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Kritik – "Der Messias" in München Tanz der Party-Sekte

Händels populäres Oratorium als Mischung aus Tanzperformance, Schauspiel und Oper: Regisseur Torsten Fischer zeigte die Erlösungsbotschaft als Mehrsparten-Theater. Als Satire war das zu harmlos, als Erbauung zu bizarr, der Lichtblick war die Musik.

Der Messias am Gärtnerplatztheater | Bildquelle: Marie-Laure Briane

Bildquelle: Marie-Laure Briane

Hallelujah, lobet den Herrn, singen die Gläubigen ausgelassen auf der Bühne des Münchner Gärtnerplatztheaters und haben auch allen Grund dazu, schließlich regnet es Banknoten. Zaster vom himmlischen Geldautomaten sozusagen, und jeder rafft, soviel er kann. Ein paar Scheinchen rieseln sogar in den Orchestergraben, unglücklicher Weise nicht bis in die Zuschauerreihen. Jesus hat sich derweil ein paar Sturmgewehre umhängen lassen und meditiert – vermutlich über die Börsenkurse oder die Flugverbindungen, die kurz darauf eingeblendet werden.

Schlackernde Arme

Der Messias am Gärtnerplatztheater | Bildquelle: Marie-Laure Briane David Valencia als "Sohn". | Bildquelle: Marie-Laure Briane Regisseur Torsten Fischer und sein Ausstatter Herbert Schäfer setzten also auf die ganz grellen Botschaften bei ihrer Inszenierung von Georg Friedrich Händels Erfolgs-Oratorium "Der Messias" von 1742. Leider war das als Satire immer noch viel zu harmlos, als Erbauungsabend aber geradezu bizarr. Streckenweise wirkte die Bebilderung wie Uriellas Gartenparty: Alle laufen in weißen Klamotten herum, schlackern mit den Armen und richten die Augen zum Himmel. Die im Februar im Alter von 90 Jahren verstorbene Sektenführerin hätte ihre blanke Freude daran gehabt.

Dazwischen darf der kolumbianische Tänzer David Valencia als Schmerzensmann bedeutungsvoll, aber stumm herumschreiten und den anderen dabei zuschauen, wie sie ihre Notebooks aufklappen oder sich sonstwie die Zeit vertreiben. Umso überraschender, dass es dafür von zahlreichen Zuschauern heftigen Beifall gab. Das Publikum wurde also erreicht, welches auch immer.

Maßstäbe sind verrutscht

Nun ist Händels "Messias" musikalisch ein Selbstläufer, aber sehr schwer angemessen und vor allem zeitgemäß zu bebildern. Zu seinen Lebzeiten fanden fromme, puritanische Bürger daran gefallen, die strenge moralische Maßstäbe hatten, fleißig arbeiteten und viel Geld verdienten. Die Maßstäbe sind heute bekanntlich etwas verrutscht, und fromm sind am Kapitalmarkt auch nicht mehr ganz so viele Teilnehmer wie im 18. Jahrhundert. So gesehen wäre das eine Satire durchaus wert, aber Torsten Fischer inszenierte seinen Händel stattdessen mit geradezu heiligem Ernst: So lässt er eine Muslimin mit einem Juden anbandeln, um für interreligiöse Toleranz zu werben.

Der Messias am Gärtnerplatztheater | Bildquelle: Marie-Laure Briane Der Messias wie Uriellas Gartenparty. | Bildquelle: Marie-Laure Briane Und er bedient sich beim irischen Schriftsteller Colm Tóibin und dessen Roman "Marias Testament" aus dem Jahr 2012, wo die Mutter von Jesus mit dessen Tod hadert, ihren Schmerz verarbeitet, die Hinrichtung immer wieder durchlebt, übrigens weder als Heiligenfigur, noch als Gottesmutter, sondern als sterbende Frau. Sandra Cervik spielt und spricht diese Rolle so pathetisch wie Mutter Courage in Aufführungen aus den fünfziger Jahren. Das hätte vielleicht sogar was her gemacht, wenn alle anderen nicht ständig hektisch um sie herum gewuselt wären und wenn das gleißende Licht nicht permanent die Zuschauer geblendet hätte.

Winken wie unter Drogen

Besonders abstrus: Am Ende mussten alle Darsteller wie unter Drogen ins Publikum winken und zum Mitwippen auffordern. Es wurde allerdings niemand schwach. Auf der weitgehend leeren, abgeschrägten Bühne war natürlich viel Platz fürs Tanzensemble, dass allerdings auf ein paar gefährliche Stufen achten musste. Choreograph Karl Alfred Schreiner hatte sich wohl von amerikanischen Show-Gottesdiensten inspirieren lassen, so nervös, wie alle unterwegs waren. Klar, auch Händel schrieb Show-Musik, er komponierte nicht für die Kirche, sondern für zahlendes Publikum – und Geld hatte er damals dringend nötig. Aber etwas mehr spirituelle Tiefe als im Gärtnerplatztheater hätte der "Messias" schon erlaubt.

Der Messias am Gärtnerplatztheater | Bildquelle: Marie-Laure Briane Die Farbe Weiß bestimmt die Inszenierung. | Bildquelle: Marie-Laure Briane So war der Lichtblick das Dirigat von Anthony Bramall, der als Londoner bei Händel quasi einen Heimvorteil hatte. Großartig, wie behutsam und doch effektvoll er durch die Partitur führte. Das war nie klebriges Pathos, pompöses Getue, sondern fast schon kühl kalkuliert, aber ehrlich, manchmal sogar augenzwinkernd, typisch britisch eben. Die ungarisch-slowakische Sopranistin Mária Celeng, ihre amerikanische Kollegin Jennifer O'Loughlin und die österreichische Mezzosopranistin Anna-Katharina Tonauer passten sich diesem Understatement stimmlich perfekt an: Da gab es keine affektierten Gesten oder gezierten Töne, sondern innigen, schnörkellosen und meist wortverständlichen Gesang.

Der russische Countertenor Dmitry Egorov hatten einen Fremden darzustellen, was ihm gut gelang: Unter seinem breitkrempigen Hut, der an die Kopfbedeckung orthodoxer Juden erinnerte, verfolgte er den Trubel um sich herum mit einer Mischung aus Verwunderung und Neugier. Insgesamt eine optisch sehr befremdliche Produktion mit einer allzu plakativen Deutung. Und weiß ist doch so empfindlich!

Sendung: Allegro am 11. Oktober 2019 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (1)

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Sonntag, 13.Oktober, 23:11 Uhr

B.Lang

Kritik

Dem aufmerksamen Kritiker ist wahrscheinlich entgangen, daß auch ein Chor beteiligt war.
Fast schon eine Kunst, diesen mit keinem Wort zu erwähnen.

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