Der Kultur-Lockdown zieht sich hin – ein Ende ist nicht absehbar. Vielen Künstlerinnen und Künstlern geht die Luft aus. Nach wie vor greifen nicht alle staatlichen Hilfen richtig. Wann können Kultureinrichtungen wieder öffnen? Wie soll es nach dem Lockdown weitergehen? Und wie kann die Zeit bis dahin überbrückt werden? BR-KLASSIK hat bei Kulturstaatsministerin Monika Grütters nachgefragt.
BR-KLASSIK: Frau Grütters, die Künstlerinnen und Künstler fühlen sich vernachlässigt. Viele sind in finanziellen Nöten, einige schulen sogar schon um. Wir haben auf BR-KLASSIK über Jazzmusiker berichtet, die jetzt einen Paketshop aufmachen müssen. Und die berühmte Opernsängerin Waltraud Meier hat im Interview über die November-Hilfe gesagt: Wir Soloselbständigen fallen immer durch den Rost. Was können Sie tun, damit genau das nicht passiert?
Monika Grütters: Zunächst möchte ich eine Lanze für die Bundesregierung brechen. Mein Ressort, die Kultur, ist das einzige, das nach dem Frühjahrs-Lockdown ein eigenes Hilfspaket bekommen hat – mit einer Milliarde Euro dotiert. Das ist die Hälfte meines gesamten Jahreshaushalts. Hinzu kommen noch Hilfen aus den Ländern, die hoheitlich für die Kultur zuständig sind. Das war eine Anerkennung der gesamten Bundesregierung für die besondere Belastung, die wir der Kultur zumuten, aber auch eine Anerkennung ihrer gesamtgesellschaftlichen Rolle. Außerdem war es ein Eingeständnis der anderen Kabinettsmitglieder, dass unter dem Oberbegriff "Kultur" viele einzelne Lebensschicksale, besondere Lebensverhältnisse und auch unterschiedliche Sparten subsumiert sind. Sie haben erkannt, dass es besser ist, das Ganze der Fachpolitikerin in die Hand zu drücken als hinter die Wirtschaftshilfen aus dem Altmaier-Ressort oder hinter dem Sozialschutzpaket von Herrn Heil einzusortieren. Das fand ich gut, und wir haben daraus ein Riesenprogramm "Neustart Kultur" gemacht, was sehr passgenau funktioniert: Nach vier Monaten sind 900 Millionen von einer Milliarde bereits belegt. Dabei haben wir systematisch mit den Dachverbänden aus der Musikszene zusammengearbeitet, damit es auch wirklich korrekt läuft und wir die Hilfen nicht an den Bedürfnissen vorbei organisieren.
BR-KLASSIK: Sie haben im Dezember noch eine weitere Milliarde gefordert. Wie ist da der Stand?
Monika Grütters: Ich muss regelmäßig an den Haushaltsausschuss berichten. Das wird nächste Woche (KW 4, Anm. der Red.) wieder der Fall sein. Und da kann ich sagen: Von der einen Milliarde sind 900 Millionen Euro belegt, und wir hatten den zweiten großen Lockdown ja gar nicht eingepreist. Deshalb brauchen wir auf jeden Fall mehr Geld. Und dieses System, "Neustart Kultur", was wir mit den Verbänden gemacht haben, funktioniert ja offensichtlich. Da muss kein Rad neu erfunden werden.
Wir müssen die Existenzgrundlage der Künstler sichern und das künstlerische Arbeiten wieder möglich machen.
BR-KLASSIK: Und sind Sie optimistisch, dass Sie diese zusätzliche Milliarde auch kriegen?
Monika Grütters: Ich muss natürlich mit dem Bundestag und dem Finanzminister darüber reden, aber ich bin zuversichtlich. Denn sie haben anerkannt, dass die Kultur spezielle Hilfen benötigt, weil wir sie wirklich im Lebensnerv treffen. Die Kulturstätten waren die ersten, die geschlossen wurden – und dürfen nicht die letzten sein, die wieder aufmachen. In der Zwischenzeit müssen wir die Existenzgrundlage der Künstlerinnen und Künstler sichern und vor allem auch das künstlerische Arbeiten wieder möglich machen. Deshalb das Prinzip "Neustart": Infrastruktur sichern, damit keine Arbeitsplätze wegfallen.
BR-KLASSIK: Und was ist mit den Soloselbständigen, die nie einen Arbeitsplatz hatten?
BR-KLASSIK: Meinen Sie Hartz IV?
Monika Grütters: Das ist nicht Hartz IV! Das ist ein großer Unterschied! Beim Sozialhilfepaket müssen Sie nicht die Altersversorgung angreifen oder einen neuen Job suchen. Sie bekommen nicht die durchschnittliche Miete, sondern die reale. Dasselbe gilt für die Heizung. Es ist unfair, dieses großzügige Angebot mit Begriffen wie Hartz IV schlechtzureden. Und es betrifft nicht nur Künstlerinnen und Künstler, sondern auch Hausmeister, Fahrradbotinnen und mobile Fußpflegerinnen. Alle Soloselbständigen sind davon betroffen. Deshalb wollte sich das Finanzministerium lange nicht mit einer eigenen Förderstrecke für Kunstschaffende beschäftigen. Genau das aber ist mir im November gelungen. Im ersten Corona-Kabinett nach dem zweiten Lockdown-Beschluss habe ich mich endlich durchgesetzt, dass es jetzt eigenständige Hilfen für Soloselbstständige gibt. Die können bis zu 5.000 Euro beantragen, durchschnittlich 75 Prozent des Vorjahres-Monatseinkommens – und zwar ohne Steuerberater. Das wurde jetzt erhöht auf 7.500 Euro, die sie tatsächlich für die Zeit des Lockdowns bekommen können. Das finde ich ein faires Angebot.
BR-KLASSIK: Waltraud Meier hat neulich im Interview gesagt: Bei der Novemberhilfe kann man zwar Gelder beantragen, aber viele Dinge werden nicht mitgerechnet – zum Beispiel, wenn man Einkünfte im Ausland hatte oder für einen gewissen Zeitraum auf Lohnsteuerkarte arbeitet, wie das am Theater oft der Fall ist. Was sagen Sie dazu?
BR-KLASSIK: Sie haben jetzt noch einmal neue Hilfen in Aussicht gestellt – speziell für Schauspielerinnen und Schauspieler. Was ist das Neue daran?
Monika Grütters: Auch das war eine ganz große Überzeugungsleistung. Es waren unendlich viele Gespräche, in denen wir Beauftragte für Kultur und Medien (BKM) die anderen Kolleginnen und Kollegen darüber aufklären mussten, wie unsere Kulturleute leben und arbeiten. Das sind ja untypische Verhältnisse. Das Wissen darüber kann man nicht überall voraussetzen. Und da gibt es neben den Soloselbständigen aben noch die kurz befristet Beschäftigten. Das ist ein ganz typischer Fall: freiberufliche Schauspielerinnen und Schauspieler, die manchmal über ein ganzes Jahr drei oder vier Auftritte, Gagen und Castings haben. Mal sind sie drei Monate lang am Set – und zwar als Angestellte. Ansonsten sind sie freiberuflich tätig. Es ist sehr schwer, die in die Sozialsysteme einzubauen. Deshalb mussten wir auch hier bei den Corona-Hilfen extra Werbung für diesen Lebensstil betreiben. Und jetzt ist es gelungen, dass diese kurz befristet Beschäftigten extra berücksichtigt werden – und zwar in den Überbrückungshilfen III. Nächste Woche sollen diese endgültig beschlossen werden.
Ich finde es unmöglich, dass Ministerpräsidenten Freizeiteinrichtungen und Bordelle in einem Atemzug mit Kultur nennen.
BR-KLASSIK: Das heißt, Sie bessern nach und kämpfen. Trotzdem haben die Künstler irgendwie das Gefühl, ihnen fehlt die Lobby. Es ist auch eine psychologische Kränkung, wenn die Kultur mit anderen Lebensbereichen verglichen wird. Können Sie nachvollziehen, was es für ein Riesenfrust ist, wenn Freizeiteinrichtungen wie Spaßbäder im gleichen Aufwasch mit den Kultureinrichtungen genannt werden?
BR-KLASSIK: Schauen wir mal in die Zukunft. Viele sagen: Das Schlimmste kommt erst noch. Moritz Eggert, der Präsident des Komponistenverbandes, hat gesagt: Die Gemeinden machen einen Löwenanteil an Kulturförderung aus und geraten jetzt alle finanziell in die Krise. Die werden doch als erstes bei der Kultur den Rotstift ansetzen. In Nürnberg soll beispielsweise ein neuer Konzertsaal gebaut werden. Das ist jetzt aber auf unbestimmte Zeit vertagt. Wie schafft man es, dass die Kultur nicht langfristig bluten muss, um die Kosten von Corona, die erst noch kommen, zu begleichen?
Monika Grütters: Ja, den Löwenanteil an Kulturförderung leisten die Kommunen – 46 Prozent. Sie sind die größten Kulturträger und wissen auch, was sie an der Kultur haben. Kultur ist nicht nur ein Standortfaktor, sondern auch Ausdruck von Humanität, und hilft, eine Gesellschaft und ein Gemeinwesen zu kultivieren und lebenswert zu machen. Deshalb habe ich immer vor einem Kassensturz gemahnt: Die Kultur darf nicht als erstes bluten. Es darf nicht zulasten der Theater und Opernhäuser in den Städten gehen. Deshalb bin ich auch schockiert, dass die große Kommune München direkt ein Minus von sechs Prozent für alle Ressorts – auch für die Kultur – angekündigt hat. Ich glaube, damit macht man wesentlich mehr kaputt als man spart.
BR-KLASSIK: Aber was können Sie da anbieten? Sie haben ja wenig Möglichkeiten ...
Ich appelliere an die Verantwortlichen, mehr kann ich nicht tun.
BR-KLASSIK: Wo der Bund aber mitreden kann, ist die Frage nach der Kultur-Öffnung ...
Monika Grütters: Was die Kultur angeht, ist das auch wieder Sache der Länder. Aber ich bin zum Glück aus naheliegenden Gründen immer dabei. Und wir haben Szenarien aufgeschrieben, damit wir das nicht erst dann tun, wenn es wieder so weit ist. Ich hoffe, dass wir nicht allzu lange warten müssen. Die Impfungen müssen passieren, damit wir wieder etwas entspannter leben können.
BR-KLASSIK: Angeblich gibt es ja schon Überlegungen, dass in Berlin das Programm der gesamten Spielzeit betroffen ist ...
Ich finde, die Museen müssen die Ersten sein, die wieder öffnen können. Denn dort kann man sich so gut wie nicht anstecken. Die Lüftungsanlagen sind besser als in jedem anderen Gebäude in Deutschland, das liegt in der Natur der Sache. Und die haben hervorragende Hygienekonzepte erarbeitet und längst umgesetzt. Ich glaube, sie tragen einfach zur seelischen Gesundung einer inzwischen tief verstörten Bevölkerung bei. Deshalb plädiere ich sehr dafür, da differenziert vorzugehen statt großflächige Schließungsszenarien in den Raum zu stellen.
Ich finde, die Museen sollten als erste wieder öffnen dürfen.
BR-KLASSIK: Es gibt ja auch Studien, dass das bei Konzerthäusern ähnlich sei – vor kurzem erst eine Studie beim Konzerthaus Dortmund. Das Umweltbundesamt hat die Studie begleitet. Es kam heraus: Bei einer guten Lüftung, mit Masken und Besetzung des Saals im Schachbrettmuster ist das Ansteckungsrisiko quasi gleich Null. Aber dann heißt es: Wir machen trotzdem alles dicht. Man wundert sich, dass es bei der Wirtschaft im Zweifel weitergeht und bei der Kultur alles dichtgemacht wird. Ist das fair?
Monika Grütters: Es ist zumindest halbwegs nachvollziehbar. In der Industrie müssen die Leute arbeiten, damit der Betrieb und die Lieferketten für alles Mögliche aufrechterhalten bleiben, nicht nur für Luxusgüter. Es geht da wirklich um den Lebensbedarf. Und damit das passiert, müssen alle anderen Bereiche – und da ist leider auch die Kultur dabei – eben zurücktreten. Solch eine Prioritätensetzung finde ich nachvollziehbar, auch wenn sie uns schmerzt. Deshalb plädiere ich auch dafür, differenziert vorzugehen und zum Beispiel die Museen sobald wie möglich wieder zu öffnen. Nicht der Museen wegen, sondern der Menschen wegen.
BR-KLASSIK: Noch vor den Konzertsälen?
Monika Grütters: Ich bin Ihnen dankbar, dass sie die Studie zitiert haben. Wir haben im Frühjahr eine Studie bei der Charité in Auftrag gegeben, die zu demselben Ergebnis kam. Und deshalb werbe ich sehr dafür, dass wir die Räume so ertüchtigen, dass sie gute Lüftungsanlagen haben. Denn dann ist diesen wissenschaftlich renommierten Studien zufolge die Ansteckungsgefahr auch dort sehr gering. Ich hoffe, dass sich die Kolleginnen und Kollegen in den Ländern und auch in der Bundesregierung dieses Denken zu eigen machen und auch auf diese Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hören.
BR-KLASSIK: Sie haben ja ein Büro im achten Stock des Kanzleramts. Dann sind Sie ganz nah bei Angela Merkel ...
Monika Grütters: Angela Merkel hat selber dafür plädiert, dass wir, die Kultur und ich, ganz nach oben dürfen. Und das sagt auch symbolisch was aus über die Stellung der Kultur und ihre Bedeutung. Angela Merkel hilft mir wirklich sehr, unsere Wünsche und Forderungen auch durchzusetzen.
Sendung: "Meine Musik" am 30. Januar 2021 ab 11:05 Uhr auf BR-KLASSIK