Neben den Hauptrollen und Solo-Stars singt in fast jeder Oper auch ein Chor. Meistens als "das Volk" kommentiert er die Handlung oder verstärkt feierliche Szenen. Die Sängerinnen und Sänger sind professionell ausgebildet und am Musiktheater angestellt. Für besonders große Chorszenen wird ein Extra-Chor hinzugebucht.
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Dienstagmorgen, drei Wochen vor der Premiere. Szenische Probe mit Chor an der Bayerischen Staatsoper in München. Eine der turbulentesten Chorszenen des Opernrepertoires: die Prügelfuge aus Richard Wagners "Die Meistersinger von Nürnberg". Über ein Mikrophon gibt der Regisseur David Bösch Anweisungen für den Chor. Die Sänger und -sängerinnen sind in den Kulissenhäusern und auf der Straße verteilt, rangeln und gestikulieren beim Singen. Mittendrin: Jennifer Crohns. Mitte vierzig, groß, schlank, blond, Alt II. Das Szenische mag sie besonders an ihrem Job.
Mir gefällt es, wenn der Regisseur uns etwas zutraut und mit uns arbeitet.
Bildquelle: © Wilfried Hösl Immer wieder, so Jennifer Crohns, komme es vor, dass Regisseure Angst hätten vor dem Chor, ihn einfach nur in eine Ecke der Bühne stellen. "Und dann steht man halt im Pulk und singt den ganzen Abend was 'runter – und das ist natürlich auf Dauer langweilig." Viel lieber ist sie in die Inszenierung involviert. Liegend, kniend oder in Bewegung zu singen, findet sie eher hilfreich als hinderlich.
Seit neun Jahren singt Jennifer Crohns im Chor der Staatsoper. Obwohl sie zunächst eine Karriere als Solistin begonnen hat – inklusive Engagement am Theater Braunschweig. Doch dieser Job war nichts für ihre Nerven. "Seit ich im Opernchor bin, ist es für mich viel leichter, auch nebenbei solistisch zu singen, weil ich weiß, es geht jetzt nicht mehr um mein Leben." Von diesem Druck ist sie im Chor entlastet.
Früher hatte ich immer das Gefühl, wenn ich jetzt nicht gut singe, dann kann es sein, dass der Vertrag nicht verlängert wird.
Zwar hat Jennifer Crohns keinen unbefristeten Vertrag, dennoch fühlt sich die Altistin mit ihrer Chorstelle sicher. Sie kann in München bleiben und muss nicht gegebenenfalls bei einem Intendantenwechsel umziehen. Und das Einkommen ist auch geregelt: Laut dem Deutschen Bühnenverein verdienen Chorsänger je nach Größe des Hauses von 2.400 bis 3.500 Euro brutto, in großen Häusern wie der Bayerischen Staatsoper auch mehr. Wobei das auch schwankt – je nach Einsatz gibt es Zuschläge. Jennifer Crohns hat zum Beispiel in "Turandot" im Solo-Duett gesungen, da verdiente sie etwas zusätzlich. Das gilt auch bei langen Opern in komplizierten Fremdsprachen: "Es ist mühsam, wenn man die Sprache nicht kann", sagt Jennifer Crohns, "das erfordert wirklich Arbeit, das auswendig zu lernen auf Russisch oder Tschechisch."
Auch in Mussorgskis "Boris Godunow" ist die Sprache eine Herausforderung. Das merkt man in der Klavierprobe. Die 97 Sängerinnen und Sänger feilen im Chorprobensaal ganz oben unterm Dach der Staatsoper an dem komplizierten Text, an der Aussprache. Vorne, neben dem Chorleiter, sitzt eine Muttersprachlerin und spricht für Alle exemplarisch vor. Es ist Samstagmorgen. Am Abend wird Jennifer Crohns in "Boris Godunow" auf der Bühne stehen. Ihr Job fordert viel Flexibilität – aber das mag sie. Die Proben werden je nach Bedarf kurzfristig angesetzt, und je nach Spielplan muss sie manchmal bis spät in die Nacht da sein. Eine steife Routine wäre nicht ihr Ding. Dennoch bedauert sie, dass sie gerade abends oft nicht zu Hause ist. "Es ist nicht einfach. Weil ich oft abends für eine Kinderbetreuung nochmal extra sorgen muss."
Mein Kind wird oft von Fremden ins Bett gebracht, aber daran ist es gewöhnt.
Dafür hat Jennifer Crohns fast immer nachmittags frei und Zeit für ihr Kind. "Aber ich finde, diese Bettbringzeit hat oft was Vertrautes, Zärtliches, oder da tauscht man sich dann gerne nochmal aus. Das geht besser am Abend im Bett als tagsüber am Nachmittag."
Jennifer Crohns, Chorsängerin im Chor der Staatsoper | Bildquelle: © Wilfried Hösl Nebenher singt Jennifer Crohns immer mal solistisch, allerdings nur konzertant. Für eine szenische Produktion hätte sie nicht die Zeit. Dennoch ist es ihr wichtig, immer wieder auch außerhalb der Gruppe zu singen, da sie sonst befürchtet, die Kontrolle über ihre Stimme zu verlieren. Gleichzeitig fühlt sie sich im Chor der Staatsoper sehr wohl. Sie schätzt es, mit vielen tollen Künstlern zusammenarbeiten zu können – Kirill Petrenko am Pult oder Solisten wie beispielsweise Jonas Kaufmann in den "Meistersingern". Auch wenn sie als Choristin immer im Hintergrund bleibt.
Ich bin schon manchmal neidisch auf die Solisten, aber ich weiß auch, was es bedeutet. Man muss auch bereit sein, zu reisen und viel alleine zu sein.
Das würde allein schon wegen ihres Kindes nicht oder nur schwer funktionieren. Um so mehr schätzt sie am Chorberuf, dass sie Teil einer Gemeinschaft ist. Auch wenn die Tagesform mal nicht stimmt, wird sie von ihren Chorkolleg(inn)en aufgefangen. "Gerade am Chorberuf ist das Schöne, dass man immer von der Gruppe getragen wird."