BR-KLASSIK

Inhalt

Mark-Anthony Turnages "Greek" an der Bayerischen Staatsoper Bebend von Gewalt, bebend vor Liebe

Bei der ersten Münchner Biennale vor fast 30 Jahren war "Greek" der Überraschungserfolg schlechthin. Seitdem steht die Kammeroper des Briten Mark-Anthony Turnage regelmäßig und weltweit auf den Spielplänen. Jetzt ist das Stück zum ersten Mal seit 1988 auch wieder in München zu erleben - in einer Produktion der Bayerischen Staatsoper, hochkarätig besetzt mit Okka von der Damerau und Tim Kuypers. Am 26. Juni war Premiere.

"Greek": Ensemble der Bayerischen Staatsoper | Bildquelle: Wilfried Hösl

Bildquelle: Wilfried Hösl

Eddy ist ein moderner Ödipus. Er lebt mit seinen Eltern zur Thatcher-Zeit in einem sozialen Brennpunkt im Londoner Osten. Wahrsagerinnen hatten einst prophezeit, er werde, genau wie Ödipus, eines Tages seinen Vater erschlagen und seine Mutter heiraten. Ein Schreckensszenario. Halt und Trost spendet da nur der Alkohol. Das Libretto des Londoner Schauspielers und Dramatikers Steven Berkoff ist gespickt mit Schimpfwörtern und trieft vor verbaler Gewalt.

Fast rockig, sehr körperlich

Die Musik, die Mark-Anthony Turnage dazu komponiert hat, dazu passend: roh, nie gekünstelt, immer "down-to-earth". Mit viel Schlagwerk hat der 1960 geborene Brite in seiner ersten Oper eine Musiksprache gefunden, die beinahe unaufhörlich bebt und pulsiert. Da pusten die durchweg exzellenten Musikerinnen und Musiker des Bayerischen Staatsorchesters unter der Leitung von Oksana Lyniv auch mal in Trillerpfeifen, stampfen auf den Boden oder skandieren Parolen. Eine fast rockige, sehr körperliche Musik, bei der die Sängerinnen und Sänger voll gefordert sind. Welch ein Glück, wenn die auf die Namen Okka von der Damerau oder Tim Kuypers hören. "Greek" ist hochkarätig besetzt - sowohl stimmlich als auch schauspielerisch. Tim Kuypers strahlt als Eddy eine gewaltige Präsenz aus. Und Okka von der Damerau, in einer Dreifachrolle als Ehefrau, Kellnerin und Sphinx, überstrahlt sowieso alles mit ihrem Mezzosopran, der in jeder erdenklichen, verrenkten Körperhaltung noch wunderbar warm und klar zugleich klingt. Auch die Mutter, in der Inszenierung verkörpert von Miranda Keys, ist sowohl stimmlich, als auch mit ihrem herrlich mürrischen Gesichtsausdruck eine gelungene Wahl.

Die "Greek"-Inszenierung in Bildern

Menschen als Produkt ihrer Umstände

Auf vielen verschiedenen Ebenen von Turnage klug arrangiert, singen die Protagonisten oft in Duetten oder Terzetten, in denen eine ambivalente Botschaft mitschwingt: Das Zusammensein schützt vor Vereinsamung, engt aber zugleich ein - jeder Mensch ein Produkt seiner Umstände.

Sphinxen in Fat Suits

"Greek": Miranda Keys (Sphinx 1), Okka von der Damerau (Sphinx 2), Robert Bork (Dad) | Bildquelle: Wilfried Hösl Bildquelle: Wilfried Hösl Der Regisseur Wolfgang Nägele hat für diese Unausweichlichkeit des Schicksals ein einfaches, aber treffendes Bild gefunden: Durch den runden Postpalast, in dem das Publikum fast amphitheaterhaft im Kreis um das Geschehen herum sitzt, zieht sich mitten durchs Orchester und über die gesamte Bühnenfläche ein Gleis - mit einer Gabelung. Stichwort: Weichen stellen, welchen Weg einschlagen? Das klingt nach ziemlich wenig, aber es passiert auf der Bühne wahnsinnig viel. Mit viel Bewegung der Protagonisten und mithilfe des ein oder anderen skurrilen Einfalls (etwa die Sphinxen in kartoffelartigen Fat Suits auftreten zu lassen), legt Nägele eine rasante Regiearbeit vor, die der rasanten Musik von Turnage gerecht wird.

Unvermitteltes Happy End

Doch während Sophokles‘ "Ödipus" tragisch endet, geht diese Geschichte gut aus. Auch wenn es zunächst gar nicht danach aussieht: Eddy entflieht seiner verwahrlosten Familie, stürzt sich in die Großstadt, erschlägt in einer Kneipenrangelei den Kneipenwirt (seinen Vater) und heiratet dessen Frau (seine Mutter). Der Inzest fliegt schließlich auf und Eddys Schock kulminiert in einem markerschütternden Schrei, doch seine Augen bleiben - im Gegensatz zum antiken Ödipus - unversehrt. Die Oper endet nach eineinhalb Stunden relativ unvermittelt. Und es bleibt die Frage: Kann etwas schlecht sein, wenn man es aus Liebe getan hat?

Packende Achterbahn

Die emotionalen Berg- und Talfahrten sind durchweg packend. Mit dieser zugänglichen, rhythmischen Musik und der Handlung, die zwischen realem Leben und antiker Mythologie pendelt, zwischen Ernstem und Skurrilem, kann wohl jeder etwas anfangen.

Sendung: "Leporello" am 27. Juni 2017, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK

Mehr Infos

Mark Anthony Turnage:
"Greek"

Festspiel-Werkstatt im Rahmen der Münchner Opernfestspiele

Postpalast München

Musikalische Leitung: Oksana Lyniv
Regie: Wolfgang Nägel

Premiere:
Sonntag, 26. Juni 2017

Weitere Vorstellungen:
Dienstag,  27. Juni 2017, 20.30 Uhr
Montag, 03. Juli 2017, 20.30 Uhr
Dienstag, 04. Juli 2017,  20.30 Uhr

Kommentare (0)

Kommentieren ist nicht mehr möglich.
Zu diesem Inhalt gibt es noch keine Kommentare.

    AV-Player