit. Der Stimmwechsel bei Mädchen ist nicht so ausgeprägt wie bei den Jungen und sorgt in der Regel nicht dafür, dass das Stimmfach gewechselt werden muss. Die Mitglieder von Mädchenchören sind daher deutlich älter. Was heute als Mädchenstimme gilt, sei stimmphysiologisch so etwas wie die Stimme einer jungen Frau, erklärt die Musikwissenschaftlerin Ann-Christine Mecke. Es seien also 15-, 16-, 17-jährige Mädchen, die seit ihrer Kindheit singen.

Stimmbildung unterscheidet sich

Inwieweit der klangliche Unterschied zwischen Mädchen- und Knabenchören biologisch bedingt ist, lässt sich gar nicht so genau sagen, da es schlicht und ergreifend noch keine Mädchenstimmen gibt, die dieselbe Stimmbildung genossen haben wie Jungen. Die Art der Ausbildung und das unterschiedliche Alter der Sängerinnen und Sänger spielen in dem Zusammenhang auf jeden Fall eine wichtige Rolle. Dass Jungen und Mädchen beim Singen getrennt werden, hat aber noch einen weiteren Grund:

Grund 3: Pädagogik

In den meisten gemischten Kinderchören gibt es viel mehr Mädchen als Jungen. Da brauche es sehr tapfere Jungen, die ihrem Hobby weiter nachgehen, obwohl sie in der Minderheit sind, meint Ann-Christine Mecke. Für viele Buben sei es da angenehmer und mit ihrem männlichen Selbstbild leichter zu vereinbaren, wenn sie in einer reinen Jungengruppe sängen.

Gemeinsam singen oder nicht?

Bedeutet das nun, dass pädagogische Gründe ausreichen, um Mädchen und Jungen beim Singen zu trennen? Oder wäre es nicht wünschenswert, dass Jungen auch mit Mädchen zusammen singen können, ohne Angst haben zu müssen, unmännlich zu sein? Mecke plädiert bei dem Thema jedenfalls für Offenheit. Alle jene, die sich exklusiv für Knabenstimmen interessieren, möchte sie dazu ermuntern, ihr Interesse auch auf Mädchenstimmen auszuweiten. Auf diese Weise, so meint sie, lasse sich eine Veränderung der Situation erreichen.

Sendung: Allegro am 11. September 2019 ab 06.05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (4)

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Donnerstag, 19.September, 11:03 Uhr

bmeschwerdtfeger@t-online.de

Knabenchöre

interessanter Beitrag zu Mädchen- und Knabenchören

Dienstag, 17.September, 10:31 Uhr

Stefan Rudewig

Gleichberechtigte Ausbildung?

Wo gibt es denn einen "Ausschluss von Mädchen aus der hochwertigen musikalischen Ausbildung"? Wenn Frau Rechtsanwältin Bräcklein nicht nur an medialem Aufsehen und an der Verbreitung genderkritischer Ideen gelegen wäre, würde sie ihre Tochter beispielsweise dem Mädchenchor Hannover vorstellen, der international erfolgreich musiziert und seinen Choristinnen eine hervorragende musikalische Ausbildung bietet. Das alles ist nur eine künstlich herbeigeredete Scheindiskussion, die nur der Zerstörung kultureller Traditionen aus egoistischen Motiven diesen soll.

Sonntag, 15.September, 11:34 Uhr

Susann Bräcklein

Die Bildungsforschung liefert keine Belege dafür, dass getrenntgeschlechtliche Ausbildungsformen zu besseren Ergebnissen führt, auch nicht für den Musikunterricht. Hier mag es entlang der Geschlechter unterschiedliche Interessen geben, denen guter Musikunterricht mit flexiblen Unterrichtsformen begegnet. Insoweit rechtfertigten diese - häufig nur pauschalierten Unterschiede - nicht den institutionellen Ausschluss von Mädchen aus der hochwertigen musikalischen Ausbildung. Auch bei den spezialisierten Knabenchorschulen dürften flexible Ausbildungs- und Auftrittsformate allen Interessen an gleichberechtigter Ausbildung und Erhalt musikalischer Präferenzen gerecht werden. Die Institutionen haben Kompetenzen, Ressourcen. Wer könnte das besser umsetzen. Es handelt sich um qualifizierte, staatliche Musikschulen. Auch in anderen ästhetischen Ausbildungsstrukturen, wie z.B. der staatlichen Ballettschule Berlin würde man nicht wegen der Unterschiede ein Geschlecht auszuschließen.

Mittwoch, 11.September, 10:45 Uhr

Georg Meier

"Das Klischee macht den Unterschied"

"Das Klischee macht den Unterschied"....so lautet die Überschrift dieses "Artikels"

Ich bin enttäuscht, dass auf dieser Seite so ein Unfug abgedruckt wird. Nicht das Klischee macht den Unterschied, sondern der Klang. Éin Knabenchor ist von jedem einigermaßen Geübten am unterschiedlichen Klang sofort erkennbar: wer das nicht hören kann, ist entweder ideologisch verblendet oder unmusikalisch.

Was sollte uns lieber sein? Ein ideologisch korrekter Einheitsbrei oder ein spezifischer Klang, auch wenn der nicht quotengerecht erreichbar ist......

Auf so eine Peinlichkeit wie die Bemerkung, gemischtes Singen würde ggfs. als "unmännlich" empfunden, will ich garnicht näher eingehen....soll man darüber eher lachen oder weinen?

Antwort von BR-KLASSIK: Da der Artikel tatsächlich anders argumentiert, haben wir die Überschrift geändert!

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