Kaum ein Werk gelangte so spät in den "Kanon" der großen geistlichen Werke wie Claudio Monteverdis "Vespro della Beata Vergine". 1610 veröffentlichte er seine "Marienvesper" in einem Druck, der ihm vielleicht als Bewerbungsschreiben dienen sollte. Monteverdi zeigte, wozu Musik fähig ist - sei es im alten Stil mit komplexer Satztechnik, sei es in der seinerzeit brandneuen "Seconda pratica" mit ihrem harmonischen Mut. Erste Einspielungen entstanden auf modernen Instrumenten in den 1950er Jahren, doch dem breiten Publikum wurde die Marienvesper erst auf alten Instrumenten so richtig bekannt.
Bildquelle: picture alliance/Heritage-Images
Das älteste Tondokument von Monteverdis Marienvesper liefert 1952 Leopold Stokowski mit dem Oratorio Society Chorus und dem University of Illinois Symphony Orchestra. Er hat massiv gekürzt, macht das aber dafür mit extrem langsamen Tempi wieder wett.
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Leopold Stokowski "Vespro Della Beata Vergine" Monteverdi
Für viele ist die Aufnahme mit John Eliot Gardiner im Markusdom nach wie vor DIE Einspielung der Marienvesper. Der Monteverdi Choir feierte sein 25-jähriges Bestehen mit einem Großprojekt. Die Marienvesper, die am Anfang seiner Konzerttätigkeit stand, sollte nun so im Markusdom erklingen, wie sie Monteverdi bei seinem Probedirigat dort aufgeführt haben mag. Damals wurden nachweislich zu den dreißig Stammmusikern noch zwanzig Einspringer engagiert. Es war eine wirkliche Herzensangelegenheit für Gardiner; er geht ins Detail und spielt groß auf. Die Chöre singen auswendig und nicht von den ansonsten bei solchen Gelegenheiten immer erwähnten Seitenemporen, die mutmaßlich der Mehrchörigkeit Pate standen, sondern aus der Mitte der Kirche und aus Kanzeln.
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Vespro Della Beata Vergine - Claudio Monteverdi - John Eliot Gardiner
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J.E. Gardiner talks about Monteverdi :Marien Vesper 1610
John Eliot Gardiner spricht im Rahmen der legendären Aufnahme im Markusdom über die Marienvesper, über Bezüge zu Venedig in der Komposition und wie eine Aufführung damals vielleicht im Markusdom funktioniert haben könnte. Quasi ein "Making of" zu dem obigen Video.
Wer glaubt, in Texas, noch dazu fast an der Grenze zu Oklahoma, sei man, was Alte Musik betrifft, im Outback und habe nur die Wahl zwischen Country und Western, der hat sich getäuscht. Am University of North Texas College of Music erarbeitete Hendrik Schulze mit Studenten die neue Bärenreiter-Urtextausgabe der Marienvesper.
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Monteverdi Vespers
Gabriel Garrido mit Nachwuchskräften der Académie baroque européenne d’Ambronay im Rahmen des dortigen 21. Festivals im Jahr 2000. Kennt man nur seine hervorragende CD-Einspielung mit dem Ensemble Elyma, ist man hier von seinem energischen Dirigat mit großen Gesten überrascht, denn das Ergebnis ist ein beiden Fällen ein ganz natürlicher Monteverdi, der wie spontan musiziert wirkt. Das Video enthält auch Interviews mit ihm und Musikern zu ihren Instrumenten (auf Französisch).
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"Vespro della beata Vergine" (Claudio Monteverdi) - Concierto de Gabriel Garrido
Den Gegenentwurf zu Gardiners Cinemascope-Monteverdi liefert Christina Pluhar mit ihrem Ensemble L’Arpeggiata. Man kann schön verfolgen, wie sie von der Theorbe aus nur zehn Sänger leitet, die nach wesentlich mehr klingen, und ein Instrumentalensemble in Minimalbesetzung, das dafür aus dem Vollen schöpft - inklusive beider Zinkgötter: Bruce Dickey und Doron Sherwin! Leider ist die Tonqualität recht mäßig.
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Claudio Monteverdi Vespro della Beata Vergine 1610 Christina Pluhar L'Arpeggiata
Raphaël Pichon und das Ensemble Pygmalion in einem Konzertmitschnitt von 2014, der wirklich alles hat: fantastische Solisten, einen großen, aber flexiblen Chor, ein stets beseeltes Instrumentalensemble mit lebendigem Continuo, behutsame Kameraregie und ein paar kunstvolle Lichtakzente in der Kirche, deren Akustik einen schöne Mischung aus Kirchenhall und Durchhörbarkeit liefert. Und weil dieser Mitschnitt alles hat, ist er auch lang: fast 2 Stunden. Für das französische Fernsehen entstand dieses berückende Konzert. Alles fließt, sogar das Timing der Pausen zwischen den Stücken ist mit musikalischem Sinn ausgemessen (oder anschließend geschnitten), seine Tempi sind immer absolut überzeugend. Pichon entscheidet bei liturgischen Fragen nicht orthodox, stellt die Sänger an verschiedene Stellen im Kirchenraum. Dieser Mitschnitt ist das aktuelle Pendant zu Gardiners epochaler Einrichtung im Markusdom von 1989.
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Les Vêpres de Monteverdi par Raphaël Pichon & Pygmalion
Sendung: "Interpretionen im Vergleich" am 10. Dezember 2019 ab 20:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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