Wie gefährlich ist das gemeinsame Musizieren in Corona-Zeiten? Das Freiburger Institut für Musikermedizin hat zusammen mit dem Universitätsklinikum und der Hochschule für Musik Freiburg eine Risikoeinschätzung vorgelegt – wir fassen die Risiken zusammen und geben Tipps, wie man das Risiko minimieren kann.
Bildquelle: © Herwig Prammer
Seit Wochen erreichen das Freiburger Institut für Musikermedizin Anfragen von Laien- und Berufsmusikern mit der Bitte um Rat, wie man während der Corona-Pandemie sicher proben kann. Generell gilt derzeit in Bayern noch ein Kontaktverbot, sodass nur Menschen aus einem gemeinsamen Haushalt oder Profi-Musiker auf beruflicher Basis überhaupt miteinander musizieren dürften. Professorin Claudia Spahn vom Freiburger Institut hat eine medizinische Risikoeinschätzung des gemeinsamen Musizierens erarbeitet. Dabei ist ihr vor allem wichtig zu betonen: Hundertprozentige Sicherheit gibt es nie.
Es geht hier nur um die Einschätzung des Risikos und Überlegungen zur Risikoreduktion.
Noch gibt es keine wissenschaftlich verwertbaren Daten oder Messungen aus der Musikpraxis, erklärt Claudia Spahn. Sie und ihre Kollegen können gegenwärtig nur von den aktuellen Erkenntnissen zu Corona und zu Infektionskrankheiten allgemein ausgehen und physiologische Grundsätze als Maßstab ansetzen. Dazu gehört zum Beispiel die Frage, wie viel Aerosol, also Atemnebel mit Tröpfchen, beim Singen und beim Spielen von Blasinstrumenten ausströmt. "Und das ist gar nicht so viel wie man erwarten würde. Es gibt einfache Experimente mit Mehlpartikeln in Blasinstrumenten, die einfach vor dem Instrument zu Boden fallen. Oder eine Kerze geht zum Beispiel vom Singen nicht aus. Das ist nicht wie ein Fön, sondern eine schwingende Luftsäule". Bislang ist noch völlig unklar, wie ansteckend ein normales Ausatmen im Vergleich zum Husten oder Niesen sein kann. (Transparenzhinweis: In einer vorigen Version dieses Artikels hatten wir an dieser Stelle geschrieben, dass auch dieser sanfte Luftstrom ansteckend sein kann, was derzeit nicht nachgewiesen ist.)
"Am besten ist es, beim Proben Kreativität und die digitalen Möglichkeiten gut zu nutzen", erklärt Claudia Spahn. Außerdem verweist sie auf die geltenden aktuellen Regelungen zu Abstand und Handhygiene. Wer dennoch unbedingt proben will, kann durch die folgenden Maßnahmen das Ansteckungsrisiko minimieren.
Beim Singen und beim Spielen von Blasinstrumenten spielt der Atem eine wichtige Rolle – er erzeugt den Ton. Durch Ausatmen werden Töne produziert. Es ist davon auszugehen, dass in dieser Atemluft beim Spielen und Singen Aerosole abgegeben werden, die möglicherweise Viren enthalten können. (Das RKI veröffentlichte Stand 30. April die Information: "Auch wenn eine abschließende Bewertung zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich erscheint, weisen die bisherigen Untersuchungen insgesamt darauf hin, dass eine Übertragung von SARS-CoV-2 über Aerosole im normalen gesellschaftlichen Umgang nicht wahrscheinlich ist.")
So geht's zur Zeit nicht – wenn Posaune, dann allein oder mit bis zu fünf Metern Abstand. | Bildquelle: colourbox.com Zudem kann es bei Bläsern und Sängern auch außerhalb der Tonproduktion zu nicht unerheblichen Schleimproduktionen kommen. Inwiefern die Viruslast durch den Luftweg im Instrument reduziert wird, ist unklar. Aber: In Blasinstrumenten bildet sich Kondenswasser, und Feuchtigkeit ist potentiell als "virusverbreitendes Material" anzusehen. Beim – insbesondere – solistischen Singen werden vor allem bei der Bildung von Konsonanten Spuckepartikel, also Tröpfchen, ausgestoßen.
Nur wer wie die Jussen-Brüder in einem Haushalt lebt, darf vierhändig spielen. Flügel und Hände aber vorher reinigern! | Bildquelle: BR Wird der Ton nicht über den Atem erzeugt, besteht laut Einschätzung des Musikmedizinischen Instituts Freiburg kein erhöhtes Ansteckungsrisiko beim Musizieren; zumindest nicht mehr als in anderen Begegnungs-Situationen. Es gelten also die bekannten Risiken und die strenge Einhaltung der Regeln gegen die Corona-Ausbreitung.
Das wäre eine Lösung: ein Streicher pro Hubschrauber bei Stockhausens Helicopter Streichquartett | Bildquelle: picture-alliance/dpa Sofern keine Blasinstrumente oder Sänger im Kammermusikensemble dabei sind, besteht aus Sicht des Musikmedizinischen Instituts Freiburg kein erhöhtes Ansteckungs-Risiko beim gemeinsamen Musizieren in kleinen Gruppen. Wie in allen anderen sozialen Situationen, gelten die bekannten Risiken und die strenge Einhaltung der Regeln.
So sehen Orchestergräben während der Corona-Pandemie aus. Leer. Leider. | Bildquelle: Bayerischer Rundfunk In größeren Musikgruppen wie Orchestern, Big Bands oder Chören besteht wegen der geringen Distanz zwischen den Mitwirkenden und der großen Anzahl der Personen vermutlich ein stark erhöhtes Ansteckungsrisiko. Außerdem müsste eine Corona-Infektion vor einer Probe bei allen Beteiligten durch spezifische Testungen sicher ausgeschlossen sein, was zum jetzigen Zeitpunkt technisch nicht möglich ist. Entsprechende Proben sollten aus medizinischer Sicht bis auf weiteres nicht erfolgen.
Sendung: Leporello, am 30. April am 16.05 Uhr auf BR KLASSIK.
Kommentare (5)
Donnerstag, 07.Mai, 19:00 Uhr
Christian Felix Rauch
korrektur
cm statt mm!
Tuba: wenige cm/sec
Trompete max.20cm/sec
Donnerstag, 07.Mai, 15:46 Uhr
Christian Felix Rauch, Holzblasinstrumentenmacher
Blasinstrumente
Die ausgestoßene Luftmenge ist bei der Tonerzeugung selbst entweder geringer oder kaum höher als z.B. beim Sprechen.
Feuchtigkeit des Aerosols kondensiert großteils im Instrument (anders als beim Atmen).
Spuckepartikel bleiben im Instrument, wegen der geringen (oft überschätzen) Strömungsgeschwindigkeit, der Instrumentenlänge und der meistens gekrümmten Bauweise
Austrittsgeschwindigkeit der Luft: Abhängig von der Querschnittsfläche am Instrumentenende (ohne Schalltrichter). Diese beträgt im Vergleich zum Mund zwischen dem 2fachen bei kleinen Instrumenten und dem 200fachen bei einem Enddurchmesser von 10cm. Dementsprechend gering ist die Ausströmgeschwindigkeit im Vergleich zum Sprechen. Bei einer Tuba erreicht die Luftgeschwindigkeit trotz höherer Luftmenge nur wenige mm/sec, bei einer Trompete max. 20mm/sec.
Holzblasinstrumente erreichen wegen der offenen Tonlöcher nur eine minimale Austrittsgeschwindigkeit in mehreren Richtungen.
Ausnahme: Querflöte, bis zu 1-2m/sec!
Mittwoch, 06.Mai, 09:29 Uhr
Detlef Hennings, Köln
Feine Aerosole als mögliches Risiko
Bisher wird die mögliche Rolle sehr feiner Aerosole nur wenig beachtet. Diese sinken anders als größere Aerosole nicht zum Boden, sondern verteilen sich im Raum (ähnlich wie Zigaretten-Qualm). Bei längerem Aufenthalt im Innenraum reichern sie sich an. Vorsichtsmaßnahmen sind großes Raumvolumen, sehr gutes Lüften und kurze Aufenthaltsdauer in Innenräumen. Abstand schützt bei diesen Aerosolen nicht! Das gilt für alle Arten des Musizierens und unabhängig vom Grund des Aufenthalts im Innenraum. Der Außenraum ist immer riesig und sehr gut 'gelüftet' und deshalb wenn immer möglich die bessere Wahl.
Montag, 04.Mai, 13:24 Uhr
Markus Felten
peinlich.RKI falsch zitiert in der Handreichung
https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html
Laut RKI entstehen Aerosole mit nicht vermehrungsfähigen Corona DNA, also nicht ansteckend, stand 30.04. ( seit 23.04.so festgestellt).
Den Quellen- Check kann man bei br und natürlich beim Freiburger Institut erwarten.
Für den Leser wäre es noch interessant, welche fachärztlichen Disziplinen denn die beiden Hauptautoren haben.
Gerade weil es ein tatsächlich sensibles Thema ist.
BR-KLASSIK: Lieber Herr Felten, vielen Dank für Ihre Rückmeldung. Wir haben unseren Artikel entsprechend überarbeitet. Die beiden Studienautoren sind Facharzt für HNO-Heilkunde, Facharzt für Phoniatrie und Pädaudiologie und Fachärztin für psychotherapeutische Medizin.
Freitag, 01.Mai, 11:18 Uhr
Georg Kühner
Musizieren in Zeiten von Corona - Kollaborationnen
https://www.youtube.com/watch?v=y37HOs-JNKw
Liebe Grüße Georg