Am 7. Oktober feierte Wolfgang Amadeus Mozarts Oper "Così fan tutte" unter der musikalischen Leitung von Enrico Calesso Premiere. So machen es alle, oder nicht? Zu Mozarts Zeiten, im Rokoko, war Treue jedenfalls keine Kardinaltugend. Liebe sollte allzeit vergnüglich bleiben. In Würzburg gelang eine überzeugende "Così fan tutte"- Inszenierung. Eine Kritik von Peter Jungblut
Bildquelle: © Nik Schölzel
Die Kritik zum Anhören
Sie waren also doch zu pessimistisch, Mozart und sein Textdichter Lorenzo da Ponte: Nein, nicht alle Frauen sind untreu, nur ungefähr 55 Prozent. So jedenfalls war es auf der Bühne des Würzburger Mainfrankentheaters zu lesen, und die Dramaturgen werden ja wohl gründlich recherchiert haben! Gleichwohl bleibt "Così fan tutte" natürlich aktuell, geht es doch um die Unfähigkeit, den eigenen Treueschwüren zu genügen, Moral nicht nur zu predigen, sondern zu leben. Wer wäre daran nicht schon mehrmals gescheitert?
Äußerst vergnüglich, aber auch etwas melancholisch wird das in der Inszenierung von Martina Veh vorgeführt: Ihre Ausstatter Momme Hinrichs und Torge Møller lassen in einer Videoprojektion während der Ouvertüre eine riesige Beziehungskiste durch den Raum schweben. Wie sich schnell herausstellt, ist da drin jede Menge los, und, ehrlich gesagt: Die Kiste ist nicht sehr haltbar, aber dafür äußerst biegsam. Kann schon passieren, dass sie auseinander fällt, dass sich in ihr Abgründe auftun, dass sich Wände und Perspektiven verschieben, ja etliche neue Kisten aufkreuzen, große wie kleine. Und drum herum wachsen paradiesische Blumen, die allerdings verdächtig nach männlichen und weiblichen Geschlechtsorganen aussehen. Offenbar wird dieser Garten der Lüste kräftig mit Hormonen gedüngt.
Silke Evers, Marzia Marzo und Akiho Tsujii | Bildquelle: © Nik Schölzel Überhaupt, der Boden, er ist gefährlich schwankend, und wird von so umtriebigen wie tollpatschigen Bewohnern besiedelt, die trotz blütenweißer Kostüme jedenfalls nicht sehr artig aussehen, eher leichtsinnig. Über gut drei Stunden hinweg wird "Così fan tutte" in Würzburg so zu einem heiter-anarchischen, ja mitunter richtig bösen Seminar über die Liebe. Mozarts Rokoko war nämlich, das wird vor allem im Text deutlich, keineswegs süßlich-verspielt, sondern kaltschnäuzig bis sarkastisch, wenn es um Sex ging. Die zum Untergang verdammte Oberschicht nahm sich diesbezüglich mehr Freiheiten, als die nachfolgende Französische Revolution jemals erkämpfte.
Regisseurin Martina Veh schaffte es auch, die Längen in "Così fan tutte" weitgehend vergessen zu machen: Natürlich, heute würde Mozart das Ganze vermutlich in 90 Minuten erzählen, um dreieinhalb Stunden ebenso schnell vergehen zu lassen, bedarf es vieler optischer Einfälle. In Würzburg hatte die Bühnenmaschinerie denn auch soviel zu tun, dass sie hier und da vernehmlich knirschte und manche Drehung sinnfrei hinter sich bringen musste. Dafür glänzte der italienische Generalmusikdirektor Enrico Calesso einmal mehr mit seiner hingebungsvollen Leidenschaft: Er spielt alle Rollen selbst mit, buchstabiert jedes Wort voller Begeisterung, seufzt und lacht, ist gleichzeitig Kraftwerk und Magnetpol der Aufführung, an dem sich alle ausrichten. Eine überzeugende Leistung, auch von den Würzburger Philharmonikern.
Roberto Ortiz und Daniel Fiolka (oben) Silke Evers, Akiho Tsujii und Marzia Marzo (unten) | Bildquelle: © Nik Schölzel Alle sechs Solisten machten den ernsten Spaß offensichtlich hochmotiviert mit: Silke Evers als kühle Blondine Fiordiligi, Marzia Marzo als lebensfrohe Brünnette Dorabella. Akiho Tsujii war eine verschlagene Zofe, Taiyu Uchiyama ein überraschend lässiger Philosoph Don Alfonso, der Treue für überschätzt hält, Geld dagegen für unterschätzt. Daniel Fiolka als Guglielmo und Roberto Ortiz als Ferrando schweben zeitweise buchstäblich in der Luft mit ihren machohaften Wertvorstellungen. Dafür müssen sie sich am Ende mit den längsten Hochzeitschleiern aller Zeiten abmühen. Die Beziehungskiste, die geht übrigens nach einem kräftigen Fußtritt zu Bruch, was wohl heißen soll: Die Liebe, die ist nicht von Pappe.
Premiere: 8. Oktober 2017
Dirigent: Enrico Calesso
Regie: Martina Veh
Bühnenbild: Momme Hinrichs, Torge Møller
Weitere Termine und Infos zum Vorverkauf finden Sie auf der Homepage vom Theater Würzburg.
Sendung: "Allegro" am 9. Oktober 2017, 06.05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (1)
Montag, 09.Oktober, 14:58 Uhr
Christine Hoffmann
Und wie wurde gesungen?
Immer geht's um die Inszenierung! Ich will auch mal wissen, auf welchem Niveau die Sänger gesungen haben. Langsam glaube ich, dass das kein Mensch mehr einschätzen kann, sonst würde das in die Kritiken einfließen. Mozart hat vorallem seine Opern für Sänger geschrieben (komisch, oder?) und fand es zudem offensichtlich nicht sinnbringend die Gesellschaftsstudie in 90 min runter zu reißen, da nämlich sonst seine genialen Charakterstudien der Rollen keinen Raum finden würden. Bitte, was soll man denn bei Così fan tutte weglassen? Wer was von Musik versteht, weiß, dass kaum ein Komponist so subtil seinen Protagonisten den Charakter in die Stimme schreibt. Ich verstehe die Welt nicht mehr!
Für mich ist diese Kritik leider eine unvollständige.