Hatte Beethoven eine uneheliche Tochter? Der estnische Komponist Jüri Reinvere fand dazu neue Dokumente und machte daraus eine Oper. Die erwies sich musikalisch als wild bewegt, aber inhaltlich spröde. Der Beifall war eher höflich als begeistert.
Bildquelle: Jochen Klenk
Beethoven war ja bekanntlich schwerhörig, andere dagegen waren ihm schwer hörig, und die hatten vermutlich das größere gesundheitliche Problem. Mit anderen Worten: Beethoven brachte nicht wenige um den Verstand, und dagegen helfen garantiert keine Tabletten, wie am Theater Regensburg eindrucksvoll zu erleben war. Gleich zu Beginn der viel beachteten Uraufführung "Minona" gab es nicht wenige Lacher, als in einem eingespielten WDR-Film aus dem Jahr 1969 ein rustikaler Landmann mitten auf einem trostlosen Acker stehend behauptete, der letzte lebende Nachfahre von Beethoven zu sein. Zum Beweis hält der augenscheinliche Bauer ein paar Beethoven-Büsten neben seine Nase, doch nicht mal der dabei stehende Ackergaul ist daran interessiert und wendet dem Geschehen seinen Hintern zu. Den witzigen Einfall hatte seinerzeit der Komponist Mauricio Kagel zu Beethovens 200. Geburtstag.
Bildquelle: Jochen Klenk Ganz so durchgeknallt und dada-mäßig war die nachfolgende Oper "Minona" des estländischen Komponisten Jüri Reinvere dann leider nicht, auch wenn Regisseur Hendrik Müller sich redlich bemühte, in dem etwas spröden Werk immer wieder satirische Akzente zu setzen. Reinvere hatte in estländischen Archiven neue Dokumente gefunden, wonach Beethoven möglicherweise der uneheliche Vater der titelgebenden "Minona" war und darüber sein eigenes Libretto zu Papier gebracht.
Sicher ist Minonas Abstammung zwar nicht, aber eine Oper muss ja auch nicht Beweise vorlegen wie im Strafprozess, sondern soll zum Nachdenken anregen, zum Träumen und Fantasieren. Also wird über zwei Stunden hinweg vorgeführt, wie es gewesen sein könnte: Beethoven schwängert die verheiratete Baronin Josephine von Stackelberg. Die ist darüber total verzweifelt, schläft noch einmal schnell mit ihrem verhassten Ehemann, um den Seitensprung zu vertuschen. Tochter Minona wird ein liebloses, einsames und bizarres Leben haben, hin und hergerissen zwischen ihrem musischen Talent und dem öden Alltag, zwischen dem Erbe ihres leiblichen Vaters Beethoven und den strenggläubigen Ansprüchen ihres faktischen Vaters Baron von Stackelberg.
Beethoven selbst tritt dabei niemals auf, und eigentlich geht es auch gar nicht um den berühmten Komponisten, sondern vielmehr um die fürchterliche Last, die manche Kinder zu tragen haben, gerade Kinder aus prominenten, aber kaputten Familien. Nicht selten werden sie ja irre am Kult um ihre Vorfahren. Auch Minona landet in der Regensburger Uraufführung in der Nervenheilanstalt, stopft sich Tabletten in den Mund, flüchtet sich in den Wahnsinn, ausgelaugt vom falschen Leben.
Jüri Reinvere zitiert in seiner Musik dabei an keiner Stelle hörbar Beethoven, schrieb keine Satire oder gar eine "titanische" Abrechnung mit dem Bonner Meister, sondern vertonte eher das turbulente Innenleben von Minona. Das ist leider weder melodisch, noch rhythmisch sonderlich aufregend, stattdessen rast Reinvere immer wieder im Sauseschritt die Tonleiter rauf und runter, macht viel Wind, mal säuselnd, mal tosend. Das Schlagzeug hat gemessen an modernen Kompositionen vergleichsweise wenig zu tun, die Blechbläser dafür umso mehr. Es ist ein stürmischer Luftzug, der diese Partitur durchweht. Dafür gab es am Ende höflichen bis freundlichen, aber keinen begeisterten Beifall, zumal in der Pause ein paar Zuschauer vorzeitig aufgebrochen waren.
Dabei gab es durchaus Stärken: Reinvere komponiert textverständlich, sängerfreundlich. Theodora Varga in der Titelrolle gelang eine packende und beklemmende Charakterstudie. Mutig und glaubwürdig, wie sie als schrullige Alte mit Beethoven-Medaillon um den Hals und grauer Mähne durchs Bühnenbild schlurfte. Regisseur Hendrik Müller ließ zeitweise sämtliche Komponisten-Legenden von Händel bis Wagner auftreten, führte ein durchaus unterhaltsames Panoptikum vor, in dem auch Platz war für die vergitterte Zelle einer Nervenheilanstalt. Ausstatter Marc Weeger hatte dazu jede Menge Beethoven-Gipsbüsten und Weihestätten entworfen, sozusagen einen Alptraum an Hörigkeit und Bewunderung. Dazu wurden Texte der Pianistin Elly Ney eingespielt, die sich nach 1933 nicht nur den Nazis angedient hatte, sondern auch Begründerin eines irren Beethoven-Kults war.
Bildquelle: Jochen Klenk Dirigent Chin-Chao Lin begleitete das alles mit etwas zu viel Zurückhaltung für so einen aberwitzigen Klassiker-Exorzismus. Da wäre mehr orchestraler Biss möglich gewesen. Gleichwohl ein Riesen-Rummel für das Theater Regensburg mit bundesweiter Aufmerksamkeit. Wo Beethoven drauf steht, werden eben viele hellhörig – so ironisch ist die Musikgeschichte.
"Minona. Ein Leben im Schatten Beethovens"
Oper von Jüri Reinvere (*1971)
Libretto vom Komponisten
Auftragswerk für das Theater Regensburg
Weitere Termine finden Sie auf der Website des Theaters Regensburg.
Sendung: Allegro am 27. Januar 2020 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (2)
Mittwoch, 29.Januar, 20:53 Uhr
Nomen Agentis
"Minona" in Regensburg
Sie schreiben: "Jüri Reinvere zitiert in seiner Musik dabei an keiner Stelle hörbar Beethoven." Als ich da war, hörte man - zitiert - das Quartett aus "Fidelio".
Sie schreiben: "Dafür gab es am Ende höflichen bis freundlichen, aber keinen begeisterten Beifall." Als ich da war, gab es enthusiastischen Schlußapplaus.
Ich war in der Premiere am vergangenen Samstag.
Montag, 27.Januar, 14:19 Uhr
Weitzdörfer
Uraufführung Minona
Herr Jungblut hat die begeisterten Bravorufe beim Erscheinen des Komponisten anscheinend nicht hören wollen.