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Premierenkritik – Jonas Kaufmann gibt Debüt als Münchens neuer "Tristan" Angst- und Traumrollen

Manchmal sind die Erwartungen an eine Premiere übergroß. Bei diesem "Tristan" kommt einiges zusammen: Die letzte Produktion der Ära von Staatsintendant Nikolaus Bachler. Kirill Petrenkos Abschied von München. Die Hauptrollen luxuriös besetzt mit dem gern als "Münchner Operntraumpaar" angepriesenen Starduo Anja Harteros und Jonas Kaufmann. Und dann auch noch ein doppeltes Rollendebut. Am Ort der Uraufführung.

Szene aus "Tristan und Isolde" an der Bayerischen Staatsoper, Inszenierung 2021 | Bildquelle: Bayerische Staatsoper/W. Hösl

Bildquelle: Bayerische Staatsoper/W. Hösl

Zumindest musikalisch hat der Abend nicht enttäuscht, auch wenn gesanglich Wünsche offen bleiben. Nicht so bei Dirigent und Orchester: Kirill Petrenko ist der derzeit größte Wagner-Dirigent. Er peitscht auf und hypnotisiert, er staucht und dehnt die Zeit, lässt Details funkeln und verliert nie den großen Bogen aus dem Auge. Das Bayerische Staatsorchester hat er zu einem Weltklasse-Ensemble geformt, das keinen Vergleich scheuen muss. Und je mehr die Regie das Bühnengeschehen veröden lässt, desto farbiger werden die Bilder, die das Orchester vors innere Auge ruft.

Reduziertes Einheitsbühnenbild

Regisseur Krzysztof Warlikowski, der sich sonst gelegentlich in surrealen Rätselbildern verzettelt, manchmal aber auch in fesselnde Bedeutungs-Labyrinthe lockt, setzt diesmal ganz auf Reduktion. Das Einheitsbühnenbild zeigt einen holzgetäfelten Innenraum im Art-Deco-Stil. Auch die Kostüme sehen nach 20er Jahren aus – wobei diese Zeitebene letztlich völlig beliebig bleibt. Es passiert wenig, was ja zunächst mal durchaus passt zu dieser höchst seltsamen Oper. Wagner gab ihr den geradezu provozierenden Untertitel "Handlung in drei Aufzügen" – als wäre die Handlung ausgerechnet in diesem Stück die Hauptsache! Jedenfalls nicht die äußere Handlung: Es geht zwar um entgrenzte Liebe, das aber in durchaus theoretischer Form. Wenn das Liebespaar endlich mal ungestört ist und sich der "Raserei" (Wagner) hingeben kann, tut es genau das nicht. Stattdessen verlieren sich Tristan und Isolde in spitzfindigen poetisch-philosophischen Erörterungen über Tag und Nacht, Traum und Wirklichkeit, Leben und Sterben.

Selbstmord auf Raten

Szene aus "Tristan und Isolde" an der Bayerischen Staatsoper, Inszenierung 2021 | Bildquelle: Bayerische Staatsoper/W. Hösl Bildquelle: Bayerische Staatsoper/W. Hösl Auf letzteres läuft für Warliskowski alles hinaus: Die Liebe zwischen den beiden ist von vornherein nicht lebbar, ihr gemeinsamer Trip ein Selbstmord auf Raten. Schon im zweiten Akt, auf dem Höhepunkt der Ekstase, wollen sich die beiden die Pulsschlagadern aufschneiden. Ansonsten sitzen sie ermüdende Viertelstunden lang in Ledersesseln fünf Meter voneinander entfernt und strecken gelegentlich sehnsüchtig nacheinander die Arme aus. Ohne wirklichen Gewinn wird diese Nicht-Handlung durch einen Film verdoppelt: Da wartet Isolde in einem Hotelzimmer, irgendwann kommt Tristan rein, die beiden liegen sehr lange bewegungslos nebeneinander auf dem Bett und nehmen dann endlich Gift. Unergiebig bleiben auch andere surreale Regieeinfälle. Etwa die geschlechtslosen Androiden, die während des Vorspiels und des dritten Aufzugs die Bühne bevölkern. Irgendwas mit Antiquiertheit der Liebe kann man dazu assoziieren, man kann es aber auch lassen.

Und stattdessen lieber bewundern, wie exzellent hier gesungen wird: Vor allem den energiegeladenen Wolfgang Koch (Kurwenal) und die großartige, in allen Lagen mühelos präsente Okka von der Damerau (Brangäne). Voluminös, makellos stimmschön, aber etwas glatt gestaltet Mika Kares den betrogenen König Marke.

Anja Harteros' Liebestod mit Intonationstrübungen

Noch etwas zwiespältig fällt die Bilanz bei Anja Harteros aus: Ihr Debut als Isolde verdient größten Respekt. Fantastisch ist sie vor allem im ersten Akt. Harteros ist ja mit ihrer schlanken, großen Gestalt absolut eine Erscheinung auf der Bühne, aber keine geborene Schauspielerin. Umso faszinierender gelingt es ihr mit der Stimme, den psychologischen Reichtum dieser Figur zu zeichnen: Mit hellen und dunklen Farben macht sie die mühsam zurückgehaltene Wut hörbar, die in Isolde brodelt, die Ironie und den Hohn – und die zerstörerische Liebesenergie, die nur darauf wartet, endlich loszubrechen. Was Harteros in den eher leisen Stellen verspricht, kann sie jedoch in den großen Ausbrüchen noch nicht halten: Ausgerechnet beim berühmten Liebestod am Schluss stören Intonationstrübungen die ganz große Wirkung. Das mag der Nervosität zuzuschreiben sein – gut möglich, dass schon der zweite Abend rundum gelingt.

Jonas Kaufmann kann am Tristan wachsen

Szene aus "Tristan und Isolde" an der Bayerischen Staatsoper, Inszenierung 2021 | Bildquelle: Bayerische Staatsoper/W. Hösl Die aktuelle "Tristan"-Inszenierung von Krzysztof Warlikowski an der Bayerischen Staatsoper mit Jonas Kaufmann in der Titelrolle | Bildquelle: Bayerische Staatsoper/W. Hösl Auch Jonas Kaufmann hat ganz offensichtlich riesigen Respekt vor seiner mörderisch schweren Rolle. Und auch er überzeugt im Piano mehr als im Fortissimo. Das Gemeine an dieser Rolle ist, dass das Schwerste am Schluss kommt, wenn jeder Sänger schon von zwei langen Akten müde ist – und dass die Stimme auch dann noch nach heftigsten Ausbrüchen immer wieder schlank und gefühlvoll klingen muss. Kaufmann teilt sich die Kräfte bewundernswert klug ein. Er spielt seine lyrischen Stärken aus, hat aber immer genug Reserven, um auch gegen die aufbrandenden Klangmassen des Orchesters zu bestehen. Und man staunt, wie intakt die Stimme bis zuletzt bleibt. Jonas Kaufmann ist (noch) kein großer, aber (schon) ein sehr guter Tristan. Der Sprung ins kalte Wasser ist geglückt. Jetzt kann er an dieser Angst- und Traumrolle wachsen.

"Tristan und Isolde" bei "Oper für alle"

Die Premiere unter der Leitung von Kirill Petrenko war am Dienstag, 29. Juni 202; alle Folgevorstellungen während der Festspiele sind ausverkauft. Denn nur ungefähr die Hälfte der Plätze durfte verkauft werden, das Publikum sitzt im Schachbrettmuster. Doch am 31. Juli ist die Oper live aus dem Nationaltheater bei "Oper für alle" zu erleben: Ab 17.00 Uhr in einer Direktübertragung auf den Marstallplatz.

Sendung: "Allegro" am 2. Juli 2021 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (2)

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Mittwoch, 30.Juni, 19:50 Uhr

Alexander Störzel

"Tristan und Isolde" Premiere 29.06.2021

Auch wenn ich leider nicht in der Vorstellung war möchte ich mich an dieser Stelle ganz herzliche bei Nikolaus Bachler und Kirill Petrenko für eine ganz tolle, interessante, anregende Zeit in der Bayerischen Staatsoper bedanken. Dieses Werk ist wohl der beste und schönste Abschluss für dieses Haus. Mögen manche Inszenierungen kontrovers aufgenommen worden sein, so zeit dies doch nur, dass Theater lebt. Gerade bei jenem Meisterwerk kann ich mich an keine Inszenierung in den letzten drei Jahrzehnten erinnern, die nicht kritisiert wurde, einschl. Ponnelle 1981 wg. des umstrittenen Schlusses. Was ich an Fotos der hiesigen Neuinszenierung sah hat mich persönlich überzeugt. Musikalisch wird man diese Oper derzeit wohl nirgens besser hören können. Alles Gute und viel Glück den Herren Petrenko und Bachler.

Mittwoch, 30.Juni, 17:41 Uhr

Albert Röser

Tristan-Premiere

Endlich traut sich mal jemand, auch kritische Töne in einer Premierenkritik der Bayer. Staatsoper anzuschlagen Es trifft hauptsächlich den Regisseur. Nach den Bildern der Vorschau auf der Homepage des Hauses offensichtlich zu Recht. Dank Bachler durften sich an der Münchener Oper in den letzten Jahren hauptsächlich Regietheater-Fanatiker austoben, deren Hauptinteresse darin bestand, die Musik zu konterkarieren, ja geradezu gegen die Musik ihre abstrusen Bildelemente zu plazieren. Den wunderbaren zeitlosen Rosenkavalier, den ich in fünfzig Jahren in München immer mal wieder in Ton und Inszenierung genießen konnte, hat er nun als Großtat seiner letzten Wochen an der Staatsoper abgeschafft. Und Jonas Kaufmann macht offensichtlich jede Regiebarbarei gern mit, wie vom Rezensenten beschrieben und von mir in der jüngsten Pariser Aida-Inszenierung gesehen. Petrenko kommt mit seinen Dirigaten in der Kritik immer gut weg. Seine Exaktheit kann man auch als autoritäres Gehabe sehen.

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