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Kritik - Alban Bergs "Lulu" an der Staatsoper Hamburg Nagano mit eigenwilligem Neu-Arrangement

Alban Berg starb bevor er seine "Lulu" fertig komponieren konnte. Und so liegt der dritte Akt nur als Skizze vor. Der Herausforderung, die Oper trotzdem auf die Bühne zu bringen, haben sich nun Kent Nagano und Regisseur Christoph Marthaler gestellt. Am Sonntag feierte ihre höchst eigenwillige Fassung an der Hamburger Staatsoper Premiere.

Bildquelle: © Monika Rittershaus

Die Kritik zum Anhören

Lulu ist gar nichts. Nicht einmal Projektionsfläche. Keine sexuelle Herausforderung für Männer, keine Femme fatale, nur ein unberührter, kalter Katalysator für die Männer um sie herum, die sich vielleicht sogar ohne sie gegenseitig töten würden. Seltsam ungerührt auch sie, die Männer, die ziellos durch das heruntergekommene Theater taumeln, das Anna Viebrock für Christoph Marthalers Hamburger Inszenierung entworfen hat. Ein großer Varietévorhang hebt und senkt sich, gibt die Bühne auf der Bühne frei für traurige Revuegirls. Die Männer haben ihre Hosen gleich gar nicht angezogen, laufen in langen Unterhosen rum, als wollten sie schneller bereit sein, falls Lulu sie doch noch ran lässt.

Bergs Partitur betont unterkühlt

Szenenbild Oper "Lulu", Staatsoper Hamburg | Bildquelle: © Monika Rittershaus Wenig sexy: die Protagonisten in langer Unterwäsche. | Bildquelle: © Monika Rittershaus Lächerlich, grotesk, sinnlos, eine Ansammlung von Witzfiguren, denen im ersten Akt allerdings auch der Witz abhanden kam. Unbeteiligt absolvieren sie ihre Rollen, selten ist so sehr aufgefallen, wie viel Text in Lulu zu absolvieren ist. Das liegt auch am Hamburger Generalmusikdirektor Kent Nagano, der Alban Bergs Partitur betont unterkühlt serviert. Kein Geheimnis, keine dunkle Verführungskraft, nur perfektes Handwerk.

Erst nach der Pause lässt Regisseur Marthaler seinen grotesken Humor durchscheinen. Die Gräfin Geschwitz spukt als Witzfigur über die Treppen einer bürgerlichen Villa und Anne Sofie von Otter muss mit ihrer überwältigenden Bühnenpräsenz nur trüb in den Zuschauerraum blicken, um ihre Verzweiflung deutlich zu machen. Matthias Klink als Alwa und Jochen Schmeckenbecher finden nun auch zu großer Form. Die Handlung mit den vielen unterschiedslos gemordeten Männern ist ja auch einigermaßen grotesk und muss nicht unbedingt ernst genommen werden.

In der gesellschaftlichen Kältekammer

Szenenbild aus der Alban Berg Oper "Lulu" an der Staatsoper Hamburg | Bildquelle: © Monika Rittershaus Barbara Hannigan akrobatisch | Bildquelle: © Monika Rittershaus Den unvollendeten dritten Akt hinterließ Alban Berg als Particell, also Vorstudie zur Partitur, aufgeschrieben in einem Klaviersystem, aber unspielbar für einen einzelnen Pianisten. Kent Nagano und sein Bearbeiter Jochen Neurath nehmen diese Musik so, wie sie da steht und lassen sie von Pianisten auf und hinter der Bühne spielen. Eine verblüffend einleuchtende Lösung, die auch Christoph Marthaler entgegenkommt. Die Klänge werden brüchiger, aber auch intimer.

Der letzte Akt mit dem Niedergang Lulus führt in die gesellschaftliche Kältekammer, in der überhaupt keine Emotionen mehr stattfinden. Nur die Gräfin Geschwitz bricht als sehnsüchtig Liebende aus und bekennt sich im Sterben zu ihrer großen Liebe. Das größte Verbrechen an uns selbst besteht vielleicht darin, gefühllos durchs eigene Leben zu gehen, ungerührt vom Leid und der Liebe der anderen.

Bergs Violinkonzert als Zugabe

Szenenbild aus der Alban Berg Oper "Lulu" an der Staatsoper Hamburg | Bildquelle: © Monika Rittershaus Veronika Eberle spielt die Zugabe auf der Bühne. | Bildquelle: © Monika Rittershaus Die Inszenierung wird immer besser, je weniger Widerstand die Musik dem Konzept entgegensetzen kann, denn Fragen bleiben, ob dieses Konzept mit Bergs "Lulu" tatsächlich das passende Stück gefunden hat. Kein Zweifel kann hingegen daran bestehen, dass Barbara Hannigan die ideale Besetzung ist. Auch in artistischen Positionen, von den Männern im Wortsinn hin und her geworfen, auf dem Kopf stehend oder auf den Schultern eines Sängers reitend, immer hat sie ihre Stimme perfekt im Griff, stürzt sich mit Haut und Haaren in die Rolle und feiert damit einen Triumph.

Nach dem Tod der Geschwitz wird aus vollkommen unerfindlichen Gründen noch Alban Bergs Violinkonzert gespielt. Ein überflüssiger Epilog, der den Abend nach seinem brüchigen eigentlichen Ende trotz der sehr wunderbaren Geigerin Veronika Eberle doch noch zur Geduldprobe macht.

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