In die Herzkammer der Liebenden möchte die amerikanisch-israelische Komponistin Chaya Czernowin mit ihrer dritten Oper eindringen. Deshalb hat sie das Auftragswerk der Deutschen Oper Berlin "Heart Chamber" genannt. Seit ihrem Operndebüt bei der Münchner Biennale im Jahr 2000 arbeitet die in Haifa geborene Czernowin mit dem Regisseur Claus Guth zusammen, der ihren intellektuell durchdrungenen, sehr abstrakten Kompositionen ein realistisches Bühnengeschehen entgegensetzt.
Bildquelle: Michael Trippel
Mit der Liebe kann es mitunter ganz schnell gehen. Im Großstadtgetümmel fällt ein Honigglas zu Boden, ein Mann hebt es auf, gibt es der Frau zurück, die Hand wird einen Moment zu lange berührt und zack, verliebt. Das heißt, in Chaya Czernowins neuer Oper "Heart Chamber" geht eigentlich gar nichts schnell, eher alles in Zeitlupe, also nochmal: Er und sie, Namen haben Czernowins Protagonisten nicht, sitzen zunächst auf Stühlen vor einer Wand, auf der wir mittels Videoprojektion sehen, wie die beiden auf der Wilmersdorfer Straße laufen, einer Berliner Einkaufsstraße gleich um die Ecke von der Deutschen Oper. Dann dreht sich das Bühnenbild von Christian Schmidt, gibt den Blick frei auf ein modernes Wohnhaus, in dem Regisseur Claus Guth sie und ihn aufeinandertreffen lässt, hier fällt auch das Honigglas zu Boden. Paare und Familien beziehen zunächst leerstehende Wohnungen und machen dort rätse lhafte Dinge. Chaya Czernowins Musik summt und brummt dazu, zirpt, knirscht und rauscht.
Das Orchester der Deutschen Oper Berlin hat im Graben erstaunlich wenig zu tun, unterstützt wird es vom Ensemble Nikel seitlich neben der Bühne, von einem Vokalensemble in den Seitenlogen des ersten Rangs und vom SWR Experimentalstudio, das die elektronischen Klänge beisteuert. Das Zusammenspiel unter dem Dirigenten Johannes Kalitzke ist in der Tat beeindruckend, mitunter wirkt das, als entstünden die Klänge im eigenen Kopf. Patrizia Ciofi und Dietrich Henschel singen, sprechen, flüstern und rufen ihre ziemlich banalen Alltagstexte virtuos, ihre immer anwesenden inneren Stimmen, gesungen von Noa Frenkel und Terry Wey ergänzen und variieren den Prozess der Annäherung der beiden.
Bildquelle: Michael Trippel Diesen Klängen hört man gerne zu, lauscht dem Summen der Honigbienen, den Geräuschen des Regens oder den Klängen der Orchestermusiker, die in ihre Instrumente atmen, aber immer wieder auch ganz konventionelle Töne erzeugen. Claus Guths konkrete Bildfindungen zur alltäglichen Geschichte der unspektakulären Annäherung von ihr und ihm sind gewohnt souverän umgesetzt, schön anzusehen und im Zusammenspiel mit den perfekten Videos von rocafilm auch immer wieder verblüffend. Langweilig ist das alles nicht, aber ein unwiderstehlicher Sog in die "Heart Chamber", also die Herzkammer der Liebenden, will sich einfach nicht einstellen. Zu uninteressant bleibt das Schicksal der beiden, zu banal ist Czernowins Text, den die Sängerinnen und Sänger von sich geben müssen, trotz des großen musikalischen Aufwands ist der emotionale Mehrwert gering. Letztlich ist das Unterhaltungstheater für die gehobenen Stände. Zum Schluss sagt sie nach 90 Minuten zu ihm das erlösende "I love you". Ob das Liebesleben der beiden danach aufregender wird, bleibt allerdings offen.
Musikalische Leitung: Johannes Kalitzke
Inszenierung: Claus Guth
Mehr Informationen auf der Homepage der Deutschen Oper Berlin
Sendung: "Piazza" am 16. November 2019 ab 8:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (1)
Montag, 18.November, 09:51 Uhr
Pomeranze
Langweilig? Zäh.
Langeweile stellt sich hier aus verschiedenen Gründen ein. Wenn nicht das grandiose Bühnenbild gewesen wäre und die wirklich beachtenswerte Leistung der Protagonisten - es wäre trotz 85 Minuten ein Abend über die Grenze der Zumutung geworden.
Das lag nicht nur daran, dass aus dem an sich ja sehr interessanten Thema nichts gemacht wurde. (Wenn das Liebe sein soll, habe ich nie geliebt und will sie auch nicht) Musikalisch war das ein 85 - minütiger Brei, der bereits nach 10 Minuten durch war und von da an zäh gezogen wurde wie ein Kaugummi, das hinten raus nur noch ausgelutscht war und bei dem man sich das Ende herbei sehnte.
Dabei war der Anfang samt Kontrabass noch sehr vielversprechend. Es hätte von unserer Seite Jubel gegeben, wenn das Werk nach 15 Minuten beendet gewesen wäre. So wurden es dann 1 1/2 Stunden, in denen ich die meiste Zeit die Musik versucht habe wegzublenden, um die Inszenierung an sich positiv wirken zu lassen.