Viele junge Musiker lieben sie, wahrscheinlich ebenso viele fürchten sie: Wettbewerbe. Obwohl Kunst doch so schwer messbar ist, sind sie ein beliebtes Mittel, um sich mit anderen zu vergleichen oder sich selbst zu motivieren. Einer dieser Wettbewerbe ist "Jugend musiziert", der dieses Jahr zum 56. Mal ausgetragen wurde. Doch was nehmen die Teilnehmer von diesem Wettbewerb wirklich mit? BR-KLASSIK wirft einen Blick hinter die Kulissen.
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Der Wettbewerb "Jugend musiziert" ist beliebter denn je. Im Durchschnitt nehmen jedes Jahr zwischen 16.000 und 24.000 junge Musikerinnen und Musiker deutschlandweit am Regionalwettbewerb von "Jugend musiziert" teil. Dieses Jahr ist knapp die Hälfte der Teilnehmenden auf Landesebene weitergekommen. Schließlich durften sich davon noch mal knapp 3.000 Musikerinnen und Musiker beim Bundeswettbewerb in Halle messen - eine Rekordzahl. Gut so, meinen die Organisatoren, darunter der 1. Vorsitzende des Landesausschusses Bayern, Wolfgang Graef: "Das Niveau der Teilnehmer am Landeswettbewerb ist in den letzten Jahren gestiegen. Weniger was die Spitzen ausmacht, die waren immer schon sehr gut. Es betrifft insbesondere die Menge an sehr guten Leistungen".
Eine Entwicklung, die zwar erfreulich ist, aber auch Schwierigkeiten mit sich bringt, wenn man genauer hinschaut. Edmund Wächter, Organisator des Regionalwettbewerbs in München, betont zunächst die logistischen Probleme, die auf die Veranstalter zukommen. Zum Beispiel sei die große Zahl an Klavieren, die angeschafft werden müssten, für eine Stadt nicht mehr so leicht zu stemmen. Außerdem wollen Bewerber in geeigneten Räumlichkeiten musizieren, damit ihre Leistung nicht etwa von einer schlechten Akustik beeinflusst wird. Der 25-jährige Bariton Gerrit Illenberger war gemeinsam mit seiner Gesangspartnerin, der 23-jährigen Sopranistin Johanna Ganzenmüller, von solch einer Situation betroffen. Beim Landeswettbewerb in Hof hat ihr Vortrag in einem mit Teppichboden ausgelegten Seminarraum einer Fachhochschule stattgefunden. "Am Tag war es sehr heiß, trotzdem musste ich vor unserem Vortrag erst mal das Fenster zu machen, damit man das Kindergeschrei von draußen nicht mehr hört. Da habe ich mir ein paar böse Blicke aus dem Publikum eingefangen. Aber ich dachte, lieber schwitzen wir jetzt ein paar Minuten und hören dafür nichts von draußen."
Beim Konzert hast du die Möglichkeit, mit dem Publikum mehr Kontakt aufzubauen.
Junge am Violoncello | Bildquelle: picture-alliance/dpa In der Wettbewerbssituation sollte alles stimmen. Immerhin müssen 15 Minuten reichen, um die Jury vom eigenen Können zu überzeugen. Und das ist in einer Wettbewerbssituation noch mal viel schwieriger als in einem Konzertsaal mit entspanntem Publikum. Dem 16-jährigen Levent Geiger fällt das immer wieder auf. Er kennt die Situation bei "Jugend musiziert" sehr gut, immerhin hat er dieses Jahr zum 27. Mal einen 1. Preis mit nach Hause genommen. Daher weiß er, dass man für jeden einzelnen Auftritt eines immer wieder braucht: Selbstvertrauen. "Beim Konzert hast du die Möglichkeit, mit dem Publikum mehr Kontakt aufzubauen. Was ich auch ganz gerne mache. Ansagen, den Leuten ein bisschen von mir erzählen, über die Stücke reden oder Witze machen. Da kann man eine andere Beziehung aufbauen." Beim Wettbewerb spiele man nicht fürs Publikum, sondern für eine Jury, erklärt Geiger, und die bewerte das noch mal ganz anders. "Vor allem wird dann zwischen den Stücken gar nicht geklatscht: Da muss man ein gewisses Selbstvertrauen haben, um wirklich präsent zu sein und nicht die Nerven zu verlieren."
Viel Selbstvertrauen brauchen die Teilnehmer nicht nur während des Vortrags, sondern auch danach – bei den Jurygesprächen. Jedem Musiker wird die Möglichkeit gegeben, nach der Punktevergabe die persönliche Meinung der Jury einzuholen. Alle wollen sich verbessern, wollen womöglich nützliche Tipps für den Landes- bzw. Bundeswettbewerb bekommen. Für das Gesangsduo Gerrit Illenberger und Johanna Ganzenmüller hat sich diese Erwartung zumindest auf Regionalebene aber leider nicht erfüllt. Anstatt auf das Musikalische Wert zu legen, ist die Jury lediglich auf Äußerlichkeiten eingegangen, meint Gerrit Illenberger: "Ich habe gesagt, ich muss hier als Rocksänger auftreten. Das muss offensichtlich sein, dass ich hier der Macker bin und Johanna ist eher das zierliche Stubenmädchen. Dann kamen Kommentare wie: 'Man muss als Rocksänger nicht so eine Langhaarperücke tragen. Bon Jovi hat auch eine Kurzhaarfrisur.' Mit dieser Kritik konnten wir in dem Moment eher weniger anfangen. Deswegen habe ich die Perücke behalten, und beim Bundeswettbewerb kam sie dann auch gut an."
Über eine Jury lässt sich immer streiten, so auch bei "Jugend musiziert". Teilnehmer berichten von Beisitzern, die offensichtlich die Jurymitglieder gut kennen und gleichzeitig eigene Schüler im Wettbewerb betreuen. Diese Schüler landen wie selbstverständlich im Landeswettbewerb. Dieses Muster kann sich dann selbst auf der Landesebene wiederholen. Doch spätestens beim Bundeswettbewerb könnte die Enttäuschung groß sein, hat auch Gerrit Illenberger beobachtet: "Spätestens wenn man auf Bundesebene kommt und man es mit einer komplett unabhängigen Jury zu tun hat – dann spätestens kann man es erleben, dass man plötzlich mit 17 Punkten nach Hause fährt." Bekommt ein Teilnehmer beim Bundeswettbewerb 17 Punkte, so hat er "mit sehr gutem Erfolg" teilgenommen. Auf eine Auszeichnung muss er mit dieser Punktzahl aber leider verzichten. Möglicherweise eine Enttäuschung, wenn man bei den vorangegangenen Wettbewerben einen 1. Preis erzielt hat.
Junge Menschen wollen, dass man ehrlich ist.
Macht sich Notizen: die Jury | Bildquelle: BR/Fabian Stoffers Aus diesem Grund ist für den Organisator Edmund Wächter ein wichtiges Ziel: konkrete Richtlinien für die Bewertung zu schaffen, nach denen alle Juroren urteilen müssen. Dafür wurde sogar ein Jury-Workshop ins Leben gerufen. Natürlich dürfen gute Leistungen gut bewertet werden. Doch vor allem auf regionaler Ebene sollte auch mit schlechteren Leistungen sensibel und motivierend umgegangen werden. Gerade weil das Niveau von "Jugend musiziert" so stark ansteigt, wie der 1. Vorsitzende des Landesausschuss Bayern Wolfgang Graef beobachtet, dürfen weniger entwickelte Musiker nicht unter den Tisch fallen. Daher ist für Edmund Wächter die entscheidende Frage: "Wie können wir die Jungen, die noch nicht so weit sind, motivieren? Das geht natürlich damit los, dass das Bewertungsgespräch positiv ist. Da legen wir ganz großen Wert drauf." Es solle nicht gesagt werden, was alles fehlt und was schlecht ist. Vielmehr sollen die Leute positiv motiviert werden, ohne eine Kuschelberatung zu bekommen. Zum Beispiel: "Wie du spielst, ist das sehr schön. Jetzt pass auf, an dieser Stelle könnte es noch besser werden." Wolfgang Graef möchte aber die Teilnehmer nicht mit schwachen Floskeln abfertigen. Deswegen urteilt er unter dem Motto: "Junge Menschen wollen, dass man ehrlich ist. Und eine charmant vorgetragene Wahrheit ist immer noch leichter zu ertragen als ein Verstecken hinter Floskeln und unbestimmtem Lob." Zusätzlich zu konstruktiven Jurygesprächen könnte man spannende weiterführende Angebote machen, findet Edmund Wächter. Auf Landes- und Bundesebene funktioniert das mit den Jugendorchestern und Kammermusikkursen schon sehr gut. Nur auf regionaler Ebene fehlen noch Geld und Personal, um den Weg in diese Richtung einzuschlagen.
Gibt es ein Rezept für eine gelungene Teilnahme am Wettbewerb "Jugend musiziert"? Edmund Wächter, der selbst auch Flötenlehrer ist, berichtet von seinen Erfahrungen: "Man muss nicht mitmachen, und ich finde es ganz falsch, wenn das der Ehrgeiz der Lehrer und Eltern ist. Der Impetus muss vom Kind kommen. Und dann ist das Wichtigste: die Vorbereitung. Alle, die sich beteiligen, machen einen Riesenschritt voran. Und dann hat es einen Sinn."
Sendung: "Allegro" am 18. Juli 2019 um 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Informationen zu Veranstaltungen und sonstigen Aktivitäten von "Jugend musiziert" erhalten Sie auf der Homepage der Organisation.