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"Boris Godunow" an der Deutschen Oper Berlin Ohne Tiefgang, aber schön anzusehen

Mit Modest Mussorgskijs "Boris Godunow" gab der englische Regisseur Richard Jones sein Debüt an der Deutschen Oper Berlin. Die Inszenierung, die am 17. Juni Premiere hatte, störte wohl niemanden - und blieb ohne jede tiefere Bedeutung.

Bildquelle: © Bernd Uhlig

Kritik - "Boris Godunow" an der Deutschen Oper Berlin

Russland-Klischees mit Folklore-Outfits

Wer jemals in Großbritannien im Theater war, der weiß: Dort wird der Zuschauer nicht vor Rätsel gestellt, schon gar nicht an so renommierten, großen Häusern wie der Königlichen Oper in London. Englische Bühnen sind für leicht verständliche, sehr traditionelle Inszenierungen bekannt. Die Regisseure begnügen sich meist mit dem opulenten Bebildern der Handlung. Neue Sichtweisen auf ein Stück sind weniger gefragt, Irritationen schon gar nicht. Deshalb gibt es vergleichsweise wenig Koproduktionen deutscher und britischer Theater, da die Auffassungen einfach zu verschieden sind.

Mehrheitsfähig, unterhaltsam, bunt

Das zeigte sich auch am Samstagabend wieder - bei der Premiere von Modest Mussorgskys russischem Historiendrama "Boris Godunow" an der Deutschen Oper Berlin. Ursprünglich war die Produktion im März vergangenen Jahres in London herausgekommen, allerdings mit Star-Bariton Bryn Terfel in der Titelrolle, der damals stürmisch gefeiert wurde. Regisseur Richard Jones lieferte dazu absolut mehrheitsfähige, unterhaltsame und sehr bunte Bilder, die jedenfalls niemanden störten - weder Kritiker, noch Publikum.

Typisch England eben: Wichtig ist nur der Star-Sänger, nicht die Interpretation. Die Zuschauer sind dort nicht gewohnt, Programmhefte zu lesen, um Anspielungen zu verstehen oder eben Rätsel zu lösen. Insofern war es interessant zu erleben, wie die Übernahme einer solchen Produktion an die Deutsche Oper Berlin funktioniert, die ja, wie die meisten großen deutschen Musiktheater, durchaus den Ehrgeiz hat, zeitgemäße Regiekonzepte auf die Bühne zu bringen.

Premieren, bei denen sich das Regieteam wie am Samstag nicht mal zum Schlussapplaus blicken lässt, also anscheinend gar nicht anwesend war, sind die Ausnahme. Auch bei Koproduktionen und Übernahmen ist der Regisseur in der Regel zumindest bei den Schlussproben dabei, um die Qualität zu sichern. Jones ließ sich offenkundig von seiner Assistentin vertreten.

Düsteres Kreml-Mausoleum

"Boris Godunow", Regie: Richard Jones, Deutsche Oper Berlin, Premiere am 17. Juni 2017 | Bildquelle: © Bernd Uhlig Bildquelle: © Bernd Uhlig Wie auch immer - dieser "Boris Godunow" zeigte einmal mehr, dass solche internationale Zusammenarbeit zwar wünschenswert, aber kompliziert ist. Ausstatterin Miriam Buether schwelgte in Russland-Klischees und hatte ein düsteres Kreml-Mausoleum entworfen: Jede Menge Herrscherporträts, festliche Glocken und eine imposante Landkarte des Zaren-Reiches. Dazu steckte Kostümbildnerin Nicky Gillibrand den Chor wahlweise in Lumpen oder regenbogenbunte Folklore-Outfits. Das war alles pittoresk anzusehen, aber ohne jede tiefere Bedeutung. Nun ist es zugegebenermaßen eine Herausforderung, die vielen Volksaufmärsche im "Boris Godunow" ganz ohne Folklore auf die Bühne zu bringen. Das Stück spielt nun mal im frühen 17. Jahrhundert und beruht auf tatsächlichen Begebenheiten, nämlich Aufstieg und Fall von Boris Godunow, der sich mit Meuchelmord den Zarenthron erkämpfte. Letztlich ein fernes, aber typisch russisches Kapitel Machtpolitik: brutal, direkt, rücksichtslos.

Überforderter Dirigent

Das hätte sich optisch weit mehr in die Gegenwart verlegen lassen. Leider war auch der ukrainische Dirigent Kirill Karabits, im Hauptberuf Chef der Orchester in Weimar und Bournemouth, mit seiner Aufgabe überfordert, wofür er einige Protestrufe erhielt. Er neigte zum Verschleppen, hatte Koordinationsprobleme und fand nicht zu einem eindringlichen Klangbild. Der Chor glänzte, wie auch der estländische Bass Ain Anger in der Titelrolle. Mit einem Bryn Terfel kann er es freilich noch nicht aufnehmen, Berlin musste also mit weniger Star-Power auskommen. Der Kroate Ante Jerkunica begeisterte als Mönch Pimen, Burkhard Ulrich war ein schauspielerisch beeindruckender, aber stimmlich zu passiver Fürst Schuiskij. Der amerikanische Tenor Robert Watson war als kampfentschlossener Grigorij viel zu harmlos, wie die ganze Inszenierung. Am Ende gab es höflichen und kurzen Beifall des Publikums.

Die Vorstellungen

Modest Mussorgskij:
"Boris Godunow"
Fassung von 1869 ("Ur-Boris")
Deutsche Oper Berlin
Inszenierung: Richard Jones
Musikalische Leitung: Kirill Karabits

Premiere:
Samstag, 17. Juni 2017, 19.30 Uhr

Weitere Termine (ohne Gewähr):
Freitag,  23. Juni 2017, 19.30 Uhr
Dienstag, 27. Juni 2017, 19.30 Uhr
Samstag, 01. Juli 2017, 19.30 Uhr
Dienstag, 04. Juli 2017, 19.30 Uhr
Freitag, 07. Juli 2017, 19.30 Uhr

Sendung: "Leporello" am 19. Juni 2017, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK.

Kommentare (1)

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Montag, 19.Juni, 19:43 Uhr

Tobias Hoheisel

Boris Godunov

Glaubt der Rzensent eigntlich durch "optisches in die Gegenwart verlegen" würde eine Inszenierung an "tieferer Bedeutung" gewinnen??? Das ist eine so undifferenzierte Aussage wie seine Darstellung der britischen Opernlandschaft.

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