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Kommentar Vergesst die Klassik-Grammys!

Diese Woche wurden die Grammy-Nomminierungen bekanntgegeben. Ohne große Überraschungen im Pop: Billie Eilish ist sieben mal nominiert, Justin Bieber sogar acht mal. Mit Blick auf die Klassik-Kategorien greift man sich jedoch an den Kopf: Kaum ein europäisches Orchester ist vertreten. Aber immerhin weiß man jetzt, dass Nashville ein eigenes Symphonieorchester hat. Fein. Kann man die Klassik-Grammys überhaupt ernstnehmen? BR-KLASSIK-Redakteur Bernhard Neuhoff meint: Natürlich nicht!

Grammy | Bildquelle: picture alliance / ZUMAPRESS.com | Kay Blake

Bildquelle: picture alliance / ZUMAPRESS.com | Kay Blake

Stellen wir uns eine typische deutsche Kulturredaktion vor. Es ist der Tag, an dem die Grammy-Nominierten bekannt gegeben werden. Die Popjournalisten stehen schon in den Startlöchern. Schließlich soll ihr Grammy-Artikel zum Aufmacher werden. Es wird diskutiert. Werden weiße, männliche Musiker immer noch bevorzugt? Hat es was genutzt, dass die Recording Academy ihren Auswahlmodus geändert hat? Warum kam ABBA erst in letzter Minute in einer Nachtsitzung auf die Liste? Und was sagt es über die Gesellschaft der Gegenwart, dass Billie Eilish sieben Nominierungen, Justin Bieber dagegen acht bekommen hat? „Die New York Times berichtet exklusiv, da müssen wir was draus machen!“, ruft die Kulturchefin.

Klassik-Grammys – künstlerisch irrelevanteste Preise der Welt?

Etwas weiter hinten sitzt still und verlegen der Klassikkritiker und versucht, nicht aufzufallen. „Was ist los?“, fragt die Kulturchefin. „Willst Du nicht auch was zu den Klassik-Grammys schreiben? Da gewinnen ja sogar manchmal auch Deutsche!“ Der Klassikkritiker windet sich. Einerseits weiß er, dass die im Popbereich so begehrten Grammy Awards im Klassiksektor gute Chancen auf den Titel „künstlerisch irrelevantester Preis der Welt“ haben. Andererseits will er halt auch mal wieder auf die erste Seite des Feuilletons.

Weirde Kategorien, seltsame Nominierungen

Der Klassikkritiker seufzt, sagt: „Ok, ich schreib was“ und ringt sich einen Text ab, der verzweifelt so tut, als habe es irgendetwas zu bedeuten, dass fünf US-amerikanische Orchester und, in der Kategorie 69 „Bester Booklet-Text“, eine Musikwissenschaftlerin aus Tübingen für diesen eigenartigen Preis nominiert sind. Immerhin lernt der Klassikkritiker so, dass Nashville, Tennessee, ein eigenes Symphonieorchester hat, nominiert in der Kategorie 77 „Beste Orchesterleistung“. Klar, das weltberühmte Nashville Symphony Orchestra – dagegen haben die piefigen Wiener Philharmoniker oder das läppische Concertgebouw-Orchester nun mal schlechte Chancen. Wie bitte?

Der Grammy ist ein US-Branchenpreis

Im Ernst: Die Klassik-Grammys können Sie getrost vergessen. Dass provinzielle US-Orchester in geradezu grotesker Weise überrepräsentiert sind, ohne jede Relation zu ihrem internationalen Stellenwert, hat einen einfachen Grund: Über die Vergabe der Grammys entscheidet die Musik-Szene selbst, die "music industry professionals“. Genauer gesagt: die Voting Members der American Recording Academy. Stimmberechtigtes Mitglied der Academy können nur „Creators“ werden. Also Musikerinnen und Musiker, Komponisten, Textdichterinnen, Produzenten, Toningenieurinnen und so weiter. Die Namen sind nicht öffentlich.

Völlig instransparente Entscheidungen

Wie viele es sind, dazu liest man nebulöse Angaben. Mehr als 12tausend seien es. Sicher ist: Um abstimmungsberechtigtes Mitglied der Academy zu werden, muss man von zwei bereits aufgenommenen Mitgliedern empfohlen werden. Natürlich gibt es strenge Vorschriften: Nur künstlerische Gründe, so der Appell an die Stimmberechtigten, sollen den Ausschlag geben, Bestechung ist nicht erlaubt, und eine unabhängige Wirtschaftsprüfungsfirma überwacht das Ganze. Nicht auszuschließen ist allerdings auch, dass halbe US-Orchester für die eigene Platte stimmen.

Go, Nashville, go!

Jetzt heißt es Daumen drücken, dass das Nashville Symphony Orchestra gegen das ebenfalls hochberühmte Seattle Symphony Orchestra gewinnt. Und ansonsten: Warten Sie einfach auf einen Preis, der irgendetwas aussagt. Etwa den Preis der Deutschen Schallplattenkritik. Der bedeutet wirklich etwas.

Sendung: "Allegro" am 26. November 2021 ab 6.05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (1)

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Montag, 29.November, 15:35 Uhr

Franz Westenholz

Krise der Klassik-Preise

Mit seiner Kritik am Grammy hat Herr Neuhoff durchaus Recht. Ästhetisch kann man das nicht mehr ernst nehmen.

Ähnliches gilt auch für den Opus Klassik, wenn auch aus geringfügig anderen Gründen.

Allerdings hat auch der Preis der Deutschen Schallplattenkritik (bei dem natürlich auch Herr Neuhoff auf seine Weise befangen ist) ein Problem. Die Öffentlichkeitswirkung ist schwach und auf andere Weise ist dieser Preis ebenso "biased". Vieles, was dort prämiert wird, ist respektabel und verdienstvoll, doch häufig eben auch zu "orchideenfachhaft" und jenseits eines hartgesottenen Klassik-Publikums kaum vermittelbar.

Wenn Klassische Musik in Deutschland und international nicht endgültig in die Bedeutungslosigkeit abrutschen will, bräuchte es einen internationalen Klassik Preis der eigenständig ist. Der eine kompetente und unabhängige Jury hat, die mit dem richtigen Fingerspitzengefühl ästhetische und öffentlichkeitswirksame Aspekte abwägt und wenige aber signifikante Preise vergibt.

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