Fanatiker außer Rand und Band: Giacomo Meyerbeers Oper über den Glaubenskrieg in Frankreich spiegelt auch die deutsche Gegenwart, geht es doch um Intoleranz und Engstirnigkeit. Peter Konwitschny inszenierte mit Spitze, Samt und Gänsehaut-Momenten. Premiere war am 29. Juni 2019 an der Semperoper Dresden.
Bildquelle: Semperoper Dresden/Ludwig Olah
Nein, die Königin von Frankreich kann nicht mal in Ruhe die Oper besuchen, denn draußen gehen sich die Leute gegenseitig an die Gurgel. Da lachten doch ein paar Zuschauer in der Semperoper leise auf, fühlten sich wohl erinnert an den härtesten Landtagswahlkampf der Republik. Die deutsche Gegenwart ist auch nicht gerade von Harmonie geprägt - und manches erinnert tatsächlich schon an die Zeit der Glaubenskriege, die Intoleranz zum Beispiel und die Engstirnigkeit, auch die absurdesten Verschwörungstheorien. Insofern ist Giacomo Meyerbeers "Hugenotten"-Oper das Stück das Stunde, gerade in Dresden, der Hochburg dogmatischer Streitereien, die ja teilweise mit geradezu religiöser Inbrunst ausgefochten werden.
Regisseur Peter Konwitschny zeigte das vierstündige, sehr groß besetzte Drama denn auch sehr klug als Studie über Fanatismus. Dabei verzichtete er überraschend, aber konsequent auf jegliche optische Aktualisierung - stattdessen steckte Ausstatter Johannes Leiacker die Mitwirkenden in Pluderhosen und Spitzenkragen, passend zum Jahr 1572, als in Frankreich Katholiken und protestantische Hugenotten erbarmungslos aufeinander losgingen. Die berüchtigte Bartholomäusnacht wurde zum blutigen Höhepunkt des Gemetzels.
Der Weg in die Katastrophe wird durch eine zunehmende Verdunkelung der Bühne signalisiert, die am Ende rabenschwarz ist, aufreißt und die Flammen am Horizont erahnen lässt. Maschinengewehr-Salven sind hörbar, das Massaker ist zeit- und ortlos, Leichen stapeln sich, und als das Orchester schlussendlich verstummt, übernimmt mittendrin eine einsam klagende Bassklarinette die finale Aussegnung. Ein Gänsehaut-Moment! Das Publikum reagierte mit stehenden Ovationen, aber auch einigen deutlichen Buhrufen.
Bildquelle: Semperoper Dresden/Ludwig Olah Mag sein, dass sich mancher von Altmeister Konwitschny auf die falsche Fährte gelockt fühlte. Der Mann ist inzwischen 74, hat Regie-Großtaten vollbracht, auch ordentlich Staub aufgewirbelt, nicht zuletzt mit einer so wüsten wie spektakulären "Csárdásfürstin" in Dresden 1999, möglicherweise wollen ihm das einzelne Abonnenten immer noch nicht verzeihen. Wie auch immer: Seine "Hugenotten" sehen über die ersten dreieinhalb Stunden ausgesprochen konventionell aus, diese Ausstattung könnte auch aus Amerika kommen, doch die Personenregie ist überlegt, sorgfältig, stimmig und absolut authentisch, bis hin zum fachgerechten Munitionieren einer Vorderlader-Pistole.
Sehr deutlich und plausibel ist Konwitschnys Einfall, Leonardo da Vincis "Letztes Abendmahl" zum Kennzeichen dieser Inszenierung zu machen, erinnert das berühmte Renaissance-Fresko von 1498 doch einerseits an den sinnstiftenden Urmoment des Christentums, andererseits an die beginnende Epoche der Glaubenskrise und -kriege. Von Akt zu Akt wird die Kopie des Bildes auf dem Vorhang immer kleiner, entfernt sich also vom Betrachter, und die lebenden Bilder auf der Bühne, die es nachahmen, werden immer aggressiver. Anfangs wird mit Weintrauben geworfen, später mit Stuhlbeinen, schließlich geschossen.
Dirigent Stefan Soltész fand dafür mit der Sächsischen Staatskapelle das nötige rabiate Klangbild, die "Hugenotten" vertragen Schärfen und grelle Aufwallungen, auch betont sentimentale Stellen. Im vierten Akt schwächelte das Orchester etwas, vielleicht hitzebedingt, vielleicht ließ die Konzentration nach - dieser Meyerbeer komponierte für die Langstrecke, trotz erheblicher Kürzungen. Der Chor, vor allem der Männerchor, leistete Großartiges, steht er doch fast durchgehend auf der Bühne, in diesem Fall oft wild bewegt, ja sogar kreisend und liegend, und trotzdem stets diszipliniert beieinander.
Unter den Solisten ragten John Osborn als hugenottischer Edelmann Raoul de Nangis, John Relyea als dessen Diener und Jennifer Rowley als Geliebte Valentine heraus. Alle drei verstanden sich auf "Große Oper", die nicht nur überbordende Affekte verlangt, sondern auch Innigkeit bis zur Ekstase. Viel hilft viel wurde hier richtig verstanden, nämlich nicht nur auf Lautstärke zu setzen, sondern auf ehrlichen, unverstellten Ausdruck. Eine zeitgemäße Deutung der "Hugenotten" im Retro-Look von Plüsch und Samt. Jedenfalls verstörender als Polyester und Acryl.
Sendung: "Allegro" am 1. Juli 2019 um 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Opéra in fünf Akten
Inszenierung: Peter Konwitschny
Sächsischer Staatsopernchor Dresden
Kinderchor der Semperoper Dresden
Sächsische Staatskapelle Dresden
Musikalische Leitung: Stefan Soltész
Informationen zu Terminen und Tickets erhalten Sie auf der Homepage der Semperoper.
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