Wer sich mit Wagners "Tristan" beschäftigt, lebt gefährlich. Der Tenor der Münchner Uraufführung ist nach den ersten Vorstellungen an Überanstrengung (oder an zu viel Wagner?) gestorben - und auch zwei berühmte Dirigenten haben diesen grenzüberschreitenden Klangrausch mit tödlichen Herzinfarkten bezahlt. Muss man sich als Künstler und Künstlerin diesem Risiko aussetzen? Ja, Jonas Kaufmann musste. Die Zeit war reif. Und es ist ja auch alles gutgegangen. Michael Atzinger macht sich trotzdem ein wenig Sorgen.
Bildquelle: Bayerische Staatsoper/W. Hösl, Montage: BR
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Jonas! Wie kann man nur mit über fünfzig so leichtfertig sein! Ich will mir gar nicht ausmalen, was alles hätte passieren können … Diese Oper ist ein einziges Minenfeld! Allein der Text: dieses "bombastische Alliterationsgestammel" (so formulierte es Kritikerpapst Eduard Hanslick). Und dazu diese anstrengende Musik ... Solche Trompetentöne töten Tenöre!
In Wien sollte 1863 Uraufführung sein – nachdem andere Städte entsetzt abgewunken hatten. Nach 77 Probentagen hingen die Mitwirkenden zu Tode erschöpft in den Seilen und meldeten das erste kollektive Burnout der Musikgeschichte: "Unaufführbar" sei diese fünfstündige Hymne an die Nacht! Zwei Jahre später ließ sich der Wiener Beinahe-Tristan Ludwig Schnorr von Carolsfeld dazu überreden, die Rolle bei der Uraufführung in München zu singen. Sechs Wochen und drei Vorstellungen später war der 29-Jährige tot. Angeblich gestorben an einem Infekt. Aber in Wahrheit wohl im Wagner-Wahn ertrunken, versunken … Seine letzten Worte: "Leb wohl, Siegfried! Tröstet meinen Richard!"
Die hundertste Vorstellung des "Tristan" leitete im Juni 1911 Felix Mottl … aber nur bis zur Zeile "Todgeweihtes Haupt, todgeweihtes Herz" im 1. Aufzug. Dann hielt er inne und übergab den Taktstock noch an seinen Konzertmeister, bevor er zusammenbrach. Zehn Tage später starb er, mit 54 Jahren. Genau so, beim "Tristan", das hatte Mottls Kollege Joseph Keilberth gesagt, wolle er am liebsten sterben … Der liebe Gott, wenn's einen gibt, hatte ein Einsehen: Am 20. Juli 1968 (und wir sind abermals im Münchner Nationaltheater, bei den Festspielen) passierte es im zweiten Aufzug nach Tristans Worten: "So stürben wir, um ungetrennt ewig einig ohne End', ohn' Erwachen …". Hier stürzte der 60-jährige Keilberth nach einer Herzattacke in den Orchestergraben und war auf der Stelle tot.
Hans von Bülow, der Uraufführungsdirigent, überlebte den "Tristan" – verlor aber dafür seine Gattin Cosima. An Richard Wagner. Am 15. April 1865, dem Tag der ersten Orchesterprobe, hatte Frau von Bülow in München eine Tochter zur Welt gebracht. Wagner war da gut neun Monate mit Cosima liiert und nahm an der Zeremonie verständlicherweise nur als Taufpate teil, nicht als Papa. Der Name des Mädchens: Isolde …
Der "Tristan" 2021 ist geschafft. Musikalisch sei's ein Triumph, so ist allenthalben zu lesen. Gratulation an alle Beteiligten! Aber habet acht: "Hier wütet der Tod! Nichts andres, König, ist hier zu holen: willst du ihn kiesen, so komm!" Diese Oper bleibt lebensgefährlich.
Sendung: "Allegro" am 2. Juli 2021 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (2)
Freitag, 02.Juli, 17:50 Uhr
Renate von Törne
Kommentar zu Kaufmanns neuem Rollendbüt
Ironie und Information
Eine herrlich ironische, inspirierende Information. Und Kaufmann kriegt keinerlei kakophone Kritik ab!
Donnerstag, 01.Juli, 17:39 Uhr
Waltraud Becker
Überheblichkeit und Geschwätz
So was von überheblich und unnötig. Kann der BR nicht EINMAL neidlos zugeben, dass es da einfach einer kann (und nicht nur den Tristan). Man hätte ihn wohl gerne scheitern sehen......