Leon Fleisher war ein großer Pianist – und ein Kämpfer. Der 1928 in San Francisco geborene Schüler von Artur Schnabel wurde in den 1950er Jahren insbesondere durch seine Zusammenarbeit mit dem Dirigenten George Szell und dem Cleveland Orchestra bekannt. In den 1960er Jahren erkrankte Fleisher an fokaler Dystonie, was einen weitgehenden Ausfall einer Hand zur Folge hatte. Doch Fleisher ließ sich nicht unterkriegen. Am 2. August ist er im Alter von 92 Jahren gestorben.
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Bereits in jugendlichem Alter wurde Leon Fleisher Schüler des legendären Pianisten und Lehrers Artur Schnabel. Dieser beeinflusste seine künstlerische und persönliche Entwicklung nachhaltig. Mit Schnabel ging der Zehnjährige nach Italien. Als es dort unter Mussolini zu Judenverfolgungen kam, übersiedelten beide nach New York.
Arthr Schnabel setzte für Fleisher pianistische Maßstäbe sowohl was die analytisch-respektvolle Aufmerksamkeit für den Notentext betraf als auch im Vermeiden eines bloß äußerlich-artistischen Virtuosentums. Hinzu kam die Pflege und Verfeinerung einer hochbeweglichen Anschlagskunst. Allerdings übertraf der Schüler den Lehrer schon bald in puncto technischer Perfektion, wovon Fleishers hinreißend funkelnde Aufnahme von Rachmaninows "Paganini-Variationen" zeugt. Das virtuos-kraftvolle und zugleich intelligente, von großem musikalischem Sachverstand geprägte Klavierspiel wurde rasch zu seinem Markenzeichen.
Gerade vierzehn Jahre alt geworden, gab Leon Fleisher sein Debüt mit dem San Francisco Symphony Orchestra. Zehn Jahre später gewann er den bedeutenden Klavierwettbewerb "Reine Elisabeth" in Brüssel. Fleisher wurde zum Aushängeschild einer jungen amerikanischen Pianisten-Generation – bis er Mitte der 1960er Jahre bemerkte, dass sich zwei Finger der rechten Hand beim Spiel verkrümmten und bald darauf ihren Dienst aufgaben.
Bildquelle: picture alliance / Courtesy Everett Collection Ärzte, Neurologen und Physiotherapeuten konnten ihm nicht helfen und so musste er mit siebenunddreißig Jahren das Konzertieren zunächst einmal aufgeben. Fleisher resignierte aber nicht, sondern begann eine zweite Laufbahn als Lehrer am Peabody Conservatory in Baltimore und am Curtis Institute in Philadelphia. Wenig später folgten wieder erste öffentliche Auftritte, und zwar mit Klavierrepertoire für die linke Hand – etwa mit Sergej Prokofjews raffiniert gewebtem Viertem Klavierkonzert. Anfang der 1980er Jahre konnte Fleisher sein Handikap mit Hilfe des Nervengifts Botox so weit überwinden, dass ihm das gesamte Klavierrepertoire wieder offenstand. Erneut faszinierte er mit seinem Energie und Klarheit ausstrahlenden Klavierspiel, in das sich nun noch eine Spur Gelassenheit mischte. Fleisher sah in seiner Erkrankung gar positive Effekte, die ihn tiefer in die Musik eindringen ließen. Er wandte sich auch dem Dirigieren zu und empfand es als eine große Genugtuung, dass viele seiner neuen Klavieraufnahmen ausgezeichnet wurden. Darüber hinaus hatte er eine illustre Reihe von Schülern, die wie Hélène Grimaud oder Yefim Bronfman ebenfalls große Solistenkarrieren machten. Mit seinem Ansatz, in erster Linie nicht Technik, sondern musikalisches Verständnis zu vermitteln, gehörte Fleisher zu den gefragtesten Lehrern seiner Zeit.
In einer späten Aufnahme von Schuberts großer B-Dur-Sonate D 960 fällt die große Ruhe und Gelassenheit auf, mit der Fleisher das Werk durchmisst. Man hat trotz aller Differenziertheit im Ausdruck, trotz einer geradezu poetischen Intensität den Eindruck, als meditiere er beim Spielen. Mit so feiner Sensibilität und so tief innerlichem Strahlen spielten nur wenige Pianisten diese Sonate.
Sendung: "Allegro" am 3. August 2020 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Aufgrund des Todes von Leon Fleisher hat BR-KLASSIK das Programm geändert. Die Sendung "Panorama" am Dienstag, 04. August 2020, steht ganz im Zeichen des Pianisten und Dirigenten Leon Fleisher.
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