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Igor Levits Klavier-Fest beim Lucerne Festival Ein Anfang

Am Wochenende war's soweit: Premiere für das Klavier-Fest beim Lucerne Festival, kuratiert von Igor Levit. Sein Ziel: Kolleginnen und Kollegen aus der klassischen und der improvisierten Musik zusammenzubringen. Überzeugend war das nicht immer.

Igor Levit und Fred Hersch | Bildquelle: Peter Fischli/ Lucerne Festival

Bildquelle: Peter Fischli/ Lucerne Festival

Grundsätzlich ist es sicher keine schlechte Idee, einem renommierten Musiker das Programm für ein Festival zu übertragen. Das ist ja auch keine Novität, das gab es schon mehrfach an anderen Orten und Festivals – man denke nur an Gidon Kremers Lockenhaus-Festival oder Dorothee Oberlingers Barockfestival in Potsdam. Das ist eigentlich immer spannend und interessant – jedenfalls spannender, als wenn sich einfach nur angesagte Stars die Klinke in die Hand geben und dann das spielen, was sie eben gerade im Programm haben. Levit wollte dem eigenen Bekunden nach ein Miteinander der Musikerinnen und Musiker kreieren, Austausch, Begegnung, eine wechselseitige Anregung und Befruchtung. Und dazu eignete sich die Idee mit dem Brückenschlag zur improvisierten Musik durchaus gut.

Brückenschlag zur improvisierten Musik

Levit hat neben Anna Vinitskaya und Alexei Volodin auch zwei improvisierende Musiker:innen eingeladen, einmal den Jazz-Pianisten Fred Hersch, Jahrgang 1955, und die erst 27-jährige deutsche Pianistin Johanna Summer, die beide sowohl solistisch auftraten, aber auch zusammen mit klassischen Pianisten über klassische Werke improvisieren sollten. 

Zum Beispiel über Schumann-Miniaturen aus den "Waldszenen". Erst spielte Igor Levit, dann improvisierte Johanna Summer darüber. Das war allerdings nur bedingt spannend. Johanna Summer ist zwar enorm begabt und stilistisch sehr versiert in den Stilen der klassischen Musik, ihre kurzen Improvisationen waren aber doch sehr nah am klassischen Idiom und klangen recht unstrukturiert, plätscherten eher vor sich hin, als dass sie Kontur und Eigenständigkeit entwickelt hätten.

Das gelang bei Fred Herschs Soloauftritt mit Improvisationen über Jazz-Standards und Songs aus der Popmusik sehr viel überzeugender. Hersch ist ein ungemein poetischer Jazzmusiker, der zwischen verschiedenen Jazz-Stilen mit größter Leichtigkeit wechselt. Im Zusammenwirken mit dem Levit-Schüler Mert Yalniz, der Beethovens Appassionata spielte, worüber Hersch dann auch improvisieren sollte, war der musikalisch-künstlerische Ertrag allerdings weitaus weniger spannend: Hersch wagte es nicht so recht, sich von Beethoven frei zu machen, also viel zu sehr an der Vorlage hängen blieb.

Klavier-Fest beim Lucerne Festival: Ein Erfolg mit Abstrichen

So war die erste Ausgabe des neuen Klavierfestivals unter der Leitung von Igor Levit also ein Erfolg mit Einschränkungen. Neben den sehr gelungenen Auftritten von Levit und Volodin an zwei Klavieren, dem Soloauftritt von Levit, bei dem er eine Uraufführung von Fred Hersch spielte, sowie einem hochvirtuosen Konzert von Anna Vinitskaya, die sich u.a. mit großer Geste durch die Klanggewitter von Skrjabins 5. Sonate wühlte, hätte man sich bei der improvisierenden Zunft noch mehr Qualität und künstlerische Klasse wünschen dürfen – man denke nur an Namen wie Keith Jarrett, der ja nun leider nicht mehr spielt, oder Herbie Hancock, der noch spielt. Großmeister der Improvisation wie diese hätte man in Verbindung mit der Klassik hier gerne gehört. Das was Levit in Luzern anbot, wurde zwar vom Publikum sehr bereitwillig und interessiert angenommen, blieb aber doch unter der Messlatte, die man hier gewohnt ist.

Igor Levits Zukunft in Luzern

Zunächst sind drei Ausgaben des Festivals unter Levits Leitung vorgesehen – und dann endet ja auch die Intendanz von Michael Haefliger beim Lucern Festival nach vielen erfolgreichen Jahren. Ein Nachfolger oder eine Nachfolgerin für Haefliger, die oder der 2026 antreten wird, soll demnächst präsentiert werden. Dann wird man sehen, wie er oder sie mit diesem Klavierfestival weiter umgehen wird und ob es bei Levits Leitung bleibt.

Sendung: "Leporello" am 22. Mai ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (4)

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Dienstag, 23.Mai, 18:34 Uhr

Sebastian Stier

IGOR LEVITS KLAVIER-FEST / Teil 4

Dass Improvisation in der Klassik ignoriert wird – mit der einzigen Ausnahme der Orgel – ist ihr blinder Fleck und beschränkt den künstlerischen Ausdruck auf die Interpretation festgeschriebener Musik. Alle großen Komponisten haben improvisiert, was ein wichtiges Element ihrer Kreativität war. Man kann vermuten, dass Improvisation den künstlerischen Ausdruck in der klassischen Musik wesentlich erweitert, so wie der Jazz es vormacht. Dies in den Fokus der Aufmerksamkeit zu rücken, ist ein großes Verdienst von Igor Levit. Dem werden kleinkarierte, willkürliche Urteile und völlig unpassende Maßstäbe nicht gerecht.

Dienstag, 23.Mai, 18:32 Uhr

Sebastian Stier

IGOR LEVITS KLAVIER-FEST / Teil 3

Dem Publikum jedenfalls gefiel das Spiel von Johanna Summer, woran der Kritiker sich störte, denn es „blieb aber doch unter der Messlatte, die man hier gewohnt ist“. Aber welcher Messlatte? Der von Jarrett und Hancock? Die gibt es ja nicht, und so ist dieses Urteil wohl eher persönlichen Vorlieben und Abneigungen entsprungen. Welcher Struktur, zum Beispiel, hätte Johanna Summer denn entsprechen müssen, um nicht als „recht unstrukturiert“ abgekanzelt zu werden - in einem Gebiet, das sich möglicherweise gerade erst zu neu erfinden beginnt und in dem die Kategorien noch fehlen? Der große deutsche Jazzpianist Joachim Kühn jedenfalls bescheinigt der Musik auf Johanna Summers neuester CD große Imagination und Schönheit, jenseits von Kategorien: „Her music is full of imagination and without category, beautiful from A to Z“.

Dienstag, 23.Mai, 18:31 Uhr

Sebastian Stier

IGOR LEVITS KLAVIER-FEST / Teil 2

Es sei daran erinnert, dass es mehr als ein halbes Jahrhundert her sein dürfte, dass in einer breiteren Öffentlichkeit klassische Klavierimprovisation bemerkt wurde, als nämlich Jacques Loussier und sein Trio Ende der sechziger Jahre über die Musik von Johann Sebastian Bach improvisierten. Das plätscherte auch eher vor sich hin und war in das feste Korsett von Bachs Stücken eingebunden, aber begeisterte trotzdem und zu Recht das Publikum. Dass nun ausgerechnet Jarrett und Hancock, beide Großmeister in ihren jeweiligen Disziplinen des Jazz, die mit klassischer Musik nichts zu tun haben, als Maßstäbe herhalten sollen, ist ein bedauerlicher Kategorienfehler. So als hätte ein Kritiker dem jungen Picasso nach seiner ersten Ausstellung festgestellt, dass man sich mehr Qualität und künstlerische Klasse wünsche, und auf Turner oder Constable verwiesen.

Dienstag, 23.Mai, 18:30 Uhr

Sebastian Stier

Igor Levits Klavierfest / Robert Jungwirth /Teil 1

Wer es bei der Kritik von Igor Levits Klavierfest in Luzern bei einem schnellen Überfliegen belassen will, wird am Schluss unerwartet aufgeschreckt. Mit Hinsicht auf klassische Klavierimprovisation, die dort geboten wurde, heißt es, man hätte sich „bei der improvisierenden Zunft noch mehr Qualität und künstlerische Klasse wünschen dürfen – man denke nur an Namen wie Keith Jarrett … oder Herbie Hancock". Aber hat man auch nur einen der beiden jemals über Schumanns Waldszenen improvisieren hören, so wie Johanna Summer es getan hatte? Ihr bescheinigt der Kritiker, ihre Improvisationen seien „doch sehr nah am klassischen Idiom und klangen recht unstrukturiert, plätscherten eher vor sich hin, als dass sie Kontur und Eigenständigkeit entwickelt hätten“.

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