Lang Lang führte das Leben eines Jetset-Pianisten. Aber auch der chinesische Klassikstar wurde von der Corona-Pandemie ausgebremst. Ein Gespräch übers Üben, die Goldberg-Variationen und warum man sich nicht in eine Box sperren lassen sollte.
Bildquelle: Gregor Hohenberg/Deutsche Grammophon
BR-KLASSIK: Lang Lang, wie hat die Corona-Pandemie Ihr Leben beeinflusst?
Lang Lang: Ich war die letzten fünf Monate in Shanghai, bin seit kurzem wieder in Peking. Inzwischen kehrt das Leben auch hier langsam wieder zurück. Aber die Auswirkungen waren und sind natürlich gigantisch. Ein regelrechter Albtraum. Ich musste über siebzig Konzerte absagen oder verschieben. Ich habe das noch nie erlebt, dass ich keine Konzerte spielen kann wegen eines Virus. Auch wenn ich aufgrund anderer Umstände aussetzen musste.
Mir fehlt die Bühne, das Adrenalin, das Herzklopfen.
BR-KLASSIK: Eine Handverletzung hat Sie vor ein paar Jahren von Konzerten abgehalten. Hilft Ihnen diese Erfahrung jetzt?
Lang Lang: Keine Konzerte geben zu können, ist schon ein Problem. Mir fehlt die Bühne, das Adrenalin, das Herzklopfen vor dem Konzert. Künstlerisch habe ich mir aber diesmal überhaupt keine Sorgen gemacht. Anders als vor drei Jahren, als ich diese Sehnenscheidenentzündung hatte, konnte ich ja die ganze Zeit üben. Zum Glück bin ich ja wieder völlig gesund.
BR-KLASSIK: Was haben Sie denn geübt?
2019 trat Lang Lang in der BR-KLASSIK-Sendung KlickKlack auf. | Bildquelle: BR Lang Lang: Viele Beethoven-Sonaten, zehn oder zwölf, die ich noch nicht aufgeführt hatte. Und die kompletten Chopin-Mazurkas, außerdem Schubert, Debussy. Dann habe ich auch älteres Repertoire wiederaufgefrischt. Vor allem die großen romantischen Stücke, die ich länger nicht mehr gespielt habe: Rachmaninow, Tschaikowsky, Chopin. Also viel Neues, und einiges Altes.
BR-KLASSIK: Romantik und Barock, befruchtet sich das gegenseitig – oder kommt es eher zu Irritationen?
Lang Lang: Die Unterschiede sind schon groß – auch wenn sicherlich beides eine sehr emotionale Seite hat. Ich erinnere mich noch: In Salzburg, 2006 war das, habe ich zum ersten Mal mit Nikolaus Harnoncourt gearbeitet. Und der hat mir damals gesagt: Du musst dein Herz öffnen, wenn du die Goldbergvariationen spielen willst. Du kannst dich nicht in eine Box sperren, du musst den barocken Stil kennen. Und der ist natürlich ganz anders als romantische Klaviermusik. Bach hat ja vor allem für Cembalo und Orgel geschrieben. Zum Glück hatte ich die letzten drei Jahre Andreas Staier in Köln an meiner Seite, der mir gezeigt hat, wie man richtig verziert. Er hat mir auch den ganzen Hintergrund dieser Musik nähergebracht. Das hat mir schon eine große Sicherheit gegeben.
Du darfst dich nicht in eine Box sperren.
BR-KLASSIK: Wenn Sie mit einem Experten für historische Instrumente wie Andreas Staier gearbeitet haben – wie bringen Sie den Klang eines Cembalos auf ein modernes Klavier?
Lang Lang: Das ist eine riesige Herausforderung. Das Spielgefühl ist ja ein ganz anderes. Am Klavier spielt man mit viel mehr Gewicht. Wenn man das am Cembalo macht, geht das Instrument kaputt. Hier muss man viel feiner, präziser, sozusagen mit der Fingerkuppe spielen. Natürlich versuche ich an einigen Stellen am Klavier den Cembalosound zu imitieren, trocken, ein bisschen indirekt. Aber es geht nicht nur ums Cembalo. In den Goldbergvariationen stecken auch einige Orgelsounds. Bach war ja nicht nur Cembalist, sondern auch einer der besten Organisten seiner Zeit. Seine Füße sollen genauso flink gewesen sein wie seine Finger. Ich habe übrigens sogar seine Orgeln ausprobiert, die in der Thomaskirche in Leipzig und die in Arnstadt.
BR-KLASSIK: Und – wie war's?
Das Grab von Johann Sebastian Bach in Leipzig. | Bildquelle: (c) dpa Lang Lang: Das war ein heiliger Moment. Wirklich! Diesem Giganten so nah zu sein, diesem musikalischen Gott. In Leipzig hat mir der aktuelle Organist der Thomaskirche gezeigt, welche Register Bach am liebsten benutzt hat, was sozusagen seine Lieblingssounds waren. Und das hat mich dem authentischen Bach, seinem musikalischen Geschmack, seinem Geist so nahegebracht, das war verrückt. In der Thomaskirche neben Bachs Grab zu sein, hat sich angefühlt, als würde ich in einer Zeitmaschine sitzen. Ich bin sehr emotional gewesen.
BR-KLASSIK: Apropos Geist – welcher Geist spricht den aus Ihren Goldbergvariationen?
Lang Lang: Das Werk hat eine perfekte Symmetrie, wie eine Pyramide. Beim Spielen muss man eine ganze Reise planen, das Ganze dauert ja ungefähr eineinhalb Stunden. Da muss man planvoll vorgehen, man muss strategisch und berechnend sein. Dazu gehört übrigens auch: Nicht zu viel trinken, damit du nicht mittendrin aufs Klo musst (lacht). Der musikalische Bogen muss bis zum Ende gespannt bleiben. Und wenn dann zum Schluss nochmal die Aria erklingt – das ist für mich so wie am Ende des Lebens. Man blickt zurück auf diese ganzen Jahre, über die man nach und nach ein bisschen klüger geworden ist. Das ist meine Idee davon. Es steckt eine ganze Philosophie in diesem Stück.
Sendung: Leporello am 3. September 2020 ab 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK.
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