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Kritik: Händels "Il trionfo del Tempo e del Disinganno" in Salzburg Modelcasting zwischen den Spiegeln

Letztes Jahr sind die Salzburger Pfingstfestspiele wegen Corona ausgefallen. Dieses Jahr finden sie aber unter dem Motto "Roma aeterna" statt. Zum Auftakt hat die künstlerische Leiterin Cecilia Bartoli Georg Friedrich Händels erstes Oratorium "Il Trionfo del Tempo e del Disinganno" szenisch aufs Programm gesetzt.

Das Händel-Oratorium "In trionfo del tempo e del disinganno" als szenische Inszenierung bei den Pfingstfestspielen Salzburg 2021. | Bildquelle: © Monika Rittershaus

Bildquelle: © Monika Rittershaus

Rom, 1707. Der Papst hat Opernaufführungen verboten – als Zeichen der Buße nach verheerenden Erdbeben. Der junge Händel ist eigentlich in Italien, um sich als Opernkomponist zu profilieren. Der 22-Jährige umgeht das päpstliche Dekret aber raffiniert und komponiert sein erstes Oratorium als verkappte Oper. Der römische Kardinal Benedetto Pamphili hat ihm dazu ein rhetorisch brillantes, hochphilosophisches Libretto geschrieben.

Zwischen "Carpe Diem" und "Memento Mori"

Das Händel-Oratorium "In trionfo del tempo e del disinganno" als szenische Inszenierung bei den Pfingstfestspielen Salzburg 2021. | Bildquelle: © Monika Rittershaus Bildquelle: © Monika Rittershaus Das Oratorium "Il Trionfo del Tempo e del Disinganno" feiert am Ende den Sieg der Zeit und der Erkenntnis über die Schönheit und das Vergnügen. Diese vier allegorischen Figuren verhandeln existenzielle Fragen zwischen Highlife und Vergänglichkeit, zwischen "Carpe Diem" und "Memento Mori". Die Schönheit hat mit dem Vergnügen einen Pakt geschlossen, der ihr im "Spiegel der Täuschung" ewige Jugend suggeriert. Im Kampf mit der Zeit und der Erkenntnis kommt die Schönheit schließlich zu der schmerzlichen Einsicht, den Blick in den "Spiegel der Wahrheit" zu wagen und damit ihre Sterblichkeit zu akzeptieren. Sie bereut ihr ausschweifendes Leben und fügt sich dem göttlichen Willen.

Cecilia Bartoli beim Modellcasting

Das stark moralisierende Sujet trifft den aktuellen Zeitgeist in der Corona-Krise genau – mit ihrem Verzichtsgebot und ihrem Zwang, auf sich selbst zurückgeworfen zu sein. Und ohne Chor, mit nur vier Protagonisten ist Händels Oratorium auch aufführungspraktisch perfekt für die Pandemie. Regisseur Robert Carsen peppt „Il Trionfo del Tempo e del Disinganno“ mit einer Schar von Tänzerinnen und Statisten auf. Im schönen Salzburg geht es los: Das Finale von „The World’s next Topmodel“ findet dort statt. In der Jury: Cecilia Bartoli im roten Hosenanzug, mit Kurzhaarschnitt und Zigarette als personifiziertes Vergnügen, Lawrence Zazzo im eleganten schwarzen Anzug und Charles Workman im Priestergewand als Allegorien von Erkenntnis und Zeit. Das Schaulaufen der Models gewinnt Belezza, die Schönheit, in Gestalt von Mélissa Petit. Für diese „Jedefrau“ beginnt nun eine Achterbahn der Gefühle zwischen Vergnügungssucht und Entsagung.

Live-Streams und Projektionen auf der Bühne

Das Händel-Oratorium "In trionfo del tempo e del disinganno" als szenische Inszenierung bei den Pfingstfestspielen Salzburg 2021. | Bildquelle: © Monika Rittershaus Bildquelle: © Monika Rittershaus Zusammen mit der Choreografin Rebecca Howell inszeniert Robert Carsen den Palast des Vergnügens als hippe Party mit Discokugeln und flirrenden Time-Codes. Die Zeit rast dahin, auch Alkohol ist im Spiel und Belezza hat Sex mit dem DJ. Zuvor hat sie Cecilia Bartoli als diabolische Drahtzieherin in virtuelle Traumwelten entführt, die doch nur billige Blue-Box-Effekte sind. Überhaupt kommt wieder mal viel Video zum Einsatz in dieser Festspiel-Produktion. Umso stärker wirken Momente des Innehaltens, etwa wenn sich die Tänzer zur "Urnen-Arie" der Zeit ausziehen und nackt zu Boden fallen.

Das Spiel mit den Spiegeln

Ausstatter Gideon Davey lässt Händels Parabel in der Mode- und Theaterwelt spielen. Glühbirnen-gerahmte Schminkspiegel in der Künstlergarderobe symbolisieren "Spiegel der Täuschung" – was sind sie anderes im Theater. Und der "Spiegel der Wahrheit"? Bühnenfüllend bekommt das betuchte Festspielpublikum den Spiegel vorgehalten, wird zum Nachdenken, zur Selbstreflexion aufgefordert. Belezza landet erst noch auf der Couch von Psychiater Disinganno, der Erkenntnis, bevor sie am Ende auf der bis zur Brandmauer leeren Bühne zu sich selbst findet. Oder zu Gott? Carsen lässt das sympathischerweise offen. Seine Inszenierung frömmelt nie. Er versucht, die allegorischen Figuren als Menschen von heute zu zeigen. Insgesamt wirkt das Setting jedoch allzu glatt, artifiziell und kühl – zu "schön", um "wahr" zu sein.

Teuflische Tempi

Das von der Bartoli mitbegründete Alte-Musik-Ensemble Les Musiciens du Prince-Monaco loten im Graben die unfassbare Klangfantasie des jungen Händel mit etlichen Zupfinstrumenten, reichem Continuo und konzertierender Orgel lustvoll aus. Manchmal schlägt Gianluca Capuano am Pult arg forsche Tempi an, so dass die Sänger nicht immer hundertprozentig mitkommen.

Das Händel-Oratorium "In trionfo del tempo e del disinganno" als szenische Inszenierung bei den Pfingstfestspielen Salzburg 2021. | Bildquelle: © Monika Rittershaus Bildquelle: © Monika Rittershaus Tempo, die Zeit, und Disinganno, die Erkenntnis, hat Capuano mit ungewöhnlich reifen Männerstimmen besetzt. Der Tenor Charles Workman ist ein stimmstarker, manchmal etwas grober Herrscher über die Zeit, der Countertenor Lawrence Zazzo berührt besonders in der "Schlummer-Arie" der Erkenntnis mit bezaubernden Lyrismen. Die junge Mélissa Petit braucht auch gesanglich eine Weile, um zu sich zu finden – ihrem Timbre fehlt es gewiss nicht an Schönheit, für die Riesenpartie würde man sich aber eine klarere, fokussiertere, auch flexiblere Sopranstimme wünschen. Den Vogel abgeschossen aber hat – wieder mal und immer noch – Cecilia Bartoli mit ihrer einzigartigen Gesangskunst, die als Piacere sichtlich und hörbar Vergnügen hat an ihrer Rolle. Die teuflischen Charaktere waren eben schon immer die dankbarsten.

"Il trionfo del Tempo e del Disinganno" bei den Pfingstfestspielen Salzburg

Gianluca Capuano Musikalische Leitung 
Robert Carsen Regie 
Mélissa Petit Bellezza 
Cecilia Bartoli Piacere 
Lawrence Zazzo Disinganno 
Charles Workman Tempo

Mehr Informationen zu der Vorstellung und den Tickets finden Sie auf der Homepage der Pfingsfestspiele Salzburg.

Sendung: "Piazza" am 22. Mai 2021 ab 8.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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