Weltentrückt, fließend, friedlich - das berühmte Adagietto ist das Herzstück von Mahlers Fünfter Symphonie. Populär wurde es durch den Film "Tod in Venedig". Mariss Jansons kennt das Werk in- und auswendig.
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Reportage
Mariss Jansons probt mit dem Symphonieorchester
Mahlers fünfte Symphonie beginnt mit einem Trompeten-Solo. Ein kompositorisch eindrucksvoller Moment: Der militärischen Fanfare folgt der schwere Orchesterapparat mit voller Wucht. Trompeter Hannes Läubin hat dieses Solo schon gespielt, als Mariss Jansons 2006 Mahlers Fünfte das letzte Mal beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks dirigierte: "Ich erinnere mich, dass er mir vor zehn Jahren am Anfang noch den Takt gegeben hat", sagt Hannes Läubin. "Jetzt gestern kam er raus und hat einfach nach hinten gewunken und dann war es ruhig. Dann hab ich angefangen. Das ist natürlich fürs eigene Wohlbefinden viel besser, wenn man viel Freiheit hat.“
Die Fünfte ist ein verfluchtes Werk. Niemand capiert sie.
Jansons arbeitet in dieser ersten Probe an Mahlers 5. Symphonie fast pedantisch an der Technik. Er lässt nur kurze Passagen spielen, bricht immer wieder ab, zerteilt das Orchester in einzelne Stimmgruppen. Er erklärt Phrasenverläufe, tüftelt an den Dynamiken und schärft vor allem die Rhythmen. Auch Gustav Mahler selbst hat an dieser Symphonie lange herumgewerkelt. Noch 1911, sechs Jahre nach der Uraufführung, nahm er letzte Änderungen an der Partitur vor. Die Instrumentierung hatte er mehrere Male fast komplett umgeworfen. In der 70-minütigen Symphonie experimentiert Mahler mit neuen Klängen – für die Zeitgenossen in großen Teilen ungewohnt und ungewöhnlich beißend, blechlastig und aggressiv. Und doch erschafft er hier einen klingenden Kosmos an menschlichen Empfindungen.
Diese Liebeserklärung ist eine absolut andere Welt.
Chefdirigent Mariss Jansons ist von Mahlers Werk begeistert: "Diese Symphonie hat so viel Drama. Im zweiten und dritten Satz gibt es Humor und Sarkasmus und dann plötzlich kommt die Beruhigung – etwas Wunderbares, Leichtes." Der vierte Satz, das berühmte Adagietto, komponierte Gustav Mahler als eine Art Liebeserklärung an Alma Schindler. Mariss Jansons greift das in der Probe mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks auf. "Diese Liebeserklärung ist eine absolut andere Welt.", sagt er zu den Musikern. "Erinnern Sie sich an Ihre erste Liebe. Das wird helfen.“
Der Chefdirigent des Symphonieorchesters ist gut drauf an diesem Morgen – obwohl es das Probenpensum in dieser Woche in sich hat. Denn neben den Proben für Mahlers 5. Symphonie stehen Wiederholungen der Stücke für die nahende Europa-Tournee an. Den Stress vor so einer Reise will sich Mariss Jansons nicht anmerken lassen. Er versucht Verbindungen zu schaffen zwischen den Sätzen. Einen roten Faden, der sich vom ersten schmerzvoll anmutenden Satz bis zum letzten Ton des kompositorisch weit weniger fordernden Schluss-Satzes spinnt. Das Adagietto – den traumhaften, schwebenden Streichersatz mit Harfe – will der Maestro nicht bloß schön klingend haben. Er will berühren.