Am 20. August starb der Komponist Wilhelm Killmayer einen Tag vor seinem 90. Geburtstag. Zu seinem Andenken findet in München vom 5. bis 11. Dezember das Musikfest "Im Freien" statt. zu Killmayers Kompositionsschülern gehört Moritz Eggert. Im Interview erinnert er sich an seinen Lehrer als eine couragierte Persönlichkeit, die Dogmen verabscheute und sich nie um Trends scherte.
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Das Interview zum Anhören
BR-KLASSIK: Ich habe gehört, dass Wilhelm Killmayer öfter seinen Kompositionsstudenten die Frage gestellt hat: Muss das Stück so weitergehen? Haben Sie diese Frage auch des Öfteren gehört?
Moritz Eggert: Ja, selbstverständlich - und auch immer zu Recht, eigentlich.
BR-KLASSIK: Was wollte er mit dieser Frage denn bezwecken?
Moritz Eggert: Er wollte uns davor schützen, dass wir aufgrund von empfundenen Zwängen uns einer Ästhetik unterordnen, die vielleicht gar nicht unsere eigene ist. Er wollte eigentlich unsere eigene persönliche Stimme als Komponist hervorlocken. Und deswegen hat er immer hinterfragt, warum es so weitergeht. Und wir mussten auch am besten eine Antwort darauf haben - wenn nicht, dann merkte man, dass er sehr kritisch war!
BR-KLASSIK: Das heißt, er hat seine Studenten also bewusst aus dem Konzept gebracht, um so das Eigene zu finden? Das ist ja eigentlich sehr schön, weil man dadurch immer weiter zum Kern seiner selbst, seiner eigenen Sprache vorstößt.
Er hat einem durch Fragenstellen Weisheit vermittelt.
Wilhelm Killmayer | Bildquelle: BR / Astrid Ackermann Moritz Eggert: Also er war fast ein bisschen sokratisch, kann man fast sagen. Er hat einem durch Fragenstellen eigentlich Weisheit vermittelt, und er hat sich immer sehr gut in die Rolle des Hörers hineinversetzt. Ebenso hat er auch sehr oft über Dinge gesprochen, über die in der zeitgenössischen Musik oft nicht gesprochen wird, wie zum Beispiel: Ist es langweilig, was da gerade passiert, oder ist es überhaupt interessant? Das waren Fragen, die ihn sehr interessierten. Auch Hörpsychologie oder die Dramaturgie eines Stückes - das waren Dinge, die bei ihm große Wichtigkeit einnahmen. Und wenn wir andere Musik analysiert haben - zum Beispiel Sibelius, den er sehr schätzte - dann hat er immer ganz begeistert gezeigt, wie sich Einzelthemen entwickeln und sich quasi eine Sprache artikuliert, ein Motiv überhaupt erst sich selbst erfindet. Das waren Sachen, die ihn fasziniert haben.
BR-KLASSIK: Komponieren ist eine sehr individuelle Geschichte: Der eine schreibt am Computer, der andere am Klavier, der nächste hört die Musik innerlich und schreibt sie dann mit dem Bleistift aufs Papier. Wie ist das bei Ihnen gewesen? Oder wie ist es heute?
Moritz Eggert: Das hat sich natürlich sehr verändert. Wir haben damals natürlich alle mit Bleistift geschrieben, weil es einfach keine Computer gab. Und natürlich nutze ich heute, einfach aus Verlags- und Kommunikationsgründen, Computer und Notensatzprogramm. Also ich würde mal sagen, 99 Prozent der Kollegen arbeiten inzwischen mit Computerprogrammen, weil sich einfach die Wege so beschleunigt haben. Die Ensembles, Orchester und Opernhäuser erwarten auch, dass man damit arbeitet, damit es einfach schnell geht, die Leute rasch die Noten bekommen und die Stimmen schneller hergestellt werden können, damit dem Verlag nicht so große Kosten entstehen. Aber ich bin froh, dass ich quasi die alte Schule noch miterlebt habe. Ich merke auch, dass es da gewisse Defizite bei der jetzigen Generation gibt.
Er war ein mutiger Komponist, weil er nie den herrschenden Trends gefolgt ist.
BR-KLASSIK: Was ist das Wichtigste, das Sie bei Wilhelm Killmayer gelernt haben?
Moritz Eggert | Bildquelle: © Astrid Ackermann Moritz Eggert: Ach, das kann man gar nicht so auf einen Satz bringen. Vielleicht sein beliebter Ausruf "Coraggio, Coraggio"! Das hat er sehr oft gesagt, wenn wir so muffelig in irgendwelchen Krisen hingen; es war seine Aufforderung, mutig zu sein. Und er war auch in seinem Leben immer ein sehr mutiger Komponist, weil er eigentlich nie den herrschenden Trends gefolgt ist und sich nie einer Schule angeschlossen hat. Er war im Grunde immer ganz allein, und das hat ihn auch zu Phasen von innerer Emigration geführt. Es gab eine Zeit, wo er fast gar nicht in der Öffentlichkeit auftrat, mehr oder weniger als Ballett-Dirigent gearbeitet hat oder in Frankfurt als Korrepetitor. Das sind Phasen gewesen, wo er sich sehr zurückgezogen hatte und trotzdem ganz spannende Musik schrieb. Dazu gehört auch großer Mut, und er hat uns immer diesen Mut gemacht. Ich kann mich selbst an ganz viele Situationen in meinem eigenen Leben erinnern, in denen ich auch mutlos war und er mir diesen Mut gegeben hat. Dafür bin ich ihm bis heute dankbar.
Killmayers Musik hat definitiv die Qualität, charakteristisch zu sein.
BR-KLASSIK: Es gibt ja in der neue Musikszene natürlich auch Dogmen, die sich aufgetan haben und dann auch wieder verschwunden sind. Und dann kamen wieder neue. Eines war natürlich, möglichst nicht tonal zu schreiben und Melodien zu vermeiden. Wilhelm Killmayer hat sich daran nicht orientiert. Wie würden Sie seine Musiksprache denn charakterisieren, sofern das überhaupt möglich ist?
Moritz Eggert: Man kann sie schon charakterisieren, weil sie eben sehr charakteristisch ist. Es gibt wahnsinnig viele zeitgenössische Musik die zwar sehr komplex klingt, aber im Grunde überhaupt nicht charakteristisch ist - die im Grunde zu einem Ohr 'reingeht und zum anderen wieder 'raus. Man hört irgendwo ein komplexes Gewusel, und das ist irgendwie alles wahnsinnig beeindruckend. Aber es berührt einen überhaupt nicht. Killmayers Musik hingegen hat definitiv die Qualität, charakteristisch zu sein. Und es hat ihn auch schon ganz früh überhaupt nicht interessiert, ob irgendwas tonal oder atonal ist - das sind Kriterien, die für ihn einfach nicht da waren. Es gibt die spannendsten Werke von ihm, in denen diese Grenzen ständig changieren, in denen es von Tonalität bis zu totaler Dissonanz und Atonalität alles gibt, gleichzeitig und unverkrampft nebeneinander existierend. Er geriet da aneinander mit Leuten, die einfach sehr bürokratisch dachten oder sehr sehr streng nach den Regeln gehen wollten. Das war ihm einfach komplett fremd. Er wurde wirklich ausgegrenzt, und ich finde jetzt ist es an der Zeit, dass man das auch entdecken kann und sollte, welcher Reichtum sich in seiner Musik findet.
Vom 5. bis zum 11. Dezember findet in München das Musikfest "Im Freien" statt, das sich dem Gedenken an den Komponisten Wilhelm Killmayer widmet.
Nähere Informationen zu den Veranstaltungen finden Sie hier.
Sendung: "Leporello" am 05. Dezember 2017, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK