An der Bayerischen Staatsoper feierte am Pfingstmontag eine Neuprodukton von Wagners "Meistersingern" Premiere: mit Jonas Kaufmann als Walther von Stolzing und Wolfgang Koch als Hans Sachs. David Bösch setzte den Sängerwettstreit in Szene und die Gesamtleitung hatte Kirill Petrenko. Eine Kritik von Sylvia Schreiber.
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Premierenkritik zum Anhören
Die "Meistersinger" an der Bayerischen Staatsoper
Ein "Satyrspiel" hat sie Richard Wagner genannt, seine Oper "Die Meistersinger von Nürnberg". Einen Kontrapunkt wollte er setzen zum tragischen "Tannhäuser". Befreiend sollten die Meistersinger sein, nach so viel Tragödie. Das Libretto hat Wagner selbst verfasst, für die Helden hat er sich größtenteils von historischen Figuren aus der Zeit der Reformation inspirieren lassen, dazu ein bisschen ETA Hoffmann aus den "Serapionsbrüdern", ein bisschen Wagenseil - und sogar eine autobiographische Anekdote hat Wagner einfließen lassen.
Ein sportliches Tempo schlägt Kirill Petrenko in der Meistersinger- Ouvertüre an. Schlank, sehnig und dabei geschmeidig zeigt das Bayerische Staatsorchester seine Muskeln: die Streicher mal samtig, wie Bierschaum, mal messerscharf im unisono, die Holzbläser fein und akkurat, wie geschnitzt, das Blech, tief und dunkel wie der Bayerische Wald. Das Orchester ist gewappnet für den Wettkampf der Meistersinger.
Die schmucklose Festwiese ist symmetrisch durch Gerüste und eine kleine Bühne skizziert, die an einen Boxring erinnert. Walther von Stolzing schlurft mit Gitarrenkasten und in Lederjacke herein. Ein cooler Typ, der sich gerne mal eine Selbstgedrehte ansteckt, genervt schnauft, Kaffee mit Milch trinkt und der sich diebisch freut, als Eva ihr Schultertuch verliert. Hastig hebt er es auf und neckt sie damit. Mehr ist nicht drin zwischen den Verliebten.
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Ohne ein Meistersinger zu sein, hat Stolzing keine Chance bei Veit Pogners Tochter Eva, einem netten Mädchen im Petticoat. Sara Jakubiak in der Rolle der steinreichen Goldschmiedtochter kann den Herren zunächst gut das Wasser, besser gesagt die Bierflasche reichen. Allerdings lässt ihre Kondition im 3. Akt hörbar nach, die Textverständlichkeit verblasst. Wolfgang Koch als Hans Sachs, Markus Eiche, der Sixtus Beckmesser gibt und Jonas Kaufmann als Stolzing stemmen den Meistersinger-Marathon hingegen bis zur Schlussszene ohne zu erschlaffen und vor allem deutlich artikuliert.
Regisseur David Bösch versetzt uns in einen nicht näher definierten Zeitraum nach dem 2. Weltkrieg - die Kleidung der Darsteller, auf eine Leinwand projizierte Zeitungsartikel, Werbeplakate, Fotos, sowie Sattelitenschüsseln an Balkons geben einige die Anhaltspunkte. Bösch verzichtet auf Gags, politische Anspielungen und dralle Bilder.
Er erzählt einfach "nur" eine Geschichte, ohne dabei simpel zu sein. Und er bleibt herrlich nah am Textbuch von Richard Wagner. Der Meister persönlich bekommt sogar einen Auftritt als Büste. Hier zeigt sich Böschs feiner Sinn für Humor: Der Gehilfe von Hans Sachs poliert Wagners Schädel mit Glasreiniger und parliert dabei über die Regeln der Meistersinger. Diese Tabulatur mutet mindestens so kompliziert an wie Einsteins Relativitätstheorie. Stolzing versteht kein Wort und zertrümmert grollend Wagners Konterfei. Dann dampft er ab in Nürnbergs Gassen.
Benjamin Bruns gibt den Gehilfen David als eine Art Riesenbaby. Dessen tumber Habitus steht im Gegensatz zur stimmlichen Souveränität und sorgt in diesem Kontrast immer wieder für Überraschungen.
Ein Höhepunkt ist sicher das Ende des 2. Aktes. Mittlerweile befinden wir uns zwischen zwei gammeligen Häuserblocks mit schiefen Rollläden. Im Vordergrund steht ein Kastenwagen, die mobile Schusterwerkstatt von Hans Sachs. Das "open"- Schild flackert im Rhythmus der Musik. Beckmesser hat sich auf einer Hebebühne vor das Fenster der angebeteten Eva gefahren. Er trällert zur Ukulele und zum Klopfen von Hans Sachs' Hammer seine Ballade. Als dann silbrig-glitzernde Schnipsel, eine Lichterkette und Nebel den Sänger umhüllen, fehlt zur Qualifikation für den Eurovision-Songcontest nicht mehr viel.
Die Nachbarschaft hält nichts von der Singerei mitten in der Nacht. Schnell wird aus der wohlgemeinten Serenade eine Pyjamaprügelei. Mit einer Chorfuge gerät schließlich alles aus den Fugen und Beckmesser wird windelweich gehauen.
Die spartanische Inszenierung von David Bösch, der Verzicht auf bayerischen Landhauscharme, der reduzierte Einsatz von Gags - das alles lässt viel Raum für die Musik, die dafür umso deutlicher wahrgenommen wird. Feinsinnig wie bei einem Feininger-Gemälde schichtet Petrenko die Klangfarben als hauchdünne Glasscheiben übereinander.
Und selbst in der Schlussszene, als Wagners Text vor Deutschtum nur so strotzt, verliert Bösch nicht seinen subtilen Humor. Der sturzbetrunkene Gehilfe von Hans Sachs übergibt sich in den Meistersingerpokal - ein Statement, das man zum Thema "Nationalismus" durchaus wörtlich nehmen kann. Beckmesser gibt sich die Kugel. Und Stolzing hat zwar den Meistersingertitel ergattert und damit auch Eva. Aber auf den Titel verzichtet er doch lieber und stolziert davon.
Das Regieteam musste einige Buhs einstecken. Tosenden Applaus gab es vor allem für Jonas Kaufmann, Wolfgang Koch und Kirill Petrenko.
Kommentare (10)
Donnerstag, 19.Mai, 19:30 Uhr
Peter Pietschmann
Meistersinger
Ja, vielen Dank. Zu den "Nationalismus"-Exorzismen, die sich manisch an Wagner abrackern, fällt mir auch nur noch Max Liebermann ein.
Mittwoch, 18.Mai, 09:14 Uhr
Ute Kammermeier
Meistersinger
Ich habe die Meistersinger zum 1. Mal gesehen. Ich war sehr glücklich, daß ich noch eine Karte bekommen habe und danach noch glücklicher, diese Vorstellung erlebt zu haben.
Ich finde den Beruf Kritiker einen traurigen Beruf, nur zu warten auf eventuelle Fehler, wie ein Schullehrer, dem der Rotstift das wichtigste Instrument ist.
Mittwoch, 18.Mai, 09:08 Uhr
Rita Heigl
Premiere Meistersinger
Es war großartig ! Von A - Z musikalisch überragend und die Darstellung äußerst kurzweilig. Ich hatte vorher noch "alte " Aufnahmen angesehen, da brauchte man Durchhaltevermögen, hier allerdings verging die Zeit zu schnell! Ich würde gerne nochmal gehen,leider keine Karte!hnn
Dienstag, 17.Mai, 23:16 Uhr
Peter Trenkwalder
Meistersinger Premiere - Übertragung und Kritik
Dank an das BR-Klassik Team für eine kurzweilige, immerhin 6 stündige Übertragung der Premiere mit viel Hintergrund-Infos schon während der Sendung (Dank an Barbara Malisch, die mit kurzen Statements die szenische Seite vermittelte) und einem mehr als hörenswerten Beitrag über das unterschätze Evchen (im Vergleich zu einer Isolde oder Brünnhilde).
Hatte das seltene Glück, am Klavierauszug mitzulesen und habe selten so kurzweilige, wunderbar plastische Meistersinger unter der Hand von GMD Petrenko gehört, natürlich mit großer Geste in Vorspiel und Finale, aber oft wunderbar kammermusikalisch und Detail-verliebt. Herr Richter scheint einen anderen Sender gehört zu haben, darf uns gerne Dirigenten nennen, die das aktuell besser machen. Natürlich hat Thielemann das Vorspiel in München mit den Philharmonikern mehrfach genial zelebriert.
Jedenfalls hat die aktuelle Produktion Sängern (toll Markus Eiche) und Regisseur spürbar Freude gemacht, das war zu spüren und das ist so selten geworden !
Dienstag, 17.Mai, 23:02 Uhr
Cornelia Link
Meistersinger
Naja, die Kritiker...
Aber ein großes Dankeschön für die Ubetragung der Premiere! Selbst im Radio ein Genuss. Und beim modernen Inszenierungswahn reicht ums in der Oper dann der Stehplatz- Hauptsache Klang!
Dienstag, 17.Mai, 19:07 Uhr
Axel Schertel
Meistersinger-Kitik
Ein Bravi dem Orchster und Kirill Petrenko, den Sängerinnen und Sängern(abgestuft) und der Regie mit Team.Die Kritik hat es auf den Punkt gebracht.Eine herausragende Aufführung, in in München sicher lange Bestand haben wird.
Dienstag, 17.Mai, 19:04 Uhr
Axel Schertel
Meistersinger Kritik
Ein Bravi dem Orchester und Kirill Petrenko, den Sängerinnen und Sängern(abgestuft) und der Regie mit Team.Die Krtik hat es auf den Punkt gebracht: eine herausragende Aufführung, die sicher lange Bestand in München haben wird.
Dienstag, 17.Mai, 18:11 Uhr
Karl Degenhard
Meistersingerpremiere
In der Tat: bei einer Neuinszenierung interessiert doch erst einmal die musikalische Darbietung.Benjamin Bruns(David),Christof Fischesser( Veit Pogner), Eike Wilm Schulte ( Fritz Kothner ) und Okka von der Damerau ( Magdalena) haben hervorragende Einzelleistungen geboten und auch in Ensembleszenen die Aufführung ganz wunderbar und überzeugend getragen.An der Inszenierung mag man manche überspitzte Bilder kritisieren, die Ballade des Sixtus Beckmesser im zweiten Akt kippte fast in Klamauk. Markus Eiche als Beckmesser war für mich der nicht erwartete Sängerstar des Abends. Petrenko gelang es , viel Spielfreude zu vermitteln.Die Inszenierung überzeugte mit ihrer Personenregie, die schlüssige Charakterzeichnungen präsentierte.Insgesamt vermittelte sie gelungen das Bild einer Künstler- und Kritikeroper. Ihr Stoff zwingt weder zu einer nationalistischen Aussage noch zu einem vermeintlich authentischen Burg-,Kirchen- oder Fachwerkbühnenbild. Ein überzeugender musikalischer Komödienabend !
Dienstag, 17.Mai, 12:05 Uhr
Renate Steidten
Kritik Meistersinger-Premiere
Ich finde es bedauerlich, dass es immer mehr aus der Mode kommt, die musikalische Seite einer Opernpremiere zu würdigen - gibt´s denn nicht mehr zu sagen, als ob (natürlich auch wichtig!) einer durchhielt und gut artikulierte?
Wobei ich ja Kritiken erinnere - freilich mehr bei den Kollegen von B2 -, die offenbar von völlig Ertaubten verfasst wuden, da nicht einmal so viel (resp. wenig) vom Hörbaren erwähnt wurde. Das entspricht aber doch mehr lahmem Feuilleton als der kundigen Sorgfalt, mit der in BR-Klassik so oft erfreut wird.
Dienstag, 17.Mai, 09:05 Uhr
paul richter
meistersinger
sportlich, schlank, sehnig,? das üblich-üble kritikergefasel!
die ganze Aufführung: eine schande für den ehemaligen uraufführungsort
solche anfängerhafte Dirigenten mit null-Verständnis für musik sollen lieber dort dirigieren ,wo der pfeffer wächst