Sie ist in Israel aufgewachsen, als Tochter iranischer Eltern. Ihre musikalische Heimat hat Michal Elia Kamal aber in Istanbul gefunden. Dort hat sie die musikalischen Traditionen des Orients adaptiert, kombiniert mit europäischer Musik und hebräischen Texten. Auf der Straße singend ist sie zu einem Vorbild für Frauen im ganzen Mittleren Osten geworden - kein Wunder, will sie sich doch mit ihrer Stimme "in eine Löwin verwandeln".
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Es ist etwas unheimlich, ihr zuzusehen, wenn sie anfängt zu singen. Diese kleine, zierliche Person, die so scheu und zurückhaltend wirkt, verwandelt sich dann plötzlich mit dem ersten Ton in eine Riesin. Wenn sie singe, werde sie zu einer ganz anderen Person, sagt Michal Elia Kamal: "Ich fühle mich dann so, als würde eine ältere Frau aus der Vergangenheit die Kontrolle über meinen Körper übernehmen, um zu singen."
Michal Elia Kamal wurde in Israel geboren, in Tel Aviv, als Tochter iranischer Eltern. Das ist, selbst im Einwanderungsland Israel, etwas Besonderes. Denn der Iran werde in Israel als Feindesland angesehen, erklärt Michal Elia Kamal. Der Iran ist Teil ihrer Kultur, obwohl sie nie dort war. Denn als Israelin darf sie dort nicht hin.
Es ist eine einzige Suche, wenn man so enge Bindungen an einen Ort spürt, den man nicht einmal besuchen darf.
Antworten auf diese Fragen hat sie in Istanbul gefunden, als sie auf einer Reise durch Europa zum ersten Mal in die türkische Metropole kam. Bis dahin hatte sie nie Menschen aus ihrer Generation getroffen, die aus dem Iran kamen. In Istanbul traf sie beide Welten. Dort konnte sie Israelin und Jüdin sein und zugleich auch viele junge Iraner treffen, die ihr mit großer Offenheit begegneten.
Michal Elia Kamal bei "Music for the one god" 2015 | Bildquelle: Michael Krosny Im Schmelztiegel Istanbul fügten sich dann die Puzzleteile ihrer Musik zusammen. Mit Musikern aus der Türkei, aus Frankreich, England und Schottland gründete sie die Band "Light in Babylon". Der Name ist Programm: Michal Elia Kamal hat sich vorgenommen, trotz der babylonischen Sprachverwirrung Menschen unterschiedlicher Kulturen zu verbinden - mit ihrer Musik. Die Texte ihrer selbstkomponierten Stücke sind teils hebräisch, teils türkisch, und teils in Farsi abgefasst. Zu ihrem Repertoire gehören aber auch traditionelle jüdische und türkische Lieder. Etwa ein Lied, das von der türkischen Schwarzmeerküste stammt, und einen speziellen Rhythmus hat, weil das Schwarze Meer häufig so stürmisch ist. Ein uraltes und sehr trauriges Liebeslied.
Mittlerweile ist "Light in Babylon" in ganz Europa unterwegs. Auch bei "Music for the one God" in München sind sie aufgetreten. Ihr größtes Publikum hat die Gruppe aber in der Türkei und im gesamten Nahen Osten. Ein so gemischtes Publikum, dass Michal immer noch überrascht klingt, wenn sie davon erzählt. Schwule, Lesben, Frauen mit Kopftuch. Juden und Moslems. Kurden, Türken und Ägypter. Wenn sie von der Bühne blickt, glaubt sie, dass ihre Vorstellung davon, was Weltmusik bewirken kann, Realität geworden ist. Menschen unterschiedliche Religionen respektieren sich hier. Die Menschen treten miteinander in Verbindung. Weil sie Musik lieben. Sie wollen einfach nur ein normales Leben führen.
Du sendest ihnen diese musikalische Botschaft und sie wirkt!
Wenn sie sich auf die Suche nach traditionellem Material macht, dann findet Michal Elia Kamal häufig Lieder, die von Männern geschrieben wurden, damit Männer sie singen. Manchmal greift sie sich eines davon, und singt es dann mit ihrer mächtigen Frauenstimme. Wie eine Löwin will sie dann klingen, sagt sie. Und das kommt bei anderen Frauen ganz offensichtlich an. Häufig bekommt sie Botschaften von Frauen, meistens aus dem Nahen Osten. Die schreiben, dass sie eigentlich nicht singen dürften, weil ihre Familie es ihnen verbiete. Im Iran ist es sogar völlig verboten, ebenso in Afghanistan. Aber von Michal Elia Kamal fühlen sich diese Frauen inspiriert, zu singen: "Wenn ich so etwas lese, dann denke ich, du hast deinen Job in diesem Leben schon erledigt", freut sich die Sängerin.
Wenn sie dies sagt, wenn sie beschreibt, wie ihre Musik auf andere wirkt, dann klingt Michal Elia Kamal wirklich glücklich - und gleichzeitig erstaunt. Auch, wenn sie eine Anekdote aus Istanbul erzählt: Auf der dortigen Istiglal-Straße ist sie von Frauen aus Katar angesprochen worden. Frauen mit Burka, von denen sie nur die Augen sehen konnte. Sie sagten, sie liebten ihre Musik und sie könnten sie auswendig. Das nennt man dann wohl Weltmusik.
Sendung: "Musik der Welt" am 18. Februar 2023 ab 23:05 Uhr auf BR-KLASSIK